Querulanten haben keine Chance Die CDU folgt Merkel
14.11.2011, 20:03 Uhr
Angela Merkel, klar und deutlich.
(Foto: REUTERS)
Mit großer Mehrheit beschließt der CDU-Parteitag in Leipzig die Einführung von Mindestlöhnen und stützt die Europapolitik von Bundeskanzlerin Merkel. Für die ist der Parteitag ein großer Erfolg. Denn er zeigt: Die CDU ist vielleicht nicht bereit, ihrer Chefin kritiklos zu folgen. Doch am Ende lässt sie sich doch überzeugen.
Vor der Leipziger Messe stehen Männer in orangefarbenen T-Shirts, sie verteilen Orangen. "Vitamine für die CDU!", sagt einer von ihnen. Er und seine Kollegen gehören zur "Aktion Linkstrend stoppen", einer parteiinternen Rebellenbewegung, die eine "geistige Wende" der Union fordert. Drinnen werden Projekte gerechtfertigt, mit denen die Parteispitze die konservative Seele der CDU immer wieder quält: die Energiewende, die Abschaffung der Wehrpflicht, zum Beispiel.
Weitere Qualen stehen an: der Leitantrag der Parteiführung fordert unmissverständlich "mehr Europa", Mindestlöhne im Mantel von "Lohnuntergrenzen" sind kein Tabu mehr, und die von den gymnasial ausgerichteten Bildungspolitikern der Union so geliebte Hauptschule soll zusammen mit der Realschule in der neuen Oberschule aufgehen.
Vor dem Parteitag waren Streit und Diskussionen erwartet worden, doch auf Parteitagen wird nicht in erster Linie debattiert - auf Parteitagen wird vor allem überzeugt. Das gilt besonders für Volksparteien, die sich in einem beständigen Prozess des Aushandelns befinden. Und deshalb gibt es für jeden Tabubruch ein Pflaster: Die Hauptschulen etwa werden nicht abgeschafft, weil die Union ihre Liebe zur Gemeinschaftsschule entdeckt hat, sondern weil die Schülerzahlen zurückgehen - für viele Schulen ist das Konzept der Oberschule eine Überlebensfrage.
"Ich bin für Europa"
Doch darüber soll am Dienstag gesprochen werden, heute geht es zunächst um Europa, dann um Mindestlöhne. Der Antrag zur Europapolitik fixiert im Wesentlichen, was Merkel seit Wochen predigt: europäische Integration, Verteidigung des Euro mit Rettungsschirmen, aber auch Schuldenbremsen in den europäischen Verfassungen, mehr Durchgriffsrechte für Brüssel gegen Schuldensünder und die Möglichkeit des Austritts aus der Währungsunion. Je nach Position betonen Redner das eine oder das andere.
Klaus-Peter Willsch betont etwas ganz anderes. "Ich bin für Europa, ich bin für den Euro, aber ich bin gegen Rettungsschirme", sagt der Abgeordnete, der schon im Bundestag gegen den Rettungsschirm EFSF gestimmt hatte. Die immer höheren Rettungsschirme würden nur "die Fantasie der Märkte beflügeln", meint Willsch, und er fragt, "wo soll das denn ein Ende haben, wenn wir immer mehr Geld ins Schaufenster stellen?" Willsch spricht gut, er kann reden. Dennoch bekommt er nur spärlichen Applaus.
Die Parteitagsregie hat dafür gesorgt, dass Finanzminister Wolfgang Schäuble unmittelbar auf Willsch antwortet. Die Europäische Zentralbank spiele nach den gleichen Regeln wie die Bundesbank, ruft er den Delegierten zu, auch sie operiere nur an Sekundärmärkten. Und gerade weil die Notenbank nicht die Schulden der Euro-Staaten finanzieren solle, brauche man den EFSF. "Wenn wir eine gemeinsame Währung wollen, dann müssen wir sie auch verteidigen", so Schäuble. "Nur zu sagen, was wir nicht wollen, so geht Europa nicht."
Schäuble spricht, die Augen leuchten
Schäuble verknüpft die Rettung des Euro mit der populären Forderung nach einer stärkeren Regulierung der Finanzmärkte. Auch CDU und CSU hätten auf eine Deregulierung der Finanzmärkte gesetzt, "und am Ende waren sie dereguliert und sie haben sich selbst zerstört". Sein Credo: "Freiheit gelingt nur, wenn es auch Regeln gibt, wenn es Grenzen gibt und die Regeln durchgesetzt werden." Für seine Intervention erhält Schäuble deutlichen, anschwellenden Applaus. Nach und nach stehen die Delegierten auf, schließlich stehen fast alle. Ein Delegierter dreht sich um und sagt mit leuchtenden Augen: "Toller Mann!" Merkel geht zu ihrem Finanzminister, vermutlich um ihm zu danken.

Für seine europapolitische Rede bekam Wolfgang Schäuble von den 1001 Delegierten stehende Ovationen.
