Xis neue Außenpolitik China will auf einmal mitreden
29.03.2014, 06:00 Uhr
Höflicher Beifall bei einem Zwischenstopp bei der Körber-Stftung: Xi Jinping bemüht sich um Annäherung.
(Foto: AP)
Harmonie und Handel - das sind bislang die Koordinaten, an denen sich die chinesische Außenpolitik orientiert. Xi Jinping will nun mehr. Tritt er aus dem Schatten Russlands heraus?
Es ist ein bunter Strauß an Zitaten, Aphorismen und Anspielungen, die der chinesische Staatspräsident Xi Jinping in seine Berliner Rede einstreut. Neben einer Reihe chinesischer Philosophen und Redewendungen tauchen auch Goethe, Leibniz, Lessing, Willy Brandt, die Bibel und die Märchen aus Tausendundeiner Nacht auf. Auch Letzteres gehört von Peking aus betrachtet wohl zum europäischen Kulturgut - wahrscheinlich sogar zu Recht. Xi schmeichelt den Deutschen mit ihrer Ingenieurskunst, ihrer Literatur und ihrer klassischen Musik.
Ob sich der Präsident wirklich mit europäischer Literatur auskennt oder seine Redenschreiber schlicht ein paar Aphorismen gegoogelt haben - was Xi mit all den Zitaten sagen möchte, wird sehr deutlich: Ich bemühe mich, euch zu verstehen. Bemüht ihr euch auch!
Die Nettigkeiten und der Aufruf zum Dialog sind kein Selbstzweck. Xi will die Zusammenarbeit mit Deutschland stärken, womit nicht nur Handel gemeint ist. Der Präsident will sein Land auf der internationalen Bühne sichtbarer machen, deutet er an, vielleicht sogar aus dem Schatten Russlands heraustreten. China soll eine Anerkennung zuteil werden, die im Verhältnis zu seiner Größe und seiner wirtschaftlichen Leistungsfähigkeit steht. Dazu braucht es Partner.
"Harmonie" vor Menschenrechte
Bislang beschränkt sich die chinesische Außenpolitik weitgehend darauf, Handelswege und Rohstoffe zu sichern. Alles andere wird durch das Prinzip der Nichteinmischung geregelt. Wenn in Syrien ein Machthaber sein Volk mit Chemiewaffen tötet, geht das die chinesische Führung erst einmal nichts an, findet sie. Viel wichtiger ist Stabilität - oder "Harmonie", wie es die Chinesen ausdrücken.
Mit seiner Passivität hielt sich China in den vergangenen Jahrzehnten im komfortablen Schatten Russlands auf. Damit könnte langsam Schluss sein. Als erstes Zeichen dafür lässt sich das Votum im UN-Sicherheitsrat deuten, als es um die Krim-Krise ging. Als es darum ging, Russland für die Annexion zu verurteilen, sprang China dem Nachbarn nicht zur Seite, sondern enthielt sich. Die Russen hatten sich in die Angelegenheiten eines anderen Staates eingemischt und damit das Prinzip der Nichteinmischung gebrochen, das China so hochhält.
"Ganz bescheiden zuhören"
Was Xi in Berlin sagte, lässt sich so deuten, dass sein Land immer öfter eigene Wege gehen wird. Für eine gute Entwicklung brauche China nicht nur Harmonie im Inland, sondern auch ein friedliches und ruhiges internationales Umfeld. Den Weltfrieden will er nicht nur "wahren", sondern auch "fördern". Das könnte ein selbstbewussteres Auftreten im UN-Sicherheitsrat bedeuten, oder auch engere kulturelle Beziehungen mit den Industriestaaten in Europa und Nordamerika.
Deutschland spielt als wichtigstes Land Europas dabei eine herausgehobene Rolle. Die Chinesen verweisen darauf, dass der Handel mit Deutschland so umfangreich sei wie der mit Italien, Frankreich und Großbritannien zusammen. "China möchte den Stimmen der Welt ganz bescheiden zuhören", sagte Xi. Missverständnisse könnten so überwunden werden. Was für eine Politik genau daraus einmal folgen wird, scheint noch offen zu sein.
