Politik

Trauzeugen-Affäre im Bundestag Graichen erklärt sich, Habeck wehrt sich

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Patrick Graichen und Robert Habeck vor dem Ausschuss

Patrick Graichen und Robert Habeck vor dem Ausschuss

(Foto: picture alliance / photothek)

Erst Ausschusssitzung, dann hitzige Bundestagsdebatte: Der Streit um Patrick Graichen sorgt für einen denkwürdigen Tag in Berlin. Robert Habecks Staatssekretär bittet um Entschuldigung, Habeck selbst versucht sich im Gegenangriff - und die Union sieht keinen Grund, mit ihrer Kritik nachzulassen.

Erstmals lässt sich Patrick Graichen öffentlich zur bislang größten Regierungs-Affäre der Ampelkoalition ein. "Ich habe bei dem Besetzungsverfahren der DENA-Geschäftsführung einen Fehler gemacht, den ich sehr bedaure und bereue", sagt der Staatssekretär im Bundeswirtschaftsministerium (BMWK) an diesem Mittwochnachmittag vor den Mitgliedern der beiden Bundestagsausschüsse für Wirtschaft sowie für Energie und Klimaschutz. Der Satz entstammt einem Eingangsstatement, das das BMWK zuvor an Medienvertreter verschickt hat. Diese waren von der nicht-öffentlichen Sitzung um die sogenannte Trauzeugen-Affäre und Personalverflechtungen im Hause Habeck ausgeschlossen - sehr zum Unmut von Graichens Vorgesetztem, Vizekanzler und Bundeswirtschaftsminister Robert Habeck.

Auf Wunsch der CDU/CSU-Fraktion hatten sich beide, Habeck und Graichen, an diesem Vormittag zu einer gemeinsamen Sitzung beider Bundestagsausschüsse eingefunden. Sie sollten erklären, was sich da zugetragen hatte bei der Auswahl von Graichens Freund und Trauzeugen, Michael Schäfer, für den Geschäftsführerposten der bundeseigenen Deutschen Energieagentur (DENA). Der Staatssekretär hatte den Auswahlprozess mit begleitet, das persönliche Näheverhältnis zum Bewerber aber erst Wochen nach dessen Berufung durch den DENA-Aufsichtsrat transparent gemacht.

Graichen erklärt sich

"Mir ging es keinesfalls darum, Michael Schäfer durchzusetzen, sondern vielmehr, ihn nicht von dem Verfahren auszuschließen und dass es ein starkes Bewerberfeld gibt", sagt Graichen nun vor den Abgeordneten. "Als er mich informiert hat, dass er sich bewerben wird, habe ich ihm dann sehr deutlich gesagt, dass unsere Freundschaft in diesem Verfahren kein ausschlaggebender Grund für das Ergebnis sein darf." Er habe Schäfer in dem gesamten Verfahren keine Vorteile verschafft, beteuert Graichen. "Heute ist mir klar, dass ich mich aufgrund der Kandidatur von Michael Schäfer sofort aus der Findungskommission hätte zurückziehen müssen."

Damals aber habe Graichen gedacht, es genüge, wenn die eigene Stimme nicht ausschlaggebend sei. Zumal ihm die meisten Bewerber gut bekannt gewesen seien und die Beziehung zu Schäfer nur eine "graduelle Abstufung" zu anderen Bewerbern darstelle. Schäfer hat inzwischen auf den Posten verzichtet und das Bewerbungsverfahren wird neu aufgesetzt. Graichen drohen womöglich noch disziplinarische Konsequenzen: "Wir haben Compliance Regeln, gegen die ist hier erkennbar verstoßen worden und sind nicht eingehalten worden", sagt Habeck im Anschluss an die Ausschusssitzung. "Insofern gibt es auch eine Prüfung, inwieweit Beamtenrecht tangiert ist." Einem Ergebnis wolle er nicht vorgreifen.

Union hält an Graichen-Rücktritt fest

Für die Union ist aber nach diesem Mittwoch klar: Weder ist der Aufklärung Genüge getan, noch könne Graichen im Amt bleiben. "Wir haben höchste Zweifel an der Eignung des Staatssekretärs", sagt die Wirtschaftsausschussvorsitzende, CDU-Politikerin Julia Klöckner, nach der Anhörung Graichens und Habecks. Graichen tue einen Verstoß gegen den Verhaltenskodex als Regierungsbeamter als "lapidaren Fehler" ab und habe darüber hinaus auch seinen Minister getäuscht. Klöckner will auch die Einsetzung eines Untersuchungsausschusses nicht ausschließen, erst mal aber solle der Wirtschaftsausschuss den Vorgang weiter aufarbeiten.

Die kommende Ausschusssitzung zum Personal an der BMWK-Spitze soll nach Vorstellung der Union öffentlich stattfinden. Dies hatten sich auch die Grünen-Abgeordneten sowie Habeck schon für die erste Anhörung Graichens gewünscht. FDP und SPD waren aber aus vorgeblich prinzipiellen Erwägungen gegen eine öffentliