Politik

"Der Feind weiß, wo wir sind" Ein deutscher Löschroboter schützt ukrainische Lebensretter

Ukrainische Retter riskieren nach russischen Raketenangriffen im Einsatz ihr Leben.

Ukrainische Retter riskieren nach russischen Raketenangriffen im Einsatz ihr Leben.

(Foto: IMAGO/NurPhoto)

Bei ihren Einsätzen nach russischen Luftangriffen riskieren ukrainische Feuerwehrleute täglich ihr Leben. Ein Roboter aus Deutschland soll sie in Zukunft besser vor zweiten Attacken, Explosionen und einstürzenden Trümmern schützen. Mit der anspruchsvollen Technik werden sie zu Pionieren in der Brandbekämpfung.

Wenn man darüber nachdenkt, macht die Stille natürlich Sinn. Zwischen den Rufen der Rettungskräfte, dem Krachen, wenn hastig die von der Explosion versprengten Mauerstücke beiseite geräumt werden. Zwischen die Berichte der Augenzeugen des Raketeneinschlags und dem Flehen der Geretteten, die unter dem Schuttberg noch Opfer wähnen - Angehörige, Nachbarn. Zwischen all dem Aufgeregten, Erschütterten, Lauten macht es Sinn, einen Moment der Stille einzuziehen. "Wir tun das immer wieder", sagt Inna, Feuerwehrfrau aus dem Osten der Ukraine. "Auch wenn die Bergungsarbeiten schon in vollem Gange sind. Eine Minute Stille, um zu lauschen, ob vielleicht Stimmen hörbar sind, von irgendwoher unterm Schutt."

Zu den durchtriebensten Kriegstaktiken der russischen Truppen in der Ukraine gehört es, Jagd auf Rettungskräfte wie die Anfang 20-jährige Inna zu machen. Wenn etwa eine halbe Stunde vergangen ist, seit die Bombe der Russen das Wohnhaus, den Supermarkt, die Klinik getroffen hat, wenn die Rettungskräfte eingetroffen sind und versuchen, das Feuer zu löschen und Überlebende aus den Trümmern zu retten, dann greifen die Russen ein zweites Mal an. Eine gezielte zweite Attacke, um die Retterinnen und Retter zu töten, Hilfe für die Opfer zu unterbinden, um Hoffnung und Lebensmut vor Ort auf unter null zu senken.

Die neue Technik kommt aus Vechta

Die gute Nachricht: Seit einiger Zeit gibt es mehr Hoffnung und womöglich bessere Chancen für ukrainische Rettungskräfte, ihren riskanten Einsatz nach einem russischen Luftangriff zu überleben. Dank Technik aus Deutschland. Der "Wolf", ein Löschroboter im niedersächsischen Vechta entwickelt, kann ferngesteuert ukrainischen Feuerwehrleuten den Teil ihres Einsatzes abnehmen, der am allergefährlichsten ist: unmittelbare Brandbekämpfung, Rettungs- und Räumarbeiten am Ort des Raketeneinschlags.

Der Löschassistent in einer Übung

Der Löschassistent in einer Übung

(Foto: Alpha Robotics / Mathias Seyfert)

In Größe und Form erinnert der "Wolf" an einen Aufsitzrasenmäher. Bewegt wird er von zwei Motoren, die bis zu vier Tonnen Zugkraft entwickeln. Vier statische Kameras zeigen der Person am Steuerungs-Controller, wohin sich der Wolf bewegt. Am Löschwerfer sind weitere Kameras montiert. Auch deren Bilder landen auf dem Display der Rettungskraft, die den Einsatz des Lösch-Assistenten so aus vielen Blickwinkeln heraus überwacht, und zwar - das ist das wichtigste Ziel des Projekts: aus sicherer Entfernung.

Feuerwehrfrau Inna schätzt besonders "die Drohnen, die man gemeinsam mit dem 'Wolf' einsetzt und die in Räumlichkeiten einfliegen können". Nach dem Einschlag einer Rakete ist das, was vom Gebäude stehenblieb, noch immer in Bewegung. Rutscht nach, stürzt weiter ein. Wer soll dort hineingehen, um sein eigenes Leben für Eingeschlossene aufs Spiel zu setzen? Das übernehmen die Drohnen, die wie der "Wolf" mit der Vehicle Command Unit, der Leitstelle, verbunden sind. "In solch schwierigen Situationen ersetzt das System den Menschen", sagt Inna. Ihre Kollegin Olena kann es kaum erwarten, den "Wolf" im Einsatz zu führen. "Wenn du das Gerät kennenlernst und weißt, was es kann, wirst du ganz verrückt danach, es einzusetzen."

Die Helfer sollen ihren Einsatz überleben

Begeisterung für die neue Technik brauchen die deutschen Unterstützer dringend, um das Projekt zum Erfolg zu führen. Denn es geht nicht um etwas Material, das in die Ukraine geliefert wird - neuere Schläuche oder ein ausgedientes Löschfahrzeug. "Was wir mit den Robotern vorhaben, das ist ein Strukturwandel. Wir adressieren auch die Katastrophe, aber vor allem adressieren wir die Helfer", sagt Christian Poschmann. Anders gesagt: Die Ukrainer sollen in ihrem Rettungseinsatz nicht nur besser arbeiten können, sondern ihn vor allem auch überleben.

Inna und Olena während des Trainings

Inna und Olena während des Trainings

(Foto: Alpha Robotics / Mathias Seyfert)

Für die Gesellschaft für Internationale Zusammenarbeit (GIZ) steuert Poschmann von Deutschland aus im Auftrag des Entwicklungsministeriums (BMZ) den Innovationsschub für die ukrainischen Rettungskräfte. "Weil wir feststellen mussten, dass immer mehr Einsatzkräfte zum Ziel von Angriffen werden, dass die Einsatzszenarien viel gefährlicher geworden sind", sagt er am Telefon. "Nicht nur durch Doppelschläge und einstürzende Gebäude."

Was in den Medien kaum auftaucht: Russische Angriffe setzen vielfach Wälder in Brand, 4800 Kriegs-induzierte Waldbrände zählt die Ukraine seit Beginn der Invasion. "Ganze Industrieflächen brennen, wo man nicht weiß, was man einatmet", sagt Poschmann. Wenn in der Region Tschernobyl der Wald brennt, wird Radioaktivität freigesetzt, da dort immer noch strahlender Schutt im Boden liegt. Viele Szenarien, in denen der Löschroboter beim Einsatz Gefahren von den Feuerwehrleuten fernhalten kann.

Der ukrainische Katastrophenschutzdienst (DSNS) kann die Bedrohung für seine Leute in Zahlen ausdrücken: 116 Rettungskräfte wurden seit Beginn der russischen Invasion bei ihrem Einsatz verletzt, 100 starben.

Weil man solche Zahlen nicht mehr hinnehmen will, fährt ein "Wolf" heute in der klirrend kalten Dämmerung auf einem Industriegelände hin und her. Von Ferne sieht man, wie in der Stadt die Lichter angehen. Olena hält das Display, steuert den Roboter aus einigen Metern Entfernung in Richtung eines Abhangs. Als sie einen Wasserstrahl auf den Abhang richtet, trägt der Wind feinste Wassertropfen weit über den Platz. Es wird noch kälter.

Olena trainiert mit dem Löschroboter

Olena trainiert mit dem Löschroboter

(Foto: Photothek/Köhler)

Den Feuerwehrleuten fallen sofort Situationen aus ihrem Alltag ein, in denen sie sich bislang vor Gefahr kaum schützen können. "Wegen des Explosionsrisikos arbeiten viele unserer Rettungskräfte im Liegen", erklärt Sofia, ebenfalls eine junge Feuerwehrfrau. Denn die Druckwelle, wenn es zu weiteren Detonationen am Einschlagsort kommt, läuft nah am Boden entlang. "Als Erstes fliegen immer die Kellerfenster raus", sagt Sofia. Dann schießen die Splitter durch die Gegend. "Wir löschen darum nicht im Stehen, sondern im Liegen." Mit zumindest der Chance, dass die Druckwelle über die Feuerwehrleute hinwegfegt.

Inna, Olena, Sofia und andere ukrainische Feuerwehr-Offiziere sind in den Norden der Ukraine gereist, um sich am "Wolf" schulen zu lassen. Ihre Nachnamen, ihre Herkunft sollen hier nicht von Belang sein. "Wir tun von deutscher Seite alles, um zu verhindern, dass man den Einsatzort der Geräte lokalisieren kann, was damit gemacht wird und wer es bedient", sagt Projektleiter Poschmann. "Bei Rettungseinsätzen tragen meine Kollegen Maschinenpistolen und verstecken unsere Feuerwehrfahrzeuge, weil gezielt auf sie geschossen wird", sagt Olena. "Der Feind weiß, wo wir sind."

Der "Wolf" kann auch Verletzte transportieren

Die ukrainischen Feuerwehrleute und ihre deutschen Ausbilder kennen sich schon aus einer ersten Schulung in Niedersachsen. 20 Leute waren im Sommer aus allen Regionen des Landes dorthin gereist. Nun geht es darum, das damals Gelernte zu vertiefen und auf unterschiedlichste Lagen anzuwenden. Denn der "Wolf" kann mehr als löschen. Bekommt er etwa eine Transportplatte aufmontiert, kann er schweres Gerät zum Einsatzort bringen oder Opfer aus den Trümmern transportieren.

Wenn Feuerwehrleute in einen Bereich vordringen müssten, der noch brennt, kann der Roboter ihnen auch das abnehmen. Das Gerät hüllt sich selbst dann in einen dichten Sprühnebel ein, um trotz der Hitzeentwicklung nicht zu schmelzen. Er arbeitet wie unter einer Wasserglocke.

"Eine Grundausbildung von zwei Wochen befähigt die Einsatzkräfte schon, die Systeme zumindest in der unmittelbaren Perspektive zu führen", sagt Oliver Rasche von Alpharobotics, der Firma, die den "Wolf" in Vechta entwickelt hat. Der Roboter zieht bis zu zehn wassergefüllte Löschschläuche über mehrere Hundert Meter zum Einsatzort und spritzt dort in die vom Bediener gewünschten Richtungen. Ihn dabei zu kontrollieren, ist laut den Fachleuten gut erlernbar, solange der Löschassistent in Sichtweite ist. Dann kann er so geführt werden, wie Olena es in ihrer Übung macht - mit einem tragbaren Display und Controller in der Hand aus einigen Metern Entfernung.

Per Hand lässt sich der "Wolf" einfach bedienen

Per Hand lässt sich der "Wolf" einfach bedienen

(Foto: Photothek/Köhler)

Nur, das ist nicht das, worauf die GIZ abzielt. "Die handgeführte Bedienung entspricht nicht dem Sicherheitsstandard, den wir für die Einsatzkräfte anstreben", sagt Poschmann. "Wenn wirklich ein russischer Doppelschlag droht oder ein Gebäude einstürzt, dann nutzen die 30 Meter, die der Feuerwehrmann hinter dem Roboter herläuft, auch nicht viel. Wenn man beschossen wird, noch weniger." Das, was die GIZ mit dem "Wolf" erreichen will, ist Steuerung aus großer, wirklich sicherer Entfernung. Das Ziel sind ein bis zwei Kilometer. Dort würde dann der Leitstand parken - ein Feuerwehrauto mit etlichen Monitoren im Inneren, auf die jede einzelne Kamera ihre Bilder aufspielt. Von hier wird der "Wolf" dann auch gesteuert.

Lernen "am laufenden Motor"

Das ist technisches Neuland und bedeutet zugleich, dass keine Blaupause vorhanden ist, an der man sich orientieren könnte, aus Fehlern anderer lernen, die schon weiter sind auf dem Gebiet. Erfolgsbeispiele für Einsätze von Löschassistenten, die per Display aus der Nähe geführt wurden, gibt es etliche. Auch aus Deutschland, etwa als 2022 im Berliner Grunewald ein Sprengplatz der Polizei in Flammen stand. Doch über einen Einsatz aus so großer Distanz, wie man es für die ukrainischen Feuerwehrleute nun anstrebt, gibt es noch keine Erfolgsberichte. Poschmann erwartet sie aus der Ukraine in Kürze. "Wir müssen uns die Erfahrungen gemeinsam mit den Partnern gewissermaßen am laufenden Motor erarbeiten."

