Ampel vor Richtungsentscheidung Dürr: "Lasst uns Regeln abschaffen"
01.11.2024, 05:32 Uhr
Schluss mit deutschen Sonderwegen in der Energiepolitik, sagt FDP-Fraktionschef Dürr.
(Foto: picture alliance / Geisler-Fotopress)
Der November wird zum Monat der Entscheidungen für die Ampel-Koalition. An der Wirtschaftskrise könnte sie zerbrechen. Wie die deutsche Wirtschaft zu retten ist, darüber diskutieren die Gäste bei Maybrit Illner.
Die Kritik an der Ampel-Koalition reißt nicht ab. Es herrsche keine Kommunikation mehr, die drei Ampelparteien befänden sich bereits im Wahlkampfmodus, so lautet die Kritik. Wer am Abend der SPD-Chefin Saskia Esken und dem FDP-Fraktionsvorsitzenden Christian Dürr zuhört, gewinnt den Eindruck: Da haben zwei Politiker Kreide gefressen. Vielleicht haben die Ampel-Koalitionäre eingesehen, dass sie in den vergangenen Tagen so ziemlich alles falsch gemacht haben.
Am Dienstag hatte sich Bundeskanzler Olaf Scholz mit Vertretern der Großindustrie getroffen, davor gab es einen Gipfel mit Finanzminister Christian Lindner von der FDP und Vertretern des Mittelstandes. Scholz habe sich mit Industrievertretern getroffen, weil er sich informieren wollte, erklärt Esken, das sei üblich in der Politik. Das sei auch das Ziel von Lindner gewesen, beschwichtigt Dürr die Kritik an seinem Parteichef. Dass beide Treffen am selben Tag stattgefunden hätten, habe sie seltsam gefunden, sagt Esken. Mehr Kritik äußert sie nicht.
Zwischen den beiden fällt in dieser Sendung kein böses Wort. Es gibt keinen Streit. Man diskutiert lösungsorientiert. Als Zuschauer gewinnt man den Eindruck: Da haben zwei Parteipolitiker erkannt, dass sie den Bogen überspannt haben - und ein Ampel-Aus vielleicht nicht die beste Lösung wäre. Ob der Frieden lange hält, ist fraglich. Aber dass die Ampel-Koalition schon am kommenden Montag auseinanderbrechen könnte, wie am Morgen im Podcast von Politico zu hören war, ist nach der Diskussion bei Maybrit Illner im ZDF sehr unwahrscheinlich. Die Moderatorin bespricht mit ihren Gästen Wege aus der Wirtschaftskrise, unter der vor allem die Autoindustrie zu leiden hat.
Der "Gipfelirrsinn" geht weiter
Wenn der Liberale Dürr eine Frage beantworten soll, lässt er sich sehr viel Zeit. Das passiert auch, als Maybrit Illner von ihm wissen will, wie lange der "Gipfelirrsinn" der Ampel-Koalition noch weitergehen soll. Dürr beschwichtigt erst mal: Die FDP komme regelmäßig mit Wirtschaftsvertretern zusammen, und das am Dienstag sei eigentlich nichts Besonderes gewesen. Vielleicht hat er da sogar recht. Doch dann hätte es der medialen Selbstinszenierung von Parteichef Lindner nicht bedurft.
Schon seit zehn Jahren falle Deutschland in Sachen Wettbewerbsfähigkeit zurück, sagt Dürr dann. "Jetzt ist es Spitz auf Knopf. Aber ich glaube, dass jetzt der Zeitpunkt gekommen ist, wirkliche marktwirtschaftliche Reformen zu machen, und ich würde mich freuen, wenn sich die Regierung darauf einigen kann", so der FDP-Politiker.
Tatsächlich gibt es in der Ampel-Koalition verschiedene Konzepte, welche Reformen das sein könnten und wie sie umgesetzt werden müssten. Vor allem Grüne und FDP sind sich nicht einig. Während Bundeswirtschaftsminister Robert Habeck von den Grünen staatliche Subventionen für die Wirtschaft fordert, will die FDP vor allem eine Steuerreform, mit der Großindustrie und Mittelstand gefördert werden sollen. Nur kurz klingt an diesem Abend an, dass es vor allem bei VW auch Fehler der Unternehmungsleitung gegeben hat, die den Umstieg auf die Elektromobilität buchstäblich verschlafen hat.
