Politik

Mehr Fragen als Antworten Die Uran-Lüge

Nahezu 100 Prozent des Urans für die deutschen Kernkraftwerke müssen importiert werden. Dennoch stellt das Bundeswirtschaftsministerium Uran als einheimischen Energieträger dar. Und das ist nicht die einzige Ungereimtheit beim Thema Uran.

Als Russland im vergangenen Winter der Ukraine und damit auch Zentraleuropa den Gashahn abdrehte, forderte der damalige Bundeswirtschaftsminister Michael Glos eine Verlängerung der Laufzeiten der deutschen Kernkraftwerke. Dadurch wollte er die Energie-Abhängigkeit von Russland verringern.

Glos ist mittlerweile nur noch einfacher Bundestagsabgeordneter, doch wird sich zweifellos auch beim nächsten Gasstreit jemand finden, der diese Forderung wiederholt. Und dabei ignoriert, dass auch Kernkraftwerke auf einen Brennstoff angewiesen sind: Uran.

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August 2009: Flutung im einstigen Uranbergwerk im sächsischen Königstein. Diese Grube begann 1967 mit der Uran-Förderung.

(Foto: picture-alliance/ dpa)

Wie unabhängig ist Deutschland beim Uran? Wer beim Bundeswirtschaftsministerium nach einer Antwort auf diese Frage sucht, kann sich schnell beruhigen lassen. Nach Ansicht des Ministeriums ist Kernenergie "praktisch eine heimische Energieform", da "Urananreicherung und Brennelementfertigung inländische Wertschöpfungsstufen sind", bzw. eine "quasi einheimische Energie, weil die Veredelung des Urans in Deutschland erfolgt".

Mal abgesehen davon, dass Uran - wie das Wirtschaftsministerium uns mitteilt - "insbesondere in Form von fertigen Brennelementen für Kernkraftwerke" importiert wird: Mit Floskeln wie "praktisch heimisch" oder "quasi einheimisch" geht das Haus recht flott über die Tatsache hinweg, dass Deutschland seit 1989 keinen Uranabbau mehr betreibt. Zwar fallen bei der Sanierung der ehemaligen "Sowjetisch-Deutschen Aktiengesellschaft Wismut" jährlich ein paar Tonnen Uran an. Aber das reicht bei weitem nicht, um den Bedarf der deutschen Atomkraftwerke zu decken. Ähnlich wie beim Öl und noch stärker als beim Gas ist Deutschland beim Uran praktisch vollständig importabhängig.

Woher kommt nun das Uran für die deutschen Kernkraftwerke? Das Bundeswirtschaftsministerium erklärt im Internet lapidar: "Die Uran-Versorgungssicherheit ist im Vergleich zu Gas und Öl sehr hoch, da die Uranreserven in überwiegend politisch stabilen Regionen (z.B. Kanada, Australien, Südafrika) liegen". Eine ähnliche Antwort erhalten wir auf eine direkte Anfrage beim Ministerium: Zahlen gibt es zunächst keine, genannt werden Kanada, Großbritannien, Frankreich, Russland und die USA - "mit jährlich wechselnden prozentualen Anteilen".

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Astrid Schneider ist Sprecherin der Bundesarbeitsgemeinschaft Energie der Grünen.

"Volksverdummung"

Die Berliner Grünen-Politikerin Astrid Schneider hält das für Volksverdummung: "In Frankreich und England wird kein Uran gefördert, sie sind selbst zu 100 Prozent importabhängig." Uran wird nach Angaben der Internationalen Atomenergie-Agentur (IAEA) in 18 Ländern abgebaut. Frankreich und Großbritannien sind nicht darunter: Wenn Deutschland Uran aus Frankreich und Großbritannien erhält, so handelt es sich nicht um britisches oder französisches Uran, sondern um Uran, das von französischen oder britischen Firmen geliefert wird, etwa der französischen Areva, die einen Großteil ihres Urans im Niger abbaut. Das afrikanische Land steht auf der Liste der sieben Länder, die 90 Prozent des weltweiten Uranbedarfs fördern: Vorneweg Kanada und Kasachstan, dann Australien, Namibia, Russland, Niger und Usbekistan. Seltsamerweise tauchen Länder wie Kasachstan, Niger und Usbekistan in der Liste des Wirtschaftsministeriums nicht auf.

