Verfassungsschutz-Reform ohne Tabu Friedrich verrät erste Details
08.07.2012, 05:20 Uhr
Innenminister Friedrich will knallhart durchgreifen.
(Foto: picture alliance / dpa)
Der Skandal um die fragwürdigen Vorgänge beim Verfassungsschutz löst eine Debatte aus: Kann der Geheimdienst in Zukunft so weiter arbeiten wie bisher? Innenminister Hans-Peter Friedrich warnt davor, die Behörde zu schlecht zu reden, nennt jedoch erste Details einer Reform. Er will die Rolle des Generalbundesanwalts stärken.

Nach den Pannen bei den Ermittlungen zu den Rechtsterroristen massiv in der Kritik: die Verantwortlichen des Verfassungsschutzes.
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Nach der Affäre um die Vernichtung von Akten plant Bundesinnenminister Hans-Peter Friedrich eine Neuorganisation des Verfassungsschutzes. "Die jetzt aufgetretenen Mängel zeigen, dass es in unserem Verfassungsschutz-Verbund dringenden Reformbedarf gibt", sagte Friedrich der "Bild".
Er sei "entschlossen, die Organisation ohne jedes Tabu zu überprüfen und wo notwendig zu verändern". Bei der anstehenden Neuorganisation gebe es "keine Schere im Kopf". Der Verfassungsschutz müsse funktionsfähig und in der Lage sein, "unseren freiheitlichen Rechtsstaat vor den Gefahren des Extremismus und des Terrorismus zu schützen", sagte Friedrich.
Der Minister schloss eine Reduzierung der derzeit 16 Landesämter für Verfassungsschutz nicht aus. "An die Frage des Verfassungsschutzes auf Bundes- und Länderebene sollte man offen und ergebnisorientiert herangehen", sagte Friedrich. Einerseits seien Kräfte vor Ort nötig, andererseits eine "Zentrale, in der die Fäden zusammenlaufen".
"Knallharte Konsequenzen"
Konkret will für eine verbesserte Kommunikation zwischen dem Bundesamt und den Landesämtern sorgen. Darüber werde er mit seinen Kollegen in den Ländern sprechen. "Wir müssen einen reibungslosen Informationsaustausch gewährleisten." Außerdem will der Innenminister die Befugnisse des Generalbundesanwaltes ausweiten. Der Generalbundesanwalt müsse Fälle aus den Justizbehörden öfter und schneller an sich ziehen können als bisher.
In der Debatte um die Zukunft der Behörde hatte sich bereits der Geheimdienst-Experte Wilhelm Dietl zu Wort gemeldet. "Wenn der Schaden groß genug ist, sind die Aussichten gut, dass sich etwas ändert", sagte der ehemalige BND-Mitarbeiter im Gespräch mit n-tv.de. Einen Hauptgrund für die Vertrauenskrise sieht er in der Mentalität der Verfassungsschützer. "Jeder schottet sich ab, sitzt auf seinen Akten und ist froh, dass er sie nur für sich hat. Das ist ein Egozentrismus, der völlig veraltet ist." Dietl fordert auch eine genauere Prüfung der V-Leute. Ihre wahren Interessen bleiben häufig im Unklaren, aber ganz ohne sie komme der Geheimdienst nicht aus.
Eine Umgestaltung des Verfassungsschutzes sei jedoch nur möglich, wenn das Bundesamt enger mit den Landesämtern und der Polizei zusammen arbeiten würde. "Nur pausenloses Überprüfen von mehreren Seiten verhindert, dass einzelne Personen Informationen verstecken oder verschwinden lassen", sagte Dietl. Er kritisierte auch die geringen Möglichkeiten der parlamentarischen Kontrolle.
Neuer Präsident soll Reform umsetzen
Als Reaktion auf die Aktenvernichtung hatte Innenminister Friedrich bereits ein hartes Durchgreifen angekündigt. "Dort, wo es absichtliche Verfehlungen gegeben hat, werden knallharte Konsequenzen gezogen", sagte er. "Ich bin fassungslos über diesen Vorgang." Bislang gebe es nur Erklärungsansätze für das Verhalten des verantwortlichen Mitarbeiters. "Die Angehörigen, die ja zum Teil selbst unter Verdacht standen, erwarten zurecht, dass alles genau untersucht wird", betonte er. Es gehe auch darum, "zahlreichen Verschwörungstheorien" den Boden zu entziehen. Dafür sei es wichtig, aus Parallelakten den Inhalt der vernichteten Akten zu rekonstruieren.
Trotzdem warnte Friedrich davor, die Arbeit des Verfassungsschutzes insgesamt schlecht zu reden. "Aufgabe des Verfassungsschutzes ist es, der Regierung, den Parlamenten und der Polizei verlässliche Informationen über verfassungsfeindliche Bestrebungen im Land zu liefern. Aufgrund solcher Informationen wurden mehrere Anschläge von Islamisten verhindert - ich erinnere nur an den verhinderten Anschlag der islamistischen "Sauerlandgruppe" 2007. Außerdem wurden zahlreiche Polizeimaßnahmen und Verbotsverfahren zum Beispiel gegen zehn neonazistische Vereine eingeleitet. Ohne die Frauen und Männer des Verfassungsschutzes wäre das alles nicht möglich."
Die Entscheidung über einen Nachfolger für Verfassungsschutz-Präsident Heinz Fromm will Friedrich nicht unter Zeitdruck treffen. Zunächst gehe es darum, die Grundzüge einer Reform zu formulieren. "Das verlangt Gründlichkeit und keine Schnellschüsse. Der neue Präsident hat dann die Aufgabe, diese Reform umzusetzen", sagte Friedrich. Nach den Pannen bei der Verfolgung der Neonazi-Zelle "Nationalsozialistischer Untergrund" (NSU) hatte Fromm den Verzicht auf sein Amt zum Ende des Monats bekannt gegeben.
Zuvor war bekannt geworden, dass Akten mit Informationen über thüringische Rechtsextremisten im November 2011 beim Bundesamt für Verfassungsschutz kurz nach der Aufdeckung der NSU-Mordserie vernichtet worden waren. Der NSU werden bundesweit neun Morde an Migranten sowie an einer Polizistin vorgeworfen.
Quelle: ntv.de, cro/AFP/dpa