"Einziger Fan im ganzen Bundestag" Ein Linker findet Biermann klasse
08.11.2014, 12:49 Uhr
Richard Pitterle, dritte Reihe (Zweiter von links), mag die Lieder von Wolf Biermann. Dessen Auftritt im Bundestag und seine Kritik an den Linken nahm er deshalb gelassen hin.
(Foto: picture alliance / dpa)
Nur mühsam lässt die Fraktion um Gregor Gysi den Auftritt Wolf Biermanns im Bundestag über sich ergehen. Doch einem Linken-Abgeordneten gefällt der Liedvortrag. Richard Pitterle singt mit - und nimmt Biermann später sogar in Schutz.
Ernst, missmutig, fast beschämt sitzen sie da. Die Abgeordneten der Linken verfolgen den zehnminütigen Auftritt Wolf Biermanns im Bundestag mit versteinerten Mienen. Doch während sie mit den bissigen Attacken des früheren DDR-Liedermachers hadern, fällt ein Fraktionsmitglied aus der Reihe. Richard Pitterle grinst. Als Biermann sein Lied "Ermutigung" anstimmt, trommeln seine Hände rhythmisch auf dem Tisch. Der textsichere Pitterle singt sogar leise mit. Was war denn da los?
"Es wäre eine Illusion zu glauben, dass Biermann im Bundestag nur singt. Wer ihn kennt, der weiß, dass es anders läuft", sagt Pitterle, der dem 76-Jährigen vor seinem Auftritt die Hand gab und ihn später auch persönlich verabschiedete. "Ich habe das mit Gelassenheit hingenommen, ich bin kein Biermann-Fan, aber großer Fan seiner Lieder - vielleicht der einzige im ganzen Bundestag."
Ein Blick zurück: Im Januar 1990, ein knappes Jahr bevor er in die PDS eintritt, besuchte Pitterle ein Konzert des Liedermachers an der Technischen Universität Dresden. "Ich erinnere mich genau, damals hat Biermann für eine selbstständige demokratische DDR gesungen. Die 2000 jungen Leute, die da waren, fanden es super", erzählt Pitterle, der viele Biermann-Lieder auswendig zitieren kann. Erst vor ein paar Wochen hat er den früheren Systemkritiker persönlich kennengelernt. Bei einer Veranstaltung der Kreditanstalt für Wiederaufbau zur Deutschen Einheit in Berlin kamen sie ins Gespräch.
"So links wie ich mal war, ..."
"Ich habe Biermann angesprochen, weil ich seine Lieder immer schon gut fand", erzählt Pitterle. Er habe Biermann von seiner Kindheit erzählt. Pitterle wurde 1959 in der früheren Tschechoslowakei geboren, mit seinen Eltern siedelte er später nach Baden-Württemberg um. Biermann war beeindruckt von Pitterles Werdegang, dennoch habe er ordentlich gegen die Linkspartei ausgeteilt. "So links wie ich mal war, werden Sie nie werden", wettert er.
Pitterle hat sogar ein bisschen Verständnis für Biermanns Verbitterung. "Seine Ausbürgerung war ein enormer Einschnitt für ihn." Wenn ein Künstler aus seinem Umfeld rausgerissen werde, sei das schlimm und durch nichts zu rechtfertigen. Ob das Biermanns Tiraden gegen die Linken-Fraktion entschuldigt? "Wenn ich Opfer des politischen Unrechts der DDR wäre, dann würde es für mich auch so aussehen, als ob das die Erben derer sind, die mich drangsaliert haben", sagt Pitterle, fügt aber gleich hinzu: "Rechtlich ist die Linke zwar die Nachfolgepartei der SED, aber wir haben das politische Erbe längst über Bord geschmissen." Durch seine Biografie fehle Biermann vermutlich die Kraft zu differenzieren.
Ärger mit dem Chef?
Den Unmut in seiner Fraktion über Biermanns Auftritt kann Pitterle jedoch ebenfalls gut nachvollziehen. "Wer lässt sich schon gerne beschimpfen? So masochistisch ist niemand veranlagt." Biermanns musikalischer Beitrag hat ihm gefallen, seine Kritik sei ihm jedoch zu einseitig gewesen. "Der frühere Biermann hätte im Bundestag etwas zum Streik der Lokomotivführer gesagt", sagt er.
Den Vorwurf, die eigene Geschichte nicht aufgearbeitet zu haben, hält Pitterle inzwischen für ernüchternd. Er fahre regelmäßig mit Besuchergruppen ins Stasi-Gefängnis nach Hohenschönhausen. Die pauschale Linken-Schelte sei unangebracht. "Ich bin nicht in der DDR, sondern in der Tschechoslowakei aufgewachsen und habe mich in der Bundesrepublik wie viele meiner Kollegen in der antifaschistischen Bewegung engagiert. Mit Biermanns Drachen haben wir nichts zu tun."
Den Ärger seiner Kollegen zog sich Pitterle angeblich nicht zu. Fernsehbilder zeigen: Einmal dreht sich Fraktionschef Gregor Gysi zu ihm um und murmelt etwas in seine Richtung. Doch Pitterle lacht und singt weiter. Gab's etwa Ärger vom Chef? Ne, erklärt Pitterle, Gysi sei nur überrascht gewesen, dass er den Text so gut kennt.
"Du, lass dich nicht verbittern", sang Biermann in seinem Lied "Ermutigung" im Bundestag. Aus Sicht Pitterles zeigt dessen Kritik an seiner Partei, dass er sich davon selbst nicht immer leiten ließe. Dennoch reichte der Linken-Abgeordnete als einziger aus seiner Fraktion dem Gast später die Hand. "Ich habe ihm auch gesagt, dass ich seine Worte überzogen fand." Und Biermann? "Er hat es nicht eingesehen."
Quelle: ntv.de