Politik

Interview mit Geheimdienstexperten "V-Leute sind keine Chorknaben"

Es geht nicht mit und nicht ohne sie: Von V-Leute verspricht sich der Verfassungsschutz vor allem Zugang zu wichtigen Informationen.

Es geht nicht mit und nicht ohne sie: Von V-Leute verspricht sich der Verfassungsschutz vor allem Zugang zu wichtigen Informationen.

(Foto: picture alliance / dpa)

Mitarbeiter schreddern wichtige Unterlagen. Der Chef des Verfassungsschutzes tritt zurück. Die Zukunft der Behörde, die eigentlich die Demokratie schützen soll, ist ungewiss. Einige Politiker fordern sogar ihre Abschaffung. Im Gespräch mit n-tv.de spricht Wilhelm Dietl über die Probleme mit V-Leuten und Mauer-Mentalität. Und wie er die Behörde für reformierbar hält.

Geheimdienstexperte Wilhelm Dietl.

Geheimdienstexperte Wilhelm Dietl.

n-tv.de: Wofür braucht Deutschland einen Verfassungsschutz, wenn dieser dann solche Attentate nicht verhindern kann?

Wilhelm Dietl: Der Verfassungsschutz hat bisher gut funktioniert in seiner langen Geschichte. Möglicherweise hat er inzwischen eine gewisse Trägheit erreicht und ruht sich auf Erfolgen der Vergangenheit aus. Wenn man bedenkt, wie viele V-Leute es gibt - das ist bestimmt eine zweistellige Zahl - sollte man sicherlich mehr erwarten können. Beim Linksextremismus war die Behörde früher relativ erfolgreich. Aber damals gab es schon das Gerücht, dass sie auf dem rechten Auge ein bisschen blind ist oder zur Unschärfe neigt und bei den Linken genauer hinsieht.

Inwiefern ist der Verfassungsschutz auf dem rechten Auge blind?

Ich kenne keine direkten Beispiele, aber es fällt auf, dass der Verfassungsschutz über die Jahrzehnte hinweg vor allem auf der linken Seite gesucht und immer versucht hat, alles nach links zu schieben, wenn was passiert ist und unklar war, wer es getan haben könnte. Nach gutem Brauch war es durch Bekennerschreiben oft von vornherein katalogisierbar, welche Seite verantwortlich war. Es ist schwierig, die jetzige Generation der Verfassungsschützer als radikale Rechte auszumachen, aber es scheint wohl so zu sein. Eine andere Erklärung gibt es nicht für diese Unfähigkeit und die große Untätigkeit auf diesem Gebiet.

Vor allem V-Leute geraten zunehmend ins Zwielicht. Sind sie überhaupt noch das richtige Mittel?

Man gewinnt nie Chorknaben als V-Leute. Das sind ja keine Beamten, sondern immer Leute, die vorbelastet sind, die aus der Szene stammen, sozusagen Überläufer. Sie sind manchmal sehr zweifelhaft, man weiß nicht, welche eigenen Interessen sie verfolgen, ob das Geld ist, Machtstreben oder Rache an Leuten aus der Szene, die sie nicht mögen. Sie sind mit Vorsicht zu genießen, aber wenn sie zuverlässig arbeiten, sind sie natürlich viel wert. Ich denke, die gesamte Schar an V-Leuten muss jetzt überdacht werden, muss einer genauen Prüfung unterzogen werden.

Was bringt ein Verfassungsschutz, wenn kein Austausch über die vielen Informationen stattfindet und die Akten weggeworfen werden?

Austausch ist immer ein Problem beim Verfassungsschutz. Jeder sitzt auf seinen Akten, ist froh, dass er sie hat und sieht das als großen Erfolg an. Das war aber immer schon so. Auch bei 9/11 hat die CIA nicht mit dem FBI gesprochen. Da gibt es Vorbehalte und hohe Mauern, dass sich die Präsidenten treffen und die Zuckerstücke über den Tisch reichen, aber ansonsten passiert das auf der Arbeitsebene relativ selten. Jeder schottet sich vom anderen ab, will seine Quellen nicht preisgeben und jeden Erfolg ganz für sich alleine verbuchen. Das ist ein Egozentrismus, der völlig veraltet ist. Dabei gibt es in Berlin die Zentralstelle gegen den Terrorismus. Da sitzen alle an einem runden Tisch, um sich auszutauschen. Aber an der Kommunikation hapert es.

Wenn der Verfassungsschutz die Nazis vor der Polizei warnt, läuft doch etwas grundsätzlich schief.

Richtig. Deswegen muss man neue Strukturen schaffen und mehr Transparenz verankern. Der Verfassungsschutz ist ja eine Nachrichtensammelbehörde. Das könnten auch zivile Behörden erledigen, die den Gehalt der eingehenden Informationen untersuchen und diese wie ein Forschungsinstitut aufbereiten. Man braucht keinen geheimen Apparat, um das alles auszuwerten. Wenn man eine Stelle hat, die nirgendwo ideologisch dranhängt und niemandem verpflichtet ist, würde es vielleicht auch objektiver werden. Das betrifft aber alle Nachrichtendienste, nicht nur den Verfassungsschutz.

Der Verfassungsschutz hat noch nicht alle Akten vernichtet.

Der Verfassungsschutz hat noch nicht alle Akten vernichtet.

(Foto: picture alliance / dpa)

Wie aussichtsreich ist eine Reform?

