Politik

Wieduwilts Woche Der geschichtslose Kanzler

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Scholz hinterlässt ein kommunikatives Vakuum.

(Foto: IMAGO/Political-Moments)

In der Koalition wachsen Haarrisse zu Bruchstellen. Sie ist ideologisch uneins, sichtbare Führung fehlt, schwere Pannen häufen sich. Es ist Krise, aber Scholz findet seine Rolle nicht.

Politik im Sommer ist immer besonders. Da das politische Geschehen herunterfährt, aber die Medien weitermachen wie bisher, droht bei den dümmsten Themen Lawinengefahr. Und so haben sich sogar manche Politiker in die steindumme "Winnetou"-Debatte verlaufen - Themen, wie sie nur der Sommer gebiert.

Auch physisch fanden sich Politiker in schrägen Situationen wieder - Bundeslandwirtschaftsminister Cem Özdemir hat gerade erfolgreich eine Brezel geworfen, den Bundeskanzler sieht man mal in einem Elektro-LKW, mal zwischen den 35-Millimeter-Zwillingskanonen eines Flakpanzers oder den Brüsten politischer Aktivistinnen. Fragt man ihn, wo er sich am wohlsten fühlte, würde er wohl antworten: "In meinem Büro."

Da geht’s jetzt wieder hin: Er muss endlich Lösungen finden, denn es sieht schlecht aus. Er sieht schlecht aus, die SPD, die Ampel, Deutschland, jedenfalls aus der Binnensicht. Eigentlich profitieren Regierungen davon, wenn es extrem ungemütlich wird - doch an diesem Kanzler scheitern offenbar auch historische Konstanten.

Die Deutschen spüren den Kanzler nicht

Die Deutschen spüren den Kanzler nicht, 90 Prozent merken laut Forsa-Umfrage nichts von den milliardenschweren Entlastungen, mehr als 70 Prozent blicken gar nicht mehr durch, wo ihnen wie geholfen wird. Nun läuft das 9-Euro-Ticket, "eine der besten Ideen" (Scholz), aus und dafür kommt, uff, die Gasumlage. Sie findet in etwa so viel Anklang wie ein eingerissener Zehennagel oder ein 9-Euro-Ticket nur für Reiche. Das kommt nicht von ungefähr, denn sie ist: eine Umlage für Reiche (Energiekonzerne). Irgendwie hat man das nicht bedacht.

Die Stimmung im Land ist düster. Die Gasumlage befeuert eine deutsche Ur-Angst: die German Zukurzkomm-Angst. Diese Furcht vor dem "zu wenig" hat sich tief in unsere Kultur gefräst und zeigt immer mal wieder ihre hässliche Fratze. Sie zeigte sich in zwei Weltkriegen, in den Angriffen von Rostock-Lichtenhagen vor dreißig Jahren, in den Pegida-Protesten und jeden Tag in Gestalt einer lautstarken Minderheit von Querdenker-Wüterichen.

"Die da oben", die Ausländer und / oder die Juden nehmen uns alles weg und gießen sich selbst davon gleich doppelt ein - so geht die Denke. Dieser alten öden Erzählung ist allerdings angesichts der Maskenlosigkeit im Regierungsflieger nicht mehr viel entgegenzusetzen. Hätte Habeck bloß einen hässlichen Pulli angehabt, mag Scholz sich denken, dann wäre das vielleicht Thema gewesen.

Existenzgefährdende Situationsblindheit im Team Scholz

Wie konnte das passieren? Wie kann eine Regierung Maskenpflicht im Flieger beschließen und sich zeitgleich maskenlos in die Kabine pflanzen? Es ist in etwa so, als würde man in einem verwüsteten Flutgebiet ein adrettes Rednerpult vor einen gigantischen Schutthaufen stellen - da lacht der Armin Laschet.

Scholz und sein Kommunikationsteam leiden an Situationsblindheit, mit existenzgefährdenden Folgen. Da kann ein Palästinenserpräsident im Kanzleramt (erwartbar) den Holocaust leugnen, eine Regierungsdelegation den Sekt im Kriegsgebiet schwingen oder ein Flugzeug voll Elite angeregt und ohne Maske plaudern, irgendwie gehen diese Dinge an jenen vorbei, die an der Stelle aufpassen sollten. Warum?

