Politik

Merkelsche Dialektik "Wir jammern nicht, wir nörgeln nicht"

Pflegt die Wunden der Partei: Angela Merkel.

Pflegt die Wunden der Partei: Angela Merkel.

(Foto: dapd)

Mit ihrer Europapolitik und den geplanten Mindestlöhnen mutet CDU-Chefin Merkel ihrer Partei einiges zu. Auf dem Parteitag in Leipzig gibt sie sich größte Mühe, ihren Kurs in die Tradition der Union zu setzen. Gerade Linie statt Zickzack-Kurs, klarer Kompass statt permanenter Kehrwende. Bei den Delegierten scheint die Botschaft anzukommen.

Acht Jahre nach der neoliberalen Wende auf dem CDU-Parteitag in Leipzig steht Parteichefin wieder am Pult, um die Delegierten von einem Kurswechsel zu überzeugen. Sie tut es engagiert und selbstbewusst: Kurswechsel? Nicht doch!

Merkel stellt die Union als Partei dar, die es immer wieder geschafft habe, die richtigen Antworten in einer sich verändernden Welt zu finden. Als Parole für den Parteitag gibt sie aus: "Wir verzagen nicht, wir jammern nicht, wir nörgeln nicht."

Die zahlreichen Kurswechsel der CDU versucht die Kanzlerin in den Rahmen einer großen Erzählung zu stellen. Denn die Wunden sind noch immer nicht verheilt: Obwohl die entsprechenden Beschlüsse längst Regierungshandeln geworden sind, gehört die Rechtfertigung der Energiewende und der Abschaffung der Wehrpflicht noch immer zum Standardrepertoire von Reden auf CDU-Parteitagen. Die "Idee des Staatsbürgers in Uniform" sei keine Idee, die die CDU nicht mehr berühre, formuliert Merkel.

"Zeiten epochaler Veränderung"

Blick in den Saal.

Blick in den Saal.

(Foto: REUTERS)

Indirekt nimmt die Kanzlerin für sich in Anspruch, vor größeren Herausforderungen zu stehen als ihre Vorgänger: "Wir leben in Zeiten epochaler Veränderung", sagt sie. Als Schlagworte nennt sie den Tahrir-Platz, auch das Internet sowie die Überschreitung der Sieben-Milliarden-Schwelle der Weltbevölkerung. Die "Antworten von heute" seien nicht die gleichen wie die Antworten vor 30 oder 60 Jahren. "Immer wenn wir erfolgreich waren, haben wir es anders gemacht", beschwört Merkel die Delegierten.

Sie betont, Veränderungen seien nur möglich gewesen, "weil wir einen festen Kompass, ein festes Wertefundament haben" - als da seien Freiheit, Solidarität und Gerechtigkeit sowie der Ausgleich von "Arbeit und Kapital, wirtschaftlicher Vernunft und sozialer Gerechtigkeit". "Alles bestimmend" aber sei das christliche Menschenbild der CDU.

Der Ausbau der Kinderbetreuung sei richtig gewesen, knüpft Merkel an ein Thema an, mit dem die Modernisierung der CDU erst so richtig angefangen hatte. Doch jetzt sei es auch richtig, "den Eltern, die sich entschieden haben, ihre Kinder zuhause zu erziehen, ein Zeichen zu geben" - sprich: 100 Euro dafür, dass sie ihre Kinder zuhause lassen. Auch den bildungspolitischen Antrag der CDU begründet Merkel mit einer Anpassung an veränderte Zeiten: Schließlich wollten viele Bürgermeister ihre Schule vor Ort behalten, auch bei sinkenden Schülerzahlen. Den von Bildungsministerin Annette Schavan eingeleiteten Kurswechsel in der Bildungspolitik - Haupt- und Realschulen sollen zu Mittelschulen zusammengelegt werden - begründet sie also nicht bildungspolitisch, sondern höchst pragmatisch.

Gleiches gilt für den , ein Thema, zu dem erst am Vorabend ein Kompromiss erzielt worden war. Heute seien "längst nicht mehr" so viele Beschäftigungsverhältnisse von der Tarifautonomie erfasst wie früher. "Deshalb sagen wir: Wir wollen da eine Lohnuntergrenze, wo es keine Tarifverträge gibt."

