Politik

Interview mit Politologe Neugebauer "Das ist desaströs"

Röttgen trat noch am Wahlabend zurück vom CDU-Landesvorsitz.

Röttgen trat noch am Wahlabend zurück vom CDU-Landesvorsitz.

(Foto: picture alliance / dpa)

Nordrhein-Westfalen hat gewählt: Ein Jahr vor der Bundestagswahl bringt sich Rot-Grün in Stellung. Die CDU ist mit 26 Prozent blamiert. Die Lindner-FDP feiert dagegen ihre Wiederauferstehung.  Im Gespräch mit n-tv.de erklärt Politikwissenschaftler Gero Neugebauer, was die Wahl für Konsequenzen hat für die Linkspartei und die "Drei-Herren-Riege" der SPD. Und warum Bundeskanzlerin Merkel jetzt schon in derselben Situation ist wie Gerhard Schröder 2005.

n-tv.de: Haben Sie so ein schwaches CDU-Ergebnis erwartet?

Politikwissenschaftler Gero Neugebauer lehrt an der Freien Universität Berlin mit dem Schwerpunkt Parteienforschung.

Politikwissenschaftler Gero Neugebauer lehrt an der Freien Universität Berlin mit dem Schwerpunkt Parteienforschung.

Gero Neugebauer: Dass die CDU bei der Wahl verliert, überrascht mich nicht. Aber dieses Ergebnis der Union ist wirklich niederschmetternd. So weit lagen CDU und SPD in NRW noch nie auseinander. In den Prognosen lag sie vorher ja wenigstens noch über 30 Prozent. Aber wenn die CDU so abschmiert, ist das desaströs.

Wie ist das zu erklären?

In NRW gab es keine Stimmung für einen Wechsel. Die Regierungsarbeit wurde positiv bewertet. Der Erfolg der SPD ist auf lokale Faktoren zurückzuführen. Das spielte diesmal eine noch größere Rolle als 2010. Der Misserfolg der CDU liegt daran, dass die Partei im Land demoralisiert wurde. Sie konnte die Anhänger nicht mobilisieren. Diese Niederlage trifft die Partei sowohl im Land als auch im Bund.

Schwächt das Angela Merkel?

Röttgen hat in seinem Wahlkampf versucht, Merkel miteinzubeziehen. Das wurde zwar dementiert, blieb aber in den Köpfen. Deswegen wird es auch Bestandteil der parteiinternen Analyse sein, inwiefern das Ergebnis Merkel schadet. Die Kanzlerin hat sich im Wahlkampf stark eingemischt und viele Auftritte mit Röttgen gemacht. Sie wird Schwierigkeiten haben, diese Schmach von sich abzuwenden.

Was hat das Ergebnis der NRW-Wahl für Konsequenzen für die Bundesregierung?

In der Koalition wird es ruhiger werden. Die FDP muss keine Anlässe mehr suchen, um ihr Profil zu stärken. Ärger kann Frau Merkel eher von der CSU erwarten. Sie wird versuchen, ihr Profil stärker herauszustellen, auch im Hinblick auf die Bundestagswahl. Die FDP dagegen wird sich eher mit sich selbst beschäftigen und nicht versuchen, ihrer Rolle in der Koalition zu schaden. Möglicherweise kann sie ja 2013 in dieselbe Koalition zurückkehren. Das will sie sich nicht versauen.

Was für eine Signalwirkung hat die Wahl für die Bundes-SPD?

Wann kürt die SPD ihren Kanzlerkandidaten?

Wann kürt die SPD ihren Kanzlerkandidaten?

(Foto: picture alliance / dpa)

Die Wahl zeigt: Die SPD muss 2013 einen Wahlkampf führen, in dem Emotionen eine Rolle spielen. Dann ist sie auch erfolgreich. Die Partei hat im Wahlkampf gut mobilisiert. Der Grundwert 'Soziale Gerechtigkeit' wurde wieder klar. Das ist bei der Bundes-SPD anders. Sie muss im Bund erst noch ein Profil erwerben und suggerieren, dass sie eine Alternative ist, Zukunftsprobleme lösen kann und sich an den Bedürfnissen der Wähler orientiert. Die Landtagswahl im Januar in Niedersachsen muss jetzt zeigen, ob die SPD diesen Trend bestätigen kann oder ob das NRW-Ergebnis nur ein positiver Ausrutscher war.

Wäre das jetzt nicht ein günstiger Augenblick für die SPD, ihren Kanzlerkandidaten zu küren?

Nein, nicht unbedingt. Die SPD muss erst einmal einsehen, dass das trockene Auftreten der Drei-Herren-Riege Steinbrück, Gabriel und Steinmeier nicht der Bringer ist. Der Kandidat wird in der Regel ein Jahr bis neun Monate vor der Wahl gekürt.

