Türkische Grenzen schlecht gesichert Das offene Tor zur IS-Hölle
27.08.2014, 15:37 Uhr
Ein verlassener türkischer Militärposten in der Provinz Hatay im Jahr 2012.
(Foto: REUTERS)
Kämpfer des Islamischen Staates können über die Türkei unbehelligt zwischen den Kampfgebieten und dem Westen hin und her reisen. Warum erhöht die Bundesregierung den Druck auf Ankara nicht, den Grenzschutz zu verstärken?
Da ist diese Geschichte aus Hatay: Der Gouverneur der türkischen Provinz an der Grenze zu Syrien, Calettin Lekesiz, schrieb im Mai einen Brief an sein Innenministerium. Er berichtete von 150 Kämpfern des Islamischen Staates (IS), die aus Syrien mit einem Bus an die Grenze gefahren sind. Sie stiegen aus und spazierten in mehreren etwas kleineren Gruppen auf türkisches Staatsgebiet - unbehelligt. Da ist auch diese Geschichte von Muharrem Ince. Der Politiker der türkischen Oppositionspartei CHP verbreitete im Juni ein Foto eines verletzten IS-Kommandeurs - der sich in einem türkischen Krankenhaus in Grenznähe für seinen nächsten Einsatz zusammenflicken ließ.

Kein großes Hindernis: Schmuggler dringen durch einen maroden Grenzzaun in die Türkei ein.
(Foto: REUTERS)
Es gibt noch viele solcher Geschichten. Die Grenze zwischen der Türkei, Syrien und dem Irak gilt als ausgesprochen durchlässig für die Kämpfer des IS. In beide Richtungen. Das liegt nicht nur daran, dass die radikalen Muslime auf irakischer und syrischer Seite immer breitere Abschnitte kontrollieren. Und es liegt auch nicht nur daran, dass die mehr als 1200 Kilometer lange gemeinsame Grenze durch schwer überschaubares Terrain voller Hügel und Täler verläuft. Auch die Türkei ist schuld. Davon ist zumindest Omid Nouripour überzeugt. "Es gibt zwei Arten des Grenzschutzes, den militärischen und den polizeilichen", sagt der grüne Außenpolitiker n-tv.de. "Beim polizeilichen Grenzschutz, also wenn es darum geht, ob die Grenzen offen für den Personen- und Warenverkehr sind, macht die Türkei ihren Job schlecht." Die Gründe, die er für den Missstand aufführt, klingen besorgniserregend: Nouripour geht nicht davon aus, dass es in Provinzen wie Hatay an Kompetenz mangelt. "Die Türkei wäre imstande, effektiven Grenzschutz zu betreiben", da ist sich Nouripour sicher. Er sagt: "In Ankara fehlt offensichtlich der politische Wille."
Nouripour ist nicht der Erste, der das behauptet. Seit Wochen verteidigt sich die türkische Regierung vehement gegen derartige Vorwürfe. Sie widerspricht immer wieder. Doch es zeichnet sich deutlich ab, dass sie radikale Muslime im Grenzgebiet sehr lange gewähren lassen hat - in der Hoffnung, so in Syrien zum Sturz des despotischen Präsidenten Baschar al-Assad beizutragen.
Es gibt Wege und Methoden
Womöglich denkt Ankara angesichts der wachsenden Bedrohung durch die Islamisten langsam um. Regierungsangaben zufolge wurden die Grenzkontrollen verschärft. Fraglich ist, ob das in ausreichendem Maße geschah. Dem IS-Mitglied Abu Yusaf war es zumindest noch Mitte August möglich, der "Washington Post" ein Interview in der türkischen Grenzstadt Reyhanli zu geben. "Es ist nicht mehr leicht, in die Türkei zu kommen", sagte der 29-Jährige dem Blatt. "Aber wie Sie sehen, es gibt noch Wege und Methoden."
Der grüne Nouripour zweifelt angesichts derartiger Berichte daran, dass Ankara wirklich einen neuen Kurs eingeschlagen hat. "Ich bin mir nicht sicher, ob die Türkei ihre Haltung jetzt ändert. Es gibt widersprüchliche Berichte." In einem Punkt allerdings ist Nouripour sich sicher: "Der Druck, den die Bundesregierung auf die Türkei ausübt, reicht nicht aus."
