Politik

Entwicklungshelfer zum Flüchtlingsproblem "Die Tore Europas zu öffnen, ist falsch"

Eine Gruppe Flüchtlinge trat vorige Woche am Brandenburger Tor in Hungerstreik, um Asyl zu bekommen.

Eine Gruppe Flüchtlinge trat vorige Woche am Brandenburger Tor in Hungerstreik, um Asyl zu bekommen.

(Foto: imago stock&people)

Die EU tut sich schwer damit, einen Umgang mit den vielen Flüchtlingen zu finden, die über das Mittelmeer kommen. Die Forderung zahlreicher Politiker, die Situation in den Herkunftsländern müsse verbessert werden, verhallt meist. Der ehemalige Entwicklungshelfer Kurt Gerhardt erläutert im Interview mit n-tv.de, warum genau hier die Krux in der Debatte liegt.

n-tv.de: Die EU wirkt angesichts des Flüchtlingsansturms auf Südeuropa ziemlich ratlos. Gestern wurde mit "Eurosur" ein neues System zur Grenzüberwachung beschlossen. Gerne verweisen die Politiker darauf, dass man die Lebensbedingungen in den Ländern verbessern müsse, wo die Flüchtlinge herkommen. Doch dort wird ja seit Jahrzehnten Entwicklungshilfe betrieben. Zeigt das Flüchtlingsproblem im Mittelmeer, dass mehr als 50 Jahre Entwicklungshilfe nichts gebracht haben?

Kurt Gerhardt

Kurt Gerhardt

(Foto: Horst Galuschka)

Kurt Gerhardt: Das Gegenteil zeigt der Ansturm von Flüchtlingen jedenf alls nicht. Aber der Ansatz, dass die Verhältnisse in Afrika besser werden müssen, ist nicht falsch. Die vielen jungen Leute fliehen vor den katastrophalen heimischen Verhältnissen. Das ist nicht gleichbedeutend mit materieller Not. Die ganz Armen bleiben da. Die meisten hauen ab, weil sie finden, dass es in ihrer Heimat keine Zukunft gibt.

Was bewegt diese Leute dann, die gefährliche Flucht auf sich zu nehmen, wenn sie keine große Not leiden? Das Schicksal derer, die bei der Überfahrt gestorben sind, dürfte sich ja herumgesprochen haben.

Der Drang, diesen heimischen Verhältnissen zu entfliehen, muss so groß sein, dass sie es dennoch versuchen. Das Risiko kennen sie.

Warum sind so viele afrikanische Staaten trotz umfangreicher Hilfe noch nicht politisch und wirtschaftlich stabil?

Diejenigen, denen in den vergangenen Jahrzehnten politische Verantwortung übertragen wurde, haben katastrophal versagt. Das wird bei uns gerne beschönigt. Beispielsweise in Westafrika gibt es keine einzige gute Regierung, keine einzige, die für das Wohl des Volkes etwas tun will. Deren erster Gedanke ist, sich die eigenen Taschen vollzustopfen. Das geschieht mit einer unglaublichen Maßlosigkeit. Der Sohn des früheren senegalesischen Präsidenten etwa sitzt im Knast, weil er eine Milliarde Dollar an sich gerissen hat.

Wer kann dafür sorgen, dass sich daran etwas ändert?

Zur Person
  • Kurt Gerhardt arbeitete fast 40 Jahre lang für den WDR-Hörfunk.
  • Als früherer Landesbeauftragter des Deutschen Entwicklungsdienstes (DED) im westafrikanischen Niger kennt er die Problematik der Afrikahilfe aus eigener Anschauung.
  • Gerhardt gehört zu den Mitbegründern der politischen Initiative "Grundbildung in der Dritten Welt" und des Vereins "Makaranta e.V." zur Förderung der Grundbildung in Afrika. Er ist außerdem Mitinitiator des "Bonner Aufrufs", der eine grundlegend andere Entwicklungspolitik fordert.