Merkelsche Dialektik

Details des Mindestlohn-Kompromisses müssen nach Merkels Rede noch hinter den Kulissen verhandelt werden. Doch klar ist jetzt schon, dass es eine breite Mehrheit geben wird, denn sowohl der ewige Merkel-Kritiker und Chef der CDU-Mittelstandsvereinigung Josef Schlarmann als auch der Arbeitnehmerflügel unter Karl-Josef Laumann sind mit dem Ergebnis mehr oder weniger zufrieden. Wobei Schlarmann allerdings betont, dass die Debatte über die Lohnuntergrenzen "völlig überflüssig" gewesen sei.

Die Mindestlohn-Regelung ist ist ein Kompromiss.

Die Mindestlohn-Regelung ist ist ein Kompromiss.

(Foto: dpa)

In der Debatte über die Mindestlöhne hatte Merkel sich die Argumente des Wirtschaftsflügels zu eigen gemacht - und so eine Position durchgedrückt, die vom Arbeitnehmerflügel vertreten wurde. Mit dieser Dialektik vertritt sie auch ihre Europapolitik.

Dazu nimmt Merkel Anleihen bei der Ökologie-Bewegung. Seit 1987 berechnen Wissenschaftler den Tag im Jahr, an dem die Menschheit die regenerativen Ressourcen verbraucht haben wird - rein statistisch betrachtet also der Termin, von dem an auf Kosten der Nachwelt konsumiert wird. Dieser "Earth Overshoot Day" war 1987 am 19. Dezember, 2011 bereits am 27. September. Die Menschheit wisse, dass sie über ihre Verhältnisse lebe, betont Merkel. Und fragt: "Warum fällt es uns so unglaublich schwer, dieses Wissen auch in Handeln umzusetzen?"

Die Botschaft kommt an

Die Antwort gibt Merkel selbst: Der Mensch brauche nicht nur Einsicht, sondern auch einen Anlass, sagten Forscher der Columbia-Universität. Die Schuldenkrise sei so ein Anlass, ein Wendepunkt "in der Art, wie wir unsere Politik gestalten".

Die Botschaft kommt an. Für die Wiederholung ihres umstrittenen Satzes, "scheitert der Euro, dann scheitert Europa" erhält Merkel viel Applaus, ebenso für die Aussage, dass die Antwort auf die Schuldenkrise "mehr Europa" sein müsse. Die europäischen Verträge sollten "zu wirklicher gemeinsamer Verantwortung" verändert werden. Gemeint ist, dass Schuldenstaaten die freiwillige Möglichkeit zum Austritt aus dem Euro bekommen sollen und dass Schuldensünder damit rechnen müssen, ihre Haushaltshoheit an Brüssel zu verlieren. "Wir alle sind Teil einer europäischen Innenpolitik, und wir fangen erst jetzt an zu verstehen, was das für unser Denken und Handeln jeden Tag bedeutet."

Gefunden an einem Stand der CDU-Gruppe "Aktion Linkstrend stoppen".

Gefunden an einem Stand der CDU-Gruppe "Aktion Linkstrend stoppen".

(Foto: dapd)

Beifall gibt es auch für die Absage an Eurobonds - und für diesen Satz: "Wir brauchen eine Finanzmarkttransaktionssteuer, und wenn es global nicht geht und wenn es in Europa nicht geht, dann wenigstens im Euro-Raum". Noch vor acht Jahren wäre ein solcher Satz undenkbar gewesen, die CDU hat sich stark verändert seit 2003. Was für viele Beobachter in und außerhalb der CDU wie ein Zickzack-Kurs aussieht, ist aus Merkels Sicht eine klare Linie. "Deutschland kann mehr" sei der Kernsatz des Leipziger Parteitags 2003 gewesen. "Heute können wir sagen: Wir haben dieses Ziel erreicht."

Quelle: ntv.de

Newsletter
Ich möchte gerne Nachrichten und redaktionelle Artikel von der n-tv Nachrichtenfernsehen GmbH per E-Mail erhalten.
Nicht mehr anzeigen