Wenn der Schaden groß genug ist, sind auch die Aussichten ganz gut. Eine Abschaffung würde ein großes Vakuum hinterlassen. Das zu füllen wäre sehr schwierig. Eine Umgestaltung ist wesentlich einfacher. Das bedeutet neues Personal, neue Methoden. Man kann nicht das Rad neu erfinden, Geheimdienste haben ein begrenztes Repertoire, aber mehr Transparenz innerhalb der Behörden schaffen mit weniger Egomanen, die glauben, dass sie alles nur alleine können.

Kann der Verfassungsschutz das Vertrauen denn zurückgewinnen?

Das wird ihm schwerfallen und es wird eine Weile dauern. Der Verfassungsschutz ist für die Bürger zu abstrakt. Viele können sich darunter gar nichts vorstellen. Bei vielen im Osten kommt die Erinnerung an die Stasi auf. Im Endeffekt wird der Bürger ganz wenig Mitsprache haben, was geschieht.

Im Köln laufen die Aktivitäten des Geheimdienstes zusammen.

Im Köln laufen die Aktivitäten des Geheimdienstes zusammen.

(Foto: picture alliance / dpa)

Viele Ermittlungen über den "Nationalsozialistischen Untergrund" (NSU) fallen in die Aufbauzeit des Verfassungsschutzes in den neuen Bundesländern. Sind die Fehler dadurch bedingt?

In der Aufbauzeit gingen viele in den Osten und haben dort versucht, den Verfassungsschutz aufzubauen. Die Strukturen waren schließlich nicht da und man konnte ja nicht einfach die Stasi-Leute übernehmen. Die, die hingingen, hatten keine Ortskenntnis, kannten die Mentalität nicht. Da wurde in den ersten Jahren einiges verschludert, es sind eine Menge Fehler gemacht worden. Inzwischen müsste dort aber alles funktionieren. Mit Aufbaumängeln kann sich nach 22 Jahren keiner mehr rausreden. Dann ist es die Unfähigkeit der Leute.

Gibt es ein Beispiel, wie es besser gehen kann?

Ich erinnere an Berlin: Da wurde vor zwölf Jahren das gesamte Landesamt aufgelöst und Hunderte Verfassungsschützer entlassen, weil er sich als unfähig erwiesen hatte. Es wurde dort ein neuer Verfassungsschutz aufgebaut und die scheinen mittlerweile gut zu arbeiten. Heute halten sie sich an die Gesetze und machen weniger Vetternwirtschaft.

Leitet den NSU-Untersuchungsausschuss: Sebastian Edathy.

Leitet den NSU-Untersuchungsausschuss: Sebastian Edathy.

(Foto: picture alliance / dpa)

Verfügen Politiker über ausreichend Einblicke in die Arbeit der Geheimdienste?

Nein, ich denke, nur über ganz wenig. Die Politik hält man nach Möglichkeit außen vor. Man unterrichtet sie erst, wenn das Kind in den Brunnen gefallen ist. Es gibt in Berlin einen Kontrollausschuss, der sich um die Geheimdienste kümmert. Diese Parlamentarier werden erst informiert, wenn etwas passiert, wenn der Skandal schon da ist. In anderen Ländern werden solche Ausschüsse schon vorher hinzugezogen. Die Politik bekommt so mehr mit. In Deutschland erfährt der Politiker oft erst aus den Zeitungen davon.

In Hessen wurde brachte der NSU im Jahr 2006 einen Türken in seinem Internetcafe um. Anschließend verhinderte der Geheimdienst, dass die Ermittler einen am Tatort anwesenden Verfassungsschützer befragen konnten. Was verrät das über das System Verfassungsschutz?

Da ist sehr viel Korpsgeist mit ihm Spiel. Man schützt sich gegenseitig. Das ist wie der Polizist, der betrunken fährt, wo hinterher die Alkoholprobe verschwindet. So versucht man sich gegenseitig abzuschirmen und zu schonen. Das kann es nicht sein. Das Wichtigste muss die Aufklärung sein. Der Schutz der eigenen Leute kommt erst danach. Es muss Mechanismen und Selbstreinigungskräfte geben, die dafür sorgen, dass so etwas vermieden wird.

Wenn man die Liste der Versäumnisse des Verfassungsschutzes betrachtet - was überwiegt: stümperhafte Arbeit oder die bewusste Absicht, etwas zu vertuschen?

Ich denke, die stümperhafte Arbeit. Es ist ein Grundanliegen der Leute, Erfolg zu haben. Wenn sie die Chancen haben, es aufzuklären, würden sie es tun. Aber man war natürlich geistig falsch gepolt und hat viele Jahre gesagt, die Türken würden sich gegenseitig umbringen. Es durfte nicht sein, dass das solche Morde von Deutschen ausgehen. Das war ein geistiger Fehlschluss und stümperhaft.

Was versprechen Sie sich von dem Sonderermittler, der jetzt zusätzlich im Untersuchungsausschuss eingesetzt wird?

Sonderermittler sind immer mit Vorsicht zu genießen. Sie tanzen auf allen Hochzeiten, sind häufig der Politik verpflichtet. Ich habe Probleme, an solche Bemühungen zu glauben. Aber ich kenne diesen Sonderermittler nicht. Er ist ganz neu im Gewerbe und hat noch keine vergleichbaren Fälle gelöst. Man muss ihm einen gewissen Vertrauensvorschuss geben. Die wichtigsten Punkte werden mit Sicherheit an die Oberfläche kommen.

Das Gespräch führten Solveig Bach und Christian Rothenberg

Quelle: ntv.de

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