Die einheimischen gestaltenden Kräfte in Politik und Wirtschaft müssen sich darum bemühen. Nicht die Weltbank in Washi ngton oder das Bundesministerium für Entwicklungszusammenarbeit in Berlin. Das müssen diejenigen tun, die politische Verantwortung haben. Es gibt Leute, die sagen, man müsse mehr Entwicklungshilfe geben. Meine Meinung ist, dass wir in den vergangenen Jahrzehnten wahrscheinlich zu viel an Entwicklungshilfe gegeben haben. Wir haben eine unglaubliche Abhängigkeit geschaffen, also genau das Gegenteil dessen, was Hilfe leisten soll.

Das klingt alles ziemlich verfahren. Weder mit noch ohne äußere Hilfe dürfte sich auf absehbare Zeit etwas dahingehend ändern, dass weniger junge Afrikaner versuchen, nach Europa zu gelangen.

Die Konsequenz ist dennoch richtig: Die jungen Leute fliehen vor den katastrophalen Lebensbedingungen in ihrer Heimat, also muss diese verbessert werden. Damit sie sagen, hier ist meine Heimat und hier sehe ich meine Zukunft.

Was ist in der Zwischenzeit zu tun? Heute besteigen sicher wieder Hunderte von Migranten seeuntüchtige Schiffe, die sie nach Europa bringen sollen.

Jedenfalls ist es nicht der richtige Weg, die Tore Europas zu öffnen für alle, die in Not sind oder in Not zu sein scheinen. Das ist völlig unrealistisch. Selbst wenn wir alle aufnehmen würden, die in Lampedusa wohlbehalten an Land gehen - es ist doch nicht schwierig, sich vorzustellen, was dann passieren würde. Das Problem wird sich multiplizieren.

Ist also die Abschottungspolitik der EU Ihrer Meinung nach richtig?

Ich würde es nicht Abschottungspolitik nennen. Es ist eine Regel auf dieser Welt, dass man nicht frei entscheiden kann, wo man leben möchte. Man kann sich auch nicht dadurch ein Recht verschaffen, dass man einfach in ein Land eindringt.

Das klingt ziemlich hart.

Akut gefährdete Menschen müssen aus dem Meer gerettet werden, das ist klar. Das gebietet die Humanität. Darüber hinaus ist jedoch die Frage zu stellen, was mit denen auf Lampedusa ist, die dort in den Lagern leben? Die sind nicht mehr akut in Not. Sie alle aufzunehmen, wird das Problem nicht lösen.

Das heißt, man sollte diese Menschen zurückbringen?

Das wäre mein Vorschlag. Wir haben jahrelang Menschen aus Rumänien immer dorthin zurückgebracht. Das ist eine schwierige Sache, aber mit Blick auf die Konsequenzen ist es das einzig Richtige.

Was ist noch zu tun?

Man muss die Präsenz von Patrouillen und im Mittelmeer erheblich erhöhen, damit mehr von diesen unverantwortlichen Schleppern gefasst werden können. Diese Kriminellen gehören ins Gefängnis und ihre Boote unschädlich gemacht.

In Deutschland hatten wir zuletzt den Fall, dass einige Flüchtlinge vor dem Brandenburger Tor für die Gewährung von Asyl in den Hungerstreik getreten sind. Auch in Hamburg gibt es Streit um Flüchtlinge, die in einer Kirche untergekommen sind.

Menschen in akuter Not muss man sofort helfen, um sie aus der Gefahr für Leib und Leben herauszuholen. Wenn sie nicht mehr besonders geschützt werden müssen, sollten sie das normale Asylverfahren durchlaufen. Weil ich darauf vertraue, dass wir in einem Rechtsstaat leben, der gegenüber Nöten anderer nicht blind ist, gehe ich davon aus, dass nach Recht und Gesetz entschieden wird. Wenn nach Durchlaufen des Rechtsweges auf Abschiebung entschieden ist, muss so verfahren werden. Durch Hungerstreik kann man eine gegenteilige Entscheidung nicht erzwingen. Die Kirchen spielen da meistens eine mitfühlende, aber nicht immer nützliche Rolle.

Mit Kurt Gerhardt sprach Nora Schareika

Quelle: ntv.de

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