Esken hört mehr zu und redet weniger
Dürr geht an diesem Abend so weit, dass er sogar den Wirtschaftsminister lobt. Der habe die Abschaffung des Lieferkettengesetzes gefordert, das sich als ein für viele Kleinunternehmen kaum zu bewältigender bürokratischer Koloss herausgestellt hat. Aus den bisherigen Gipfeln, denen am Montag ein weiterer mit Christian Lindner und am 15. November einer im Kanzleramt folgen werden, müsse eine Wachstumsinitiative herauskommen, die ein Stückchen größer sei als das, was bisher vereinbart worden sei, fordert die SPD-Chefin, die an diesem Abend mehr zuhört, als redet.
"Reden hilft", sagt die IG-Metall-Vorsitzende Christiane Benner. "Es geht darum, wie wir die Industrie in diesem Land stärken können. Denn die kann eine Menge." Es gehe um den Erhalt von gut bezahlten Arbeitsplätzen, sagt die Gewerkschafterin. Und es gehe darum, dass die Unternehmen und die Beschäftigten Planungssicherheit hätten. "Ich glaube, dass wir die Zeit nicht mehr in Gipfeln verplempern sollten, sondern den Ernst der Lage aufgreifen", wünscht sich Handwerkspräsident Jörg Dittrich. Jetzt müsse ein Plan auf den Tisch. Die Regierung habe eine Verantwortung übernommen. "Es ist die klare Erwartung, dass jetzt ein einheitlich abgestimmtes Konzept kommt. Und da helfen uns weitere Gesprächsrunden nicht weiter", sagt Dittrich.
Dürr wird konkreter: "Wir stehen vor einer Richtungsentscheidung, die wir jetzt treffen müssen", sagt er. Dabei gehe es um die Frage, ob man einen staatlichen Weg mit Subventionen oder einen marktwirtschaftlichen Weg gehen wolle. "Das wäre ein Weg, der auf Deregulierung setzt, der bürokratisch entlastet und der auf steuerliche Entlastungen setzt." Er sei dafür, dass die Kräfte der Marktwirtschaft wieder geweckt werden. "Die Rahmenbedingungen für gutes Investment müssen wieder her, und das ist die entscheidende Frage jetzt im November."
Erste Schritte, weitere müssen folgen
Die ersten Schritte sei die Ampel bereits gegangen. Über weitere müsse geredet werden. Zum Beispiel bei der Energiepolitik. Da dürfe Deutschland keine Sonderwege mehr gehen. "Wenn diese Regierung es hinbekommt, die Energiepolitik marktwirtschaftlich auszurichten, ohne Denkverbote bei Technologien, hätten wir verdammt viel für den Standort erreicht", sagt er. Die Bundesregierung habe gerade das große Bürokratie-Entlastungspaket beschlossen. Das würde 3,6 Milliarden Euro Entlastung für die Wirtschaft bringen, ohne Steuergelder anzugreifen. "Das reicht aber nicht, denn aus Brüssel kommen gerade vier Milliarden auf die deutsche Wirtschaft zu. Das kostet den Standort Geld, deswegen wird in Deutschland nicht investiert."
Darum fordert Dürr: "Lasst uns Regeln abschaffen." Damit meint er auch Regeln, die aus der EU kommen. In diesem Zusammenhang kritisiert Dürr auch die Arbeit von EU-Kommissionspräsidentin Ursula von der Leyen. Dürr: "Wenn wir es schaffen, wirklich den Durchbruch bei überflüssigen Regeln in Deutschland zu schaffen, dann ist dieser Standort wieder investitionsfähig. Dafür müssen wir auch keine Schuldenbremse aufheben, dafür müssen wir einfach Mut in der Politik haben. Wir sind jetzt in der Entscheidungsphase, das auch zu machen. Es ist viel geredet worden, jetzt muss die Regierung auch handeln. Diese marktwirtschaftlichen Reformen müssen kommen."
Quelle: ntv.de