Zu Verheerendem imstande
Eigentlich müsste das Interesse Berlins gewaltig sein, Ankara zu strengeren Grenzkontrollen zu bewegen. Die Türkei ist das Einfallstor in den Westen. Für den IS gibt es keinen bequemeren Weg, um seinen Schrecken in den Westen zu tragen. Deutsche Staatsbürger etwa, die sich dem IS anschließen, können ohne Visum nach Istanbul fliegen. Sind sie in der Lage, unbemerkt nach Syrien zu reisen, sich schulen zu lassen und als ausgebildete Kämpfer unbemerkt zurückzukehren, dann sind sie imstande, Verheerendes anzurichten.

Ankara hat seine Grenzkontrollen wie hier bei Hatay verschärft. Doch Islamisten finden noch immer Wege, um von einem Land ins andere zu spazieren.
(Foto: REUTERS)
Innenminister Thomas de Maizière verweist immer wieder auf diese Gefahr. Erst am vergangenen Wochenende warnte er davor, dass diese Bedrohung durch die angekündigten Waffenlieferungen der Bundesrepublik weiter steigen dürfte.
Wie notwendig ein effektiver Grenzschutz an der türkischen Grenze ist, verdeutlichen einige Zahlen. Derzeit gilt als sicher, dass sich mindestens 400 Deutsche den Islamisten im Nahen Osten angeschlossen haben. Es gilt allerdings auch als sicher, dass es noch mehr gibt, die den Behörden nicht bekannt sind. Eine andere Zahl steht im krassen Kontrast zu dieser Menge. Laut der "Süddeutschen Zeitung" ist es seit 2009 bisher nur in 30 Fällen gelungen, Islamisten vor ihrer Reise in die Kriegsgebiete zu stoppen.
Behörden schieben sich Zuständigkeit zu
Obwohl all das bekannt ist, dominieren in der Union Scheindebatten. So fordern Abgeordnete zum Beispiel, Rückkehrern den Personalausweis zu entziehen. Sie wollen also erst handeln, wenn die IS-Sympathisanten längst ausgebildet sind, statt sie vorher zu bremsen. Und sie ignorieren, dass Verfassungsrechtler die Aberkennung der Staatsbürgerschaft oder Wiedereinreisesperren für unvereinbar mit dem Grundgesetz halten.
Noch erstaunlicher wirkt, wie deutsche Behörden und Ministerien reagieren, spricht man sie direkt auf das Dilemma des türkischen Grenzschutzes an. Der deutsche Auslandsgeheimdienst BND verweist auf den Verfassungsschutz. Der Verfassungsschutz verweist auf den BND. In de Maizières Innenministerium ist man zwar auskunftsfreudiger. Doch gibt man sich ausgesprochen sorglos: "Die Bemühungen der türkischen Behörden, die Ein- und Ausreisen von IS-Sympathisanten zu verhindern, sind vielfältig", sagt eine Sprecherin n-tv.de. "Erkannte gefährliche Personen werden - bei Vorliegen der gesetzlichen Voraussetzungen - bereits an der Grenze in die Türkei zurückgewiesen. Auch die fast 1000 Kilometer lange, unübersichtliche Grenze zu Syrien zu kontrollieren, ist die Türkei erkennbar bemüht." Kritik deutet sich nur in einem Satz der Sprecherin an: "Diese Lage ist eine tägliche Herausforderung."
Das Mitglied des Auswärtigen Ausschusses, Nouripour, wundern die zaghaften Worte nicht. Er glaubt, den Grund dafür zu kennen: die BND-Affäre. Vor knapp zwei Wochen flog auf, dass die Türkei seit 2009 im "Aufklärungsprofil" des Bundesnachrichtendienstes steht. Sprich: Deutsche Geheimdienste haben türkische Behörden und Politiker ausgespäht. Die diplomatischen Beziehungen zwischen Berlin und Ankara sind spätestens seit diesem Eklat beschädigt. Fraglich ist trotz dieser schwierigen Lage aber: Wie lange kann sich Berlin seine Zurückhaltung noch leisten?
Quelle: ntv.de