Politik

"Wenn es nach meinem Herzen geht" Gaucks Antrittsreise wohl nach Polen

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Erstmals ist in Deutschland ein Parteiloser und früherer DDR-Bürger zum Bundespräsidenten gewählt worden. Der Theologe Joachim Gauck erhielt im ersten Wahlgang der Bundesversammlung am Sonntag 991 Stimmen, das entspricht rund 80 Prozent. Seine Antrittsreise wird ihn wohl nach Polen führen, verrät Gauck im Gespräch mit n-tv.

Joachim Gauck nach seiner Wahl in der Bundesversammlung.

Joachim Gauck nach seiner Wahl in der Bundesversammlung.

(Foto: dpa)

Der neue Bundespräsident Joachim Gauck will seine erste Auslandsreise nach Polen unternehmen. Dies wäre sein Wunschziel, "wenn es nach meinem Herzen geht", sagte Gauck im Gespräch mit n-tv. Die genaue Planung stehe aber noch nicht fest. Gaucks Vorgänger Christian Wulff hatte seine erste Reise nach der Wahl 2010 nach Frankreich unternommen, dessen Vorgänger Horst Köhler wählte 2004 Polen als erstes Auslandsziel.

Seinen politischen Schwerpunkt sieht Gauck nach eigenen Worten darin, Menschen zum Engagement "im öffentlichen Raum" zu aktivieren. "Wenn wir Freiheit als Verantwortung sehen, sind wir ein ganzes Stück weiter", sagte Gauck bei n-tv. Er warnte davor, seinen Begriff von Freiheit misszuverstehen: Es gehe ihm nicht um die "Freiheit der Jungen, der Starken", die sich eine "Gesellschaft des Egoismus wünschten", sagte Gauck.

Erneut bat Gauck, ihn nicht mit überhöhten Erwartungen zu befrachten. Den Bürgern wolle er sagen: "Ihr habt in mir keinen Heilsbringer, keinen Heiligen, keinen Engel." Er sei vielmehr ein "Mensch aus der Mitte der Bevölkerung".

Am Abend seiner Wahl wollte sich Gauck nach eigenen Angaben zum Essen mit den Vorsitzenden der Bundestagsparteien treffen. Danach wolle er privat mit Freunden und Verwandten feiern.

"Was für ein schöner Sonntag"

Der ostdeutsche Theologe hatte bei der Wahl bereits im ersten Wahlgang die absolute Mehrheit erhalten. Auf den ehemaligen Leiter der Stasi-Unterlagenbehörde entfielen in der Bundesversammlung 991 Stimmen. Bundeskanzlerin Angela Merkel würdigte Gauck als einen Menschen, der die Belange der Bürger im Auge habe und die Politiker achte. "Insofern wird es auch eine gute Zusammenarbeit werden", zeigte sich die CDU-Chefin überzeugt.

Gauck erhob sich unmittelbar nach der Wahl von seinem Platz in der ersten Reihe, ging zum Rednerpult und nahm die Wahl an. Damit ist der 72-Jährige offiziell als Bundespräsident im Amt. "Was für ein schöner Sonntag," sagte er anschließend vor der spontan applaudierenden Bundesversammlung und setzte fort; "… war es am 18. März 1990 als das Volk der DDR begriff, was Demokratie bedeutet." Damals, bei den ersten freien Wahlen zur DDR-Volkskammer habe er sich geschworen, niemals wieder eine Wahl zu verpassen. "Was für ein schöner Sonntag heute auch für mich selbst", schloss er den Reigen.

Gauck war der gemeinsame Kandidat von CDU, CSU, FDP, SPD und Grünen. Überraschend kam allerdings die Zahl von 108 Enthaltungen in der Bundesversammlung. Der Parlamentarische Geschäftsführer der SPD, Thomas Oppermann, vermutete die Abweichler bei der Union, die sich erst auf Druck der FDP der Nominierung Gaucks angeschlossen hatte.

Achtungserfolg für Klarsfeld

Für die von der Linkspartei nominierte deutsch-französische Journalistin und Nazijägerin Beate Klarsfeld votierten 126 Wahlleute und damit zwei mehr als die Linke stellte. Der Kandidat der rechtsextremen NPD, Olaf Rose, bekam drei Stimmen. Die dritte Präsidentenwahl innerhalb von drei Jahren war nötig geworden, nachdem Gaucks Vorgänger Christian Wulff im Februar nach wochenlanger Kritik in der Kredit- und Medienaffäre zurückgetreten war.