Und wir stehen erst am Anfang: Die Kanzlerwerte stürzen inzwischen wie die Wirtschaftsprognosen. Es steht ein ökonomisches Mist-Jahrzehnt ins Haus. Der Huawei-Chef will, dass seinen Mitarbeitern "ein Schauer über den Rücken laufe", wurde nun bekannt.

Hohle Worte von der Spitze

Die Liberale Marie-Agnes Strack-Klartext-Zimmermann sagt es ein bisschen dezenter: Der Krieg werde "von uns allen auch persönlich Opfer erfordern, schwach sollten wir trotz alledem nicht werden". Welche Opfer bringt die Spitzenpolitik? Die Worte klingen hohl.

Tatsächlich ist eine Rezession ein guter Moment für eine Kanzler-Rede. "You will never walk alone" ist ein Trost, keine Erzählung, der Satz macht keinen Mut. Der Kanzler ist derzeit geschichtslos. Welche Rolle spielt Deutschland, der Wirtschaftsgigant des Kontinents, in Zeiten eines europäischen Krieges und einer globalen Rezession? Welche Rolle nimmt jenes Land ein, das erst durch einen Krieg auf den Pfad der Demokratie gezwungen wurde? Welche Vision hat der Staat, der seine Nachbarn im Süden während der Finanzkrise bis über die Schmerzgrenze zu Reformen zwang?

Das kommunikative Vakuum füllen, so ist das immer, andere. Die Union hat sich alle Mühe gegeben, die Ampel als Sabbel-Kabinett darzustellen, in dem viele Vorschläge kursierten, aber keine Entscheidungen fielen. Die FDP kämpft um jeden politischen Quadratzentimeter, weil sie in rot-grüner Nachbarschaft gar nicht anders kann.

Der Zauber des Anfangs ist verbraucht

Doch die Haarrisse wachsen zu Bruchstellen, die ohne ein erzählerisches Band schnell klaffen können. Politische Überzeugungen machen eben nicht gnädig Halt in der Krise: Die Liberalen pochen auf die Schuldenbremse, die Grünen wollen keine Atomkraft (die Japaner, während sie die Aufräumarbeiten in Fukushima verschieben, schon).

Ökonomen und Funktionäre aller politischen Couleur drehen die Entlastungsideen aus der Ampel öffentlich durch den Fleischwolf, während Scholz die Koalitionäre zu zähmen versucht. Still verhandeln und dann Kompromisse präsentieren, das war einmal. Man hat auch lange kein Koalitionsselfie mehr gesehen. Der Zauber des Anfangs ist verbraucht.

Demokratische Wahlen mit all ihrem Lärm und ihrer Vereinfachung sorgen normalerweise dafür, dass jemand mit zumindest ein wenig rhetorischem Rumms an die Spitze gelangt. Scholz war aber, das ist die kalte Realität, nur das geringere Übel, neben einem entgleisten Armin Laschet und einer plagiatshalber gestrauchelten Annalena Baerbock. Das rächt sich jeden Tag.

Erzählerische Leerstelle der Ampel

Der Kanzler braucht ein geschichtliches Gefäß für die mühsamen Kompromisse der ideologisch zersplitterten Ampel. Dieses Gefäß sollte einmal der "Fortschritt" sein, Scholz’ eigene Erzählung war der "Respekt für dich". Beides funktioniert nicht in Krieg und Rezession. Es entsteht eine erzählerische Leerstelle, die Bilder und Maßnahmen nicht ersetzen können, aber Pannen wie Masken und Holocaust-Relativierungen leicht füllen.

Scholz könnte inzwischen im Bambusröckchen von Panzer zu Panzer hüpfen und dem Volk Euro-Bündel zuwerfen, das alles ersetzt nicht, was fehlt: Charisma und Narrativ. Einige sehen angesichts des kommunikativen Vakuums schon länger Robert Habeck als Gefahr für den Kanzler. Doch wenn irgendwem ein Wutwinter blüht, dann ist es Robert "Gasumlage" Habeck. Und es gibt Lagen, aus denen man sich auch mit charmantem Kamerablick nicht herausnuscheln kann.

Quelle: ntv.de

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