In Niedersachsen findet im Januar 2013 die letzte Landtagswahl vor der Bundestagswahl statt. Was muss die CDU anders machen?

Sie kann aus dem SPD-Erfolg in Nordrhein-Westfalen lernen. Sie muss die Ergebnisse ihrer Regierungsarbeit klar herausstellen und verhindern, dass die SPD einen guten Oppositionswahlkampf führen kann.

In Umfragen hätte Schwarz-Gelb in Niedersachsen derzeit keine Mehrheit. Mal angenommen, CDU und FDP verlieren im Januar ihre Mehrheit: Ist Angela Merkel dann in derselben Situation wie Gerhard Schröder im Jahr 2005, als er vorzeitig Neuwahlen einleitete?

Das ist sie jetzt schon, wenn man die äußeren Umstände betrachtet. Eine Auflösung des Bundestags hätte für sie Vorteile. Sie würde die SPD auf dem falschen Fuß erwischen, weil sie noch keinen Kandidaten hat. Aber Frau Merkel würde so eine Entscheidung nicht treffen. Sie ist eine kühle Rechnerin, sie kalkuliert ihre Chancen und wird den Wahlkampf völlig auf ihre Person abstellen. Im Moment kann sie wirklich sagen: Nach mir die Sintflut. Wenn ich nicht Kanzlerin werde, hat die CDU keine Chance.

Die FDP hat mit 8,6 Prozent ein überraschend gutes Ergebnis eingefahren. Hat die Partei die Krise überstanden?

Wahlsieger Christian Lindner.

Wahlsieger Christian Lindner.

(Foto: picture alliance / dpa)

Einzelne Personen aus der Partei ja, aber die FDP nicht. Christian Lindner hat einen guten Wahlkampf geführt und stark mobilisiert. Lindner war das Objekt der Begierde. Er hat die FDP als neue, moderne Partei dargestellt, ohne das wirklich überprüft worden ist, ob er auch neue Inhalte präsentiert. Polemischerweise hatten seine Wähler offensichtlich das Gefühl: Eine Stimme für Lindner ist auch eine Stimme gegen Rösler und gegen eine FDP, deren Inhalte nicht mehr erkennbar sind. Das Grundproblem der Partei bleibt: Wo ist das Fleisch und was bietet sie an?

Wie nutzt die Partei jetzt am besten den Schwung aus dem NRW-Ergebnis?

Sie muss den Eindruck beseitigen, dass Auseinandersetzungen um die Parteiführung stattfinden. Das kann sie am besten, wenn sie ihre Führung auswechselt. In der Koalition muss sie sich als kontinuierlich arbeitender Partner präsentieren, so dass die Schwachstellen eher bei der CDU auftauchen.

Die Linkspartei hat den Wiedereinzug in den Landtag mit 2,5 Prozent deutlich verfehlt.

Ich habe erwartet, dass sie scheitert. Es ist ein wenig paradox. Bei den Inhalten hat die Linke schon häufig gezeigt, dass sie Einfluss nehmen kann, indem sie immer wieder die Themen betont, die die anderen vergessen haben. Das hat sie gut gemacht, aber inzwischen ist vieles, wie zum Beispiel die Förderung von Mindestlöhnen, Allgemeingut geworden. Außerdem hat die Art und Weise, wie sie ihre Politik verfolgt, dazu geführt, dass ihre Wähler nicht mehr annehmen konnten, dass die Linke auch an der Realisierung ihrer Ziele interessiert war. Sie ist nicht auf andere Parteien zugegangen, hat keine Kooperationsangebote berücksichtigt.

Wie geht es weiter mit der Partei?

Es ist schwierig. In Werl ist der komplette Ortsverband der Partei zu den Piraten übergetreten. Die Partei wird immer schwächer. Sie wird wohl einen Kurs fahren, dass sie auf niedrigem Niveau überwintert und sich sagen: "Es muss ein Heilsbringer her." Nur, es rettet sie kein höheres Wesen, das müsste sie schon selber tun.

Ist Lafontaine der Heilsbringer?

Nein. Bei den Piraten zum Beispiel ist ein Teil ihres Erfolgs darauf zurückzuführen, dass sie unverbrauchtes Personal anbieten. Die Linke muss mit neuen Köpfen präsent sein und darf nicht immer auf altes Personal zurückgreifen. Als Politprofi ist Lafontaine interessant für die Medien, aber der Partei tut das nicht gut. Leute, die seit über 20 Jahren dabei sind, sollten ihren Stab weiterreichen.

 

Mit Gero Neugebauer sprach Christian Rothenberg

Quelle: ntv.de

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