Gauck sagt mit "Herzen Ja zur neuen Verantwortung"

1240 Wahlleute hatten den neuen Bundespräsidenten bestimmt.

1240 Wahlleute hatten den neuen Bundespräsidenten bestimmt.

(Foto: dpa)

Gauck sagte in seiner Rede, er werde sicher nicht alle Erwartungen, die an ihn und seine Präsidentschaft gerichtet seien, erfüllen können. "Aber eins kann ich versprechen: Dass ich mit all meinen Kräften und mit meinem Herzen Ja sage zu der Verantwortung, die Sie mir heute übertragen haben." Dabei wolle er sich neu "auf Themen, Probleme und Personen einlassen". Dazu gehöre auch die Auseinandersetzung "mit Fragen, die uns heute in Europa und der Welt bewegen". Es gehe darum, Verantwortung zu übernehmen. "Es ist der Mühe wert, es unseren Kindern so anzuvertrauen, dass auch sie zu diesem Land 'Unser Land' sagen können."      

Der frühere Bürgerrechtler hatte die Wahl von der Besuchertribüne im Reichstag an der Seite seiner Lebensgefährtin Daniela Schadt verfolgt und mit ihr gemeinsam am Morgen den ökumenischen Gottesdienst besucht. Zur Verkündung des Ergebnisses hatte Gauck zwischen den Abgeordneten von Grünen und Union Platz genommen. Anschließend schüttelte er zahlreiche Hände und nahm Blumensträuße entgegen.

Kritische Stimmen gehören dazu

Der 1940 in Mecklenburg geborene Kapitänssohn war von 1990 bis 2000 Bundesbeauftragter für die Stasi-Unterlagen. 2010 war er Kandidat von SPD und Grünen für das Bundespräsidentenamt und genoss schon damals in der Bevölkerung hohe Sympathien. Union und FDP hatten sich damals jedoch für Wulff entschieden, der aber erst im dritten Wahlgang eine Mehrheit erhielt. 1999 war Gauck schon einmal als Kandidat im Gespräch gewesen.

Als früherer Pfarrer in Rostock war Gauck vor 1989 durch kritische Predigten aufgefallen. Von seinen wöchentlichen Gottesdiensten zur Veränderung der Gesellschaft in der Marienkirche gingen Massendemonstrationen im Herbst 1989 aus. Kritiker halten ihm aber vor, er trage das Etikett Bürgerrechtler zu Unrecht und habe nicht zur eigentlichen DDR-Opposition gehört.

Gauck wird zudem eine Verengung auf das Thema Freiheit vorgehalten. Die Grünen-Politiker Hans-Christian Ströbele und Memet Kilic hatten offen angekündigt, Gauck nicht zu wählen – unter anderem, weil er sich kritisch zur "Occupy"-Bewegung geäußert und dem früheren Berliner Finanzsenator Thilo Sarrazin wegen seiner Thesen zur Integration Mut bescheinigt hatte.

Merkel sagte, Kritik gehöre nun einmal zum Wesen der Demokratie. Gauck sei Manns genug, sich dieser Kritik zu stellen. Die Tatsache, dass mit ihr und Gauck zwei ostdeutsche Protestanten an der Spitze der Staates stünden, wertete sie als Zeichen dafür, dass die deutsche Vereinigung gelungen sei.

Ein "Glücksfall für die deutsche Geschichte"

Spitzenpolitiker von Union, SPD, Grünen und FDP äußerten die Erwartung, dass Gauck kein bequemer Präsident sein werde. Es handle sich gleichwohl um einen "Glücksfall für die deutsche Geschichte, dass wir zur richtigen Zeit den richtigen Mann an der richtigen Stelle haben", sagte FDP-Fraktionschef Rainer Brüderle. Nach Ansicht des SPD-Fraktionsvorsitzenden Frank-Walter Steinmeier wird der 72-Jährige schnell Vertrauen wieder aufbauen. Zugleich warnte er davor, den neuen Mann an der Spitze mit Erwartungen zu überfrachten. Grünen-Fraktionschef Jürgen Trittin sagte: "Gauck wird viele Dinge sagen, die auch den Grünen nicht gefallen werden."

CDU-Generalsekretär Hermann Gröhe zeigte sich überzeugt, dass Gaucks eigene Begeisterung für Demokratie auf das Volk überspringen werde. DGB-Chef Michael Sommer erwartet, dass Gauck "ausgehend von seinem Freiheitsbegriff auch seine politische Agenda um die Fragen der sozialen Gerechtigkeit" erweitern wird.

Bundestagspräsident Norbert Lammert äußerte die Hoffnung, dass die nächste Präsidentenwahl wie im Grundgesetz vorgesehen erst wieder nach fünf Jahren stattfinden wird. Es sei eine glückliche Fügung, dass künftige Präsidenten dann stets am 18. März gewählt oder vereidigt würden. Dieses Datum habe für die deutsche Geschichte eine besondere Bedeutung. Der CDU-Politiker erinnerte an die "Märzforderungen" von 1848 sowie die ersten freien Wahlen zur DDR-Volkskammer am 18. März 1990.     

Quelle: ntv.de, ppo/dpa

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