Politik

Erneut Proteste in Istanbul und Ankara Erdogan schlägt Referendum vor

Die Demonstranten in Istanbul weichen nicht.

Die Demonstranten in Istanbul weichen nicht.

(Foto: dpa)

Nach der Peitsche jetzt das Zuckerbrot? Nach dem massiven Polizeieinsatz am Taksim-Platz scheint der türkische Ministerpräsident Erdogan bereit, die Istanbuler über das Bauprojekt im Gezi-Park abstimmen zu lassen. Allerdings regiert in der Hauptstadt Ankara weiter der Polizeiknüppel.

Auf dem Taksim-Platz im Zentrum Istanbuls haben in der Nacht wieder Gegner des islamisch-konservativen Regierungschefs Recep Tayyip Erdogan demonstriert. Anders als in der Nacht zuvor griff die Polizei jedoch nicht ein. Fernsehbilder zeigten hunderte Demonstranten, die auf dem Platz und im benachbarten Gezi-Park friedlich ihren Unmut zum Ausdruck brachten und dem Konzert eines Pianisten lauschten.

In Ankara ging die Polizei erneut mit Tränengas gegen demonstrierende Regierungskritiker vor. Rund 2000 Menschen versammelten sich am späten Mittwochabend im Zentrum der türkischen Hauptstadt und skandierten Parolen gegen die konservativ-islamische Regierung von Ministerpräsident Recep Tayyip Erdogan.

Die Protestbewegung in der Türkei richtete sich ursprünglich gegen Bebauungspläne der Regierung für den Gezi-Park in Istanbul. Inzwischen steht Erdogans Regierung selbst im Zentrum der Kritik. Beim gewaltsamen Vorgehen der Polizei gegen Demonstranten gab es seit Ende Mai vier Tote und laut Ärzteorganisationen rund 5000 Verletzte.

Erdogan bietet Referendum an

Nach internationaler Kritik am massiven Tränengaseinsatz der Polizei in Istanbul hatte Erdogan am Mittwochabend ein Referendum ins Gespräch gebracht. Er habe vorgeschlagen, die Istanbuler über das umstrittene Bauprojekt im Gezi-Park abstimmen zu lassen, sagte der Sprecher der Regierungspartei AKP, Hüseyin Celik. Die Idee eines Referendums sei das "konkrete Ergebnis" eines Treffens Erdogans mit Künstlern, Wissenschaftler und Publizisten in Ankara.

Celik, der auch Vize-Regierungschef ist, äußerte sich nach einem Treffen Erdogans und elf ausgewählten Vertretern der landesweiten Protestbewegung. "In einer Demokratie zählt nur der Wille des Volkes", fuhr Celik fort. Zugleich forderte er die Demonstranten im Gezi-Park auf, diesen "so schnell wie möglich" zu verlassen. "Wir können nicht akzeptieren, dass diese Demonstrationen ewig weitergehen", sagte er.

Die Bevölkerung von Istanbul oder aber des Stadtteils Beyoglu könne dann entscheiden, ob der Park bestehen bleiben solle oder der geplante Nachbau einer osmanischen Kaserne errichtet werde, sagte der Parteisprecher. Von Seiten der Regierungskritiker wurde der Vorschlag eines Referendums zunächst nicht kommentiert.

Merkel ruft zur Besonnenheit auf

Die Vereinten Nationen und die US-Regierung mahnten den Schutz der Grundrechte und einen Dialog an. Bundeskanzlerin Angela Merkel forderte nach Angaben von Regierungssprecher Steffen Seibert "konstruktive Gespräche durch Besonnenheit aller Seiten". Bundespräsident Joachim Gauck äußerte sich in einem Telefonat mit dem türkischen Präsidenten Abdullah Gül besorgt über die "exzessive Gewalt". Der Bundestag verurteilte fraktionsübergreifend die Gewalt.

Bundesaußenminister Guido Westerwelle rief zur Zurückhaltung auf. "Die türkische Regierung sendet mit ihrer bisherigen Reaktion auf die Proteste das falsche Signal, ins eigene Land und auch nach Europa", sagte der FDP-Politiker. "Wir erwarten, dass Ministerpräsident Erdogan im Geiste europäischer Werte deeskaliert und einen konstruktiven Austausch und friedlichen Dialog einleitet."

Vorgehen gegen kritische Sender

Der Gouverneur von Istanbul, Hüseyin Avni Mutlu, hatte die Demonstranten beschuldigt, die Polizei angegriffen zu haben. Der Polizeieinsatz auf dem Taksim-Platz werde so lange fortgesetzt wie nötig. Er forderte die Bürger Istanbuls auf, sich fernzuhalten, bis die Sicherheit auf dem Platz hergestellt sei.

Die türkische Rundfunkbehörde RTÜK ging gegen kritische Sender vor. Der Sender Halk TV, der anders als Nachrichtensender der türkischen Medienkonzerne durchgehend über die Demonstrationen berichtet, sei wie drei weitere Stationen zu einer Geldstrafe verurteilt worden, berichteten Medien. Die Rundfunkbehörde wirft den TV-Stationen vor, gegen Sendeprinzipien verstoßen zu haben und mit ihren Programmen die physische, geistige und moralische Entwicklung junger Menschen zu gefährden.

Die EU-Außenbeauftragte Catherine Ashton warnte die Europäische Union angesichts der Unruhen in Istanbul davor, auf Distanz zur Türkei zu gehen. "Dies ist nicht der Moment, sich zu lösen, sondern sich noch stärker zu engagieren", sagte sie im Europaparlament in Straßburg.

UN-Generalsekretär Ban Ki Moon rief alle Beteiligten zu Ruhe und einem friedlichen Dialog auf. "Proteste sollten friedlich sein, und das Recht auf Versammlung und freie Meinungsäußerung sollte respektiert werden, denn das sind fundamentale Prinzipien eines demokratischen Staates", sagte sein Sprecher in New York.

Quelle: ntv.de, wne/dpa/AFP

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