Kultur des Friedens
Immer wieder betont Xi, dass die Entwicklung, wie sie auch aussehen mag, eine friedliche sein muss. Einmal leitet er das her aus der Geschichte: Die 5000 Jahre alte chinesische Kultur sei immer eine Kultur des Friedens gewesen. Ein anderes Mal begründet er es mit dem "globalen Trend", der von Frieden, wirtschaftlicher Entwicklung und Zusammenarbeit geprägt sei. Wer diesem Trend nicht folge, werde "von der Geschichte über Bord geworfen".
Die Logik, dass eine aufstrebende Macht auch immer die Vorherrschaft in der Welt anstreben würde, akzeptiere China nicht, so Xi. Die damalige US-Außenministerin Hillary Clinton hatte bei ihrem Peking-Besuch vor anderthalb Jahren davon gesprochen: "Zwei Nationen versuchen etwas, das es in der Geschichte niemals vorher gegeben hat", sagte sie damals: "Nämlich eine neue Antwort auf die Frage zu geben, was passiert, wenn eine etablierte Macht auf eine aufstrebende Macht stößt."
China werde nie nach Vorherrschaft und Expansion streben, versichert Xi nun. Allerdings sagt er in Bezug auf den Konflikt mit Japan um die Senkaku-Inseln im ostchinesischen Meer: "Wir provozieren nicht, fürchten uns aber auch nicht davor, auf Provokationen anderer zu antworten."
Zaghafte Kritik
So friedlich Xis Konzept von Chinas Außenpolitik klingt, so sehr leiden Menschen unter dem, was er mit seinem Land im Inneren anrichtet. Seinen Kampf gegen Korruption halten viele eher für eine PR-Kampagne als für ein echtes politisches Programm. Erst in dieser Woche erneuerte Amnesty International die Schätzung, dass in China weit mehr Menschen hingerichtet werden als im gesamten Rest der Welt. Jedes Jahr sollen es Tausende sein. In Fragen von Meinungsfreiheit, Rechtsstaatlichkeit und Minderheitenrechte hat Xi sein Land eher noch weiter zurückgeworfen, kritisieren Menschenrechtler.
Diese Themen wurden vom Bundespräsidenten und der Bundeskanzlerin pflichtschuldig angesprochen. Den wirtschaftlichen Beziehungen scheinen sie nicht zu schaden. Aus Sicht der Chinesen ist der Hinweis auf Menschenrechte ohnehin nur ein Zeichen mangelnden gegenseitigen Verständnisses.
Merkel hatte sich im Rahmen dieses Besuches eine klarere Positionierung zur Krim-Krise von den Chinesen gewünscht. Heraus kam eine gemeinsame Erklärung Deutschlands und Chinas, in der es heißt, beide Staaten setzten sich dafür ein, Konflikte "auf der Basis des internationalen Rechts, das auf der Charta der Vereinten Nationen basiert" zu lösen.
Die Kanzlerin nickt
In der aktuellen Situation lässt sich das schon als kleinen Erfolg in der Konkurrenz mit Russland werten. Als ein Journalist ihn im Kanzleramt auf das Thema ansprach sagte Xi, China habe keine "privaten Interessen" im Krim-Konflikt und verwies auf die grundsätzlichen Prinzipien der Nichteinmischung und der territorialen Integrität.
Diese und andere Antworten wurden nicht simultan, sondern immer erst dann übersetzt, wenn Xi eine Pause machte. Während er redete, verstand Merkel kein Wort. Trotzdem nickte sie ihm dabei immer wieder zustimmend zu. Auf dieser Ebene scheint es schon ganz gut zu funktionieren, das deutsch-chinesische Verhältnis.
Quelle: ntv.de