Mit dem Risiko, dass sich manch eine gut klingende Theorie in der Praxis vielleicht als schwer anwendbar erweisen könnte. Dann wird man nachsteuern müssen. In den Schulungen kann nur ein Bruchteil der Anforderungen künstlich nachgestellt werden. "Sobald das Lagebild ein bisschen komplexer wird, müssen die ukrainischen Partner noch viel mehr Routine entwickeln", bilanziert Alpharobotics-Chef Rasche nach den ersten beiden Intensiv-Schulungen.

Oliver Rasche schult die ukrainischen Feuerwehrleute.

Oliver Rasche schult die ukrainischen Feuerwehrleute.

(Foto: Alpha Robotics / Mathias Seyfert)

Klar ist, dass der Datenstrom, um den "Wolf" über eine so weite Strecke und mit allerlei massiven Hindernissen im Weg zu kontrollieren, immens groß sein muss. Das macht das System anfällig für Ortung und Störung durch die Russen. Bislang hat Poschmann noch keine Rückmeldungen derartiger Probleme von den Anwendern. Aber noch kommt das System auch nur punktuell zur Anwendung. "So richtig eingesetzt wird es erst, wenn die gesamten Strukturen drumherum auch funktionieren", sagt der GIZ-Mann.

Noch sind Leute und Logistik nicht auf Augenhöhe. Ina, Olena, Sofia und die anderen lassen sich zu Trainern ausbilden, die mit ihren erworbenen Kenntnissen selbst viele ihrer Kollegen schulen werden. Sie berichten, wie ungeduldig man in ihren Heimatorten auf diese Möglichkeiten wartet. "Das ist kein Projekt, das man in drei Wochen abhandelt", sagt Poschmann. Die GIZ plant bis ins Jahr 2026 mit dem "Wolf" und ähnlichen Systemen, die pro Exemplar zwischen 100.000 und 150.000 Euro kosten. Aus seiner Sicht kann man die Arbeit der Rettungskräfte auch für den Zusammenhalt im Land kaum hoch genug bewerten. "Was ist schlimmer, als beschossen und mit Bomben beworfen zu werden? Das Einzige, was noch schlimmer ist: Wenn keiner kommt und hilft."

Den Prototypen gab's geschenkt

Die Feuerwache, an der Ina im Dienst ist, hat bislang noch keinen Roboter. "Dort, wo ich herkomme, ist die Front nur 50 Kilometer entfernt", sagt sie. "Besonders nach Angriffen auf Tankstellen, wo Treibstoff gelagert wird, können wir uns zum Löschen nicht unmittelbar nähern. Bei uns wäre der Roboter an der richtigen Stelle."

Oliver Rasche will im Januar erneut mit einem Alpharobotics-Team in die Ukraine kommen. "Dann werden wir die Ausbildung an den Orten intensivieren, wo die einzelnen Fahrzeuge zum Einsatz kommen sollen." Den ersten "Wolf", erzählt Rasche, schickte die Firma Richtung Osten, kurz nachdem Russlands Präsident Wladimir Putin im Februar 2022 einmarschiert war. "Das war unser erster Prototyp, den haben wir den Ukrainern geschenkt." Eine ganze Weile lang wusste dann eigentlich niemand so genau, ob das Gerät überhaupt im Einsatz war und wenn ja, wo. "Bis dann der DSNS in den sozialen Medien Videos von Löscharbeiten gepostet hat. Da waren wir tierisch glücklich."

Entwicklungsministerin Svenja Schulze lässt sich die Technik vorführen.

Entwicklungsministerin Svenja Schulze lässt sich die Technik vorführen.

(Foto: Phototek/Köhler)

Als es dunkel ist, steht auf dem Übungsplatz die ganze Technik zum Vorführen parat. Entwicklungsministerin Svenja Schulze will auf Kurzbesuch vorbeikommen, um sich das von ihrem Haus finanzierte Training mit dem "Wolf" selbst anzuschauen. Olena sitzt in der Leitstelle, die Monitore zeigen ihr die Sicht der einzelnen Kameras. "Sich an der Technik immer weiterzuentwickeln, dranzubleiben, auch wenn man mal unsicher ist, etwas vergessen hat - das ist eigentlich die größte Herausforderung", sagt sie. "Denn wir sind Pioniere."

Quelle: ntv.de

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