Schneider wirft dem Bundeswirtschaftsministerium vor, "systematisch alle Daten zur Uranherkunft für deutsche Atomkraftwerke" zu verheimlichen. Dabei verweist sie auf eine Statistik der Euratom Supply Agency. Danach kamen im vergangenen Jahr zwei Drittel des in die EU importierten Urans aus Kanada, Russland, Australien und Niger. 17 Prozent kamen aus Russland. Die EU-Behörde gibt offen zu, dass sie gar nicht weiß, ob dieses Uran wirklich aus Russland stammt: Da aus Russland häufig "angereichertes Uran oder sogar fertige Brennelemente" kämen, sei es "schlicht unmöglich die genaue Herkunft des Urans in diesen Produkten festzustellen". Uran, das als "russisch" deklariert werde, könne ebenso gut aus Kasachstan, der Ukraine oder Usbekistan kommen. Zusätzlich zu den 17 Prozent Uran aus Russland stammen laut Euratom Supply Agency insgesamt 12 Prozent aus Kasachstan und Usbekistan. Nur zwei Prozent des EU-Bedarfs kamen aus den USA.

1.2-3 auf Seite 251

In einer Broschüre des Wirtschaftsministeriums aus dem Jahr 2008 heißt es, Deutschland beziehe "fast 50 Prozent des Natururans aus Kanada". Konkretere Zahlen bekommen wir nicht, was erstaunlich ist, wird doch der Im- und Export von Uran vom Bundesamt für Wirtschaft und Ausfuhrkontrolle überwacht.

Wir fragen beim Ministerium nach und erhalten den Hinweis auf eine Tabelle im Jahresbericht "Umweltradioaktivität und Strahlenbelastung" (zu finden unter Punkt 1.2-3, Seite 251) des Bundesamtes für Strahlenschutz von 2007. Dies sei der aktuellste Bericht. Dort ist kiloweise aufgeführt, wie viel Uran Deutschland aus welchen Ländern bezogen hat. Kanada bringt es lediglich auf ein Kilo abgereichertes und 603.504 Kilo Natur-Uran. Damit liegt das Land allerdings noch hinter Frankreich und Großbritannien - auf 50 Prozent kommt Kanada auch nicht annähernd.

"Wir sind beim Uran nicht nur zu 100 Prozent importabhängig von zumindest teilweise problematischen Staaten", sagt Schneider, "sondern auch abhängig von einem hoch volatilen Markt." Als "Extrembeispiel" verweist die Sprecherin der Grünen-Bundesarbeitsgemeinschaft Energie auf den Sommer 2007, "als der Uranpreis kurzzeitig um 1300 Prozent nach oben schoss".

Lager und Vorräte

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Aktive Uran-Minen gibt es nur in 18 Ländern der Welt, unter anderem den USA.

(Foto: ASSOCIATED PRESS)

Das Bundeswirtschaftsministerium behauptet, dass der Brennstoff Uran "wegen seiner sehr hohen Energiedichte und daraus resultierenden geringen Menge für die Reaktoren für viele Jahre vorrätig gelagert werden kann". Kann. Aber wird er auch? Das Wirtschaftsministerium sagt, die in den deutschen Atomanlagen gelagerten Mengen würden "durch die Bundesregierung nicht statistisch erfasst". Es sei aber "davon auszugehen, dass das vorhandene Uran auf allen Stufen für mindestens 3-4 Jahre reicht". Laut Uranium-Redbook, das von der IAEA und der Nuclear Energy Agency herausgegeben wird, lagert in Deutschland Uran für ein knappes Jahr. Schneider geht sogar davon aus, dass es noch weniger ist; sie nimmt an, dass in den Mengen, die im Redbook genannt werden, auch das Uran enthalten ist, das im westfälischen Gronau lagert. Dort betreibt die Firma Urenco für Deutschland und andere europäische Staaten die Anreicherung.

"Die westliche Atomwirtschaft steht auf äußerst wackeligen Beinen", sagt Astrid Schneider. Ihr "Kernproblem" sei, dass der Uranbedarf der heute laufenden Kernkraftwerke nur zu 60 Prozent aus aktueller Uranförderung bedient werde, zu 40 Prozent jedoch aus Lagerbeständen. Dieser Anteil sei nicht langfristig gesichert, weil ein Abrüstungsvertrag mit dem schönen Namen "HEU-LEU" zwischen den USA und Russland, der den USA einen Zugriff auf abgereichertes Uran aus abgerüsteten russischen Atomwaffen zu günstigen Konditionen sichert, 2013 ausläuft.

Das Bundeswirtschaftsministerium hält dagegen, die weltweiten Uran-Vorräte reichten noch für 200 Jahre. Der Streit erinnert an die Debatte um Peak Oil. Die Association for the Study of Peak Oil and Gas" (ASPO) geht davon aus, dass die Uran-Vorräte "für die heute eingesetzten Kraftwerkstypen" weniger als 100 Jahre reichen werden, Greenpeace zufolge könnten die Uranvorräte je nach Szenario zwischen 2026 und 2070 erschöpft sein. Sicher ist, dass allein der Uran-Abbau Kernenergie ökologisch hochproblematisch macht. Glos und Co. haben zweifellos recht, wenn sie sagen, dass wir Alternativen zu Öl und Gas brauchen. Aber Uran? Eher nicht.

Quelle: ntv.de

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