Politik

Selfies, Promis, Superreiche Der Volkskongress wird zum Roten Teppich

Posieren vor der Großen Halle. Der einst triste Volkskongress hat sich verändert.

Posieren vor der Großen Halle. Der einst triste Volkskongress hat sich verändert.

(Foto: dpa)

Der Nationale Volkskongress in China ist inzwischen Tummelplatz für Reiche und Erfolgreiche. Die Partei nutzt die exklusive Versammlung, um Multiplikatoren für ihre Botschaften zu gewinnen. Die Zielgruppe hat keine Wahl.

Jahrzehntelang waren der Nationale Volkskongress und seine begleitende Konsultativkonferenz in der Volksrepublik China völlig humorlose Veranstaltungen. Tausende namen- und gesichtlose Delegierte bildeten die Staffage eines Schauspiels, das demokratische Akte simulierte, in Wahrheit aber eine Demonstration der Allmacht der allein regierenden Kommunistischen Partei bedeutete.

Das Wesen der Veranstaltung hat sich nicht geändert. Noch immer bestimmt die Partei die Agenda und lässt bei wichtigen Themen keine andere Meinung zu als ihre eigene. Und doch erinnert die Versammlung heute eher an eine Oscar-Verleihung als an die Zusammenkunft eines bedeutenden politischen Gremiums eines autoritären Staats: Delegierte sitzen auf ihren Plätzen in der Großen Halle des Volkes und schießen Selfies. Dutzende schwerreiche Unternehmer, Weltklassesportler, bekannte Größen aus dem Showgeschäft und der Medienbranche säumen die Reihen. Und auf dem Oberrang drängen sich internationale Medienvertreter, die während der Regierungserklärung vor den Kameras der Welt in Echtzeit die Ereignisse schildern und dabei eine Unruhe verbreiten wie am Rand des roten Teppichs.

Kapital bringt Legitimation

Viel Kapital versammelt: 113 der 3000 Abgeordneten gehören zu den reichsten Chinesen.

Viel Kapital versammelt: 113 der 3000 Abgeordneten gehören zu den reichsten Chinesen.

(Foto: imago/Xinhua)

Diese Entwicklung ist das Resultat einer neuen Integrationsstrategie der Partei gebunden an eine clevere Außendarstellung, deren Dringlichkeit die Führungselite erkannt hat. Denn Chinas sogenannte Kommunisten, von denen sich die allermeisten längst zu leidenschaftlichen Kapitalisten gewandelt haben, kämpfen als eines der letzten Regime ihrer Art weltweit ums Überleben ihres Einparteiensystems. Aus dem Zerfall der Sowjetunion zogen sie ihre Konsequenzen. Im Gegensatz zu den Russen Ende der 1980er Jahre integrieren die Chinesen private Unternehmer und populäre Landsleute in ihre Entscheidungsprozesse. Zumindest sieht es so aus. Die Weichenstellung bestimmt ganz allein der harte Kern der Machtelite.

Doch die vordergründige Integration von Kapital und Prominenz verschafft der Partei zusätzliche Legitimation bei ihren mehr als 1,3 Milliarden Bürgern. Junge Menschen sehen die Stars der Internetszene wie Suchmaschinen-Milliardär Robin Li oder Startup-Held Lei Jun vom Smartphone-Hersteller Xiaomi und verbinden damit die Hoffnung auf einen Wandel der politischen Verhältnisse.

Die Regierung hofft indes, Vertrauen für die Entscheidungen des Volkskongresses einerseits und grundsätzliches Interesse an ihrer Politik andererseits wecken zu können. Die prominenten Gesichter funktionieren als Werbebande für die Botschaften der Partei. Nur wenn die Partei die Aufmerksamkeit der Leute gewinnt, kann sie ihnen glaubhaft zu vermitteln versuchen, dass sie Lösungen parat hat für die dramatischen Umweltprobleme, den wachsenden Bedarf an anspruchsvollen Arbeitsplätzen oder gegen die ungleiche Verteilung der Einkommen.

Baseballprofi sorgt sich um Volksgesundheit

Gleichzeitig nimmt die KP private Unternehmer in Geiselhaft. Sie ebnet ihnen den Weg für die Entwicklung ihrer Geschäfte und verlangt dafür im Gegenzug deren Teilnahme am Pekinger Schaulaufen. Insgesamt 113 der knapp 3000 Mitglieder des Volkskongresses und der Konsultativkonferenz, die Vorschläge in den Gesetzgebungsprozess einbringen kann, sind auf der jüngsten Hurun-Liste der reichsten Chinesen vertreten. Sie besitzen ein Gesamtvermögen von 460 Milliarden US-Dollar. Das Signal an die Bevölkerung: Treue zur Partei zahlt sich aus.

Tatsächlich dürfen die politischen Quereinsteiger Vorschläge einbringen, die Chinas Gesellschaft verändern sollen. Doch niemand wagt es dabei, die Linie der Partei mit seinen Initiativen in Frage zu stellen, geschweige denn politische Veränderungen zur Diskussion zu stellen. Der Ex-Basketballprofi Yao Ming zum Beispiel, der viele Jahre in den USA spielte, forderte chinesische Studenten dazu auf, sich mindestens in einer Sportart zu engagieren, damit die Bevölkerung körperlich besser in Form komme. Hürden-Olympiasieger Liu Xiang indes drängte Ex-Athleten zu mehr Engagement in der Sportindustrie.

Zum großen Szenario zählt wohl auch die kürzliche Veröffentlichung der Umweltdokumentation "Under the Dome" einer ehemaligen Nachrichtensprecherin des Staatsfernsehens CCTV. Vergangenen Woche wurde der Film über soziale Medien verbreitet, der sich mit der großen Sorge einer Mutter über die schlechte Luftqualität in China beschäftigt. Mutige Wahrheiten erkannten manche Kommentatoren darin, andere vermissten eine aufrichtige Ursachenforschung, die zweifellos die Regierung an den Pranger hätte stellen müssen.

Tatsächlich offenbart der Film keine Neuigkeiten über das Problem Luftverschmutzung, sondern bringt Altbekanntes emotionalisiert auf den Schirm. Der Regierung nutzt er insofern, dass sie die große Aufmerksamkeit zum Anlass nimmt, erneut ihre eigene Entschlossenheit im bereits vor einem Jahr ausgerufenen "Krieg gegen die Umweltverschmutzung" zu formulieren. Umweltminister Chen Jining sah sich sogar bewogen, der Autorin einen Dank per SMS zu schicken, weil sie das Problem erneut ins Bewusstsein der Menschen gerückt habe. Kritiker sehen darin einen plakativen Propaganda-Schachzug.

Zeitgleich servierte die Regierung die Absicht eines auf fünf Jahre angelegten Umwelt-Kontrollprojektes zur Verbesserung der Luftqualität. Die vorformulierte Antwort auf die Sorgen der Menschen sozusagen. Die zeitliche Nähe aller Ereignisse stimmt Beobachter kritisch. Der amerikanische Online-Kommentator Bill Bishop kommentierte in seinem China-Newsletter: "Ich glaube nicht an Zufälle in China."

Quelle: ntv.de

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