(Foto: dpa)
Auch Merkel hatte Regeln für den Finanzmarkt gefordert. Ihre Begründung: "Überall findet man ein Denken, das kein Morgen kennt - ökologisch, sozial, ökonomisch. Alles hat einen Preis, aber immer weniger einen Wert." Nach kontroverser Debatte wird der Europaantrag bei neun Gegenstimmen und zehn Enthaltungen angenommen. Auch fast alle Delegierte aus Hessen und Baden-Württemberg, von denen die meisten Stimmen für die Gegenanträge gekommen waren, heben die Hand für den Antrag der Parteiführung, der eine Finanztransaktionssteuer auch für den Fall vorsieht, dass Großbritannien sich dieser Steuer weiter verschließt.
"Ein Konservativer trompetet nicht"
Den Schwerpunkt ihrer Rede hatte Merkel darauf gelegt zu vermitteln, dass ihr Kurs dem Kompass der CDU folge - Altkanzler Helmut Kohl hatte ihr im August indirekt eben diesen Kompass abgesprochen. Einen anderen bei Konservativen beliebten Vorwurf weist Verteidigungsminister Thomas de Maizière zurück. Er teile die Auffassung nicht, dass man als Konservativer in der CDU heimatlos geworden sei. "Für mich ist ein Konservativer nicht, der einen bestimmten Inhalt vertritt, sondern der eine bestimmte Haltung hat". Mit einem deutlichen Seitenhieb auf die Merkel-Kritiker fügt de Maizière hinzu, ein Konservativer "trompetet nicht durch die Gegend".
Nicht nur der Merkel-Vertraute de Maizière, auch Hessens durchaus konservativer Ministerpräsident Volker Bouffier setzt sich mit Nachdruck für die CDU-Chefin ein. Schon vor zwei Tagen hatte er der "Welt" gesagt, es seien die CDU-Sozialausschüsse gewesen, die das Thema Mindestlohn vorangetrieben hätten. "Im Nachhinein heißt es nun natürlich wieder, Angela Merkel habe von oben noch ein Thema zum Abarbeiten entdeckt", so Bouffier. "Das ist falsch."
Beim Mindestlohn ist den Vertretern der CDU-Mittelstandsvereinigung MIT am Morgen in der Messehalle trotz des Kompromisses vom Vorabend noch unklar, ob es eine oder mehrere Lohnuntergrenzen geben soll. Die Parteiführung empfiehlt schließlich einen Antragstext, der ganz auf der Linie der Bundeskanzlerin liegt: Lohnuntergrenzen soll es demnach in den Branchen geben, die sich bislang keine eigenen Tarifverträge gegeben haben, orientieren sollen sie sich nicht an der Zeitarbeit, sondern an den bereits geltenden Branchen-Mindestlöhnen. Festgelegt werden sollen die Lohnuntergrenzen von einer Kommission, die aus Vertretern von Gewerkschaften und Arbeitgebern gebildet wird. Diese Kommission soll auch Details klären, die in der CDU noch umstritten sind, etwa die Frage, ob es Differenzierungen und Ausnahmeregelungen geben soll.
"Jetzt binde ich den Sack zu"
Die Einigung ermöglicht es dem Chef der Christlich-Demokratischen Arbeitnehmerschaft (CDA), Karl-Josef Laumann, sehr grundsätzlich für die verbindliche Lohnuntergrenze zu werben. Die Abwendung von der Zeitarbeit findet er in Ordnung, zumal die anderen Branchen-Mindestlöhne teilweise darüber lägen. Eine Kröte ist für ihn die Möglichkeit zu Differenzierungen. Laumann macht dies deutlich und wirbt dennoch für den Kompromiss: "Es gibt manchmal auch einen Punkt, wo man sagen muss, jetzt binde ich den Sack zu."
Laumann betont, der Beschluss sei für die Union keine Kehrtwende. CDU-Politik sei nie gewesen, dass Menschen "von ihrer Hände Arbeit" nicht leben könnten. Jetzt kommt er in Fahrt, der Saal ist auf seiner Seite. Er hoffe, dass die Tarifparteien in der geplanten Kommission zu Regelungen kommen werden, "ansonsten fällt mir auch noch was ein, dass wir sie zwingen werden, dass sie dazu kommen". Viel Applaus, stehende Ovationen wie bei Schäuble. Weitere Redner stützen seine Position, darunter Bouffier und Arbeitsminister Ursula von der Leyen. Der Chef der CDU-Mittelstandsvereinigung Josef Schlarmann kommt nicht einmal mehr zu Wort. Er hatte den Kompromiss zwar mit ausgehandelt, die ganze Debatte am Vormittag jedoch noch "völlig überflüssig" genannt. Damit macht er sich zum Verlierer: Der Antrag zur Einführung von Lohnuntergrenzen wird bei neun Gegenstimmen und acht Enthaltungen angenommen.
Von den morgens verteilten Apfelsinen schaffen es nur wenige in die Messehalle. Wer eine genommen hat, muss sie wenige Meter weiter an der Eingangskontrolle abgeben - sie könnten als Wurfgeschosse verwendet werden, sagt ein Sicherheitsmann zur Begründung. Was geschieht mit den Orangen? Sie werden weggeworfen. Querulanten haben in Leipzig keine Chance.
Quelle: ntv.de