Unter dem US-Schild eingerichtet Gauck: Zeit für mehr Selbstständigkeit
07.02.2017, 17:43 Uhr
Bundespräsident Gauck warnt auch vor einer Doppelmoral von EU-Staaten.
(Foto: dpa)
Die EU ist derzeit in ihrer tiefsten Krise - und das in Zeiten gewaltiger Herausforderungen. Für Bundespräsident Gauck aber könnte es auch der Zeitpunkt für heilsame Schocks sein und Europa zusammenrücken lassen.
Bundespräsident Joachim Gauck hat angesichts der Verunsicherungen durch US-Präsident Donald Trump eine stärkere Emanzipation von den USA verlangt. "Es ist an der Zeit, dass die europäischen Staaten und besonders auch Deutschland, die sich lange unter dem Schild der amerikanischen Führungsmacht eingerichtet hatten, selbstbewusster und selbstständiger werden", sagte er bei einem Festakt der Universität Maastricht. Auf Anregung der Studenten hatte Gauck unmittelbar vor der Rede die Ehrendoktorwürde der Hochschule erhalten.
"Wir haben besondere Verantwortung für die Stabilisierung der internationalen Ordnung", betonte Gauck. Zu Recht werde deshalb diskutiert, wie Europa seine Verteidigungsbereitschaft erhöhen könne. "Wir dürfen die Werte, auf denen das europäische Projekt beruht, nicht preisgeben." Europa müsse im Zeitalter von rasantem technologischen Wandel, wegen des anhaltenden Migrationsdrucks, des internationalen Terrorismus und einer instabilen Weltordnung entschiedener zusammenrücken, mahnte Gauck: "Manchmal bedarf es eines Schocks, um Einsichten zu erzwingen. Ein Schock kann heilsam sein."
"Macht ist an Recht gebunden"
Ohne den Namen Trump zu nennen, forderte der Bundespräsident: "Wir wollen erhalten, was mühselig in der Geschichte errungen wurde und einen Kernbestand der Demokratie ausmacht: Keine Macht steht über dem Recht. Und auch die Macht ist an Recht gebunden." Trump hatte sich im juristischen Streit über sein Dekret für befristete Einreiseverbote für Bürger aus islamisch geprägten Ländern abfällig über Gerichtsentscheidungen und einzelne Richter geäußert.
Am 25. Jahrestag der Unterzeichnung des EU-Vertrages von Maastricht räumte Gauck auch vor dem Hintergrund eines erstarkenden Rechtspopulismus selbstkritisch Fehler in der EU ein. Probleme seien teils verschleppt worden, bis heute sei etwa die Währungsunion nicht hinreichend stabil.
Der Vertrag von Maastricht sei für ihn zwar "eine Chiffre für ein in Frieden und Freiheit geeintes Europa", das für Demokratie, Herrschaft des Rechts, Wahrung der Menschenrechte, den Schutz von Minderheiten und die Gleichberechtigung stehe. Zugleich habe der Vertrag die EU aber "in eine gefährliche Schieflage gebracht", weil er die Wirtschafts- und Finanzpolitik vorwiegend in nationaler Hand gelassen habe, kritisierte Gauck.
Schöpferische Verlangsamung des Einigungsprozesses
Je stärker der Eindruck entstanden sei, die EU sei überfordert, desto mehr hätten Populisten Einfluss gewonnen, die sich dem angeblich intransparenten Regelwerk grundsätzlich entgegengestellt hätten. Angesichts der Europaskepsis in Teilen der Bevölkerung sei nun eine "schöpferische Verlangsamung" bei der Umsetzung des europäischen Einigungsprojektes notwendig.
Der am 7. Februar 1992 unterzeichnete Vertrag von Maastricht machte den Einstieg in eine gemeinsame Außen- und Sicherheitspolitik sowie eine Zusammenarbeit in der Justiz- und Innenpolitik möglich. Als Rezept gegen Vertrauenskrise und wachsende Entfremdung zwischen politischen Eliten und Bevölkerung empfahl Gauck der Politik eine klare, anschauliche Sprache, ohne übertriebene Erwartungen zu wecken. Wichtig sei aber auch, "dass Regierungen von Mitgliedstaaten kein doppeltes Spiel treiben, indem sie in Brüssel Beschlüssen zustimmen, die sie dann auf nationaler Ebene gelegentlich kritisieren oder - schlimmer noch - konterkarieren". Davon würden am Ende nur die Populisten profitieren, weil ihnen so antieuropäische Argumente frei Haus geliefert würden.
Quelle: ntv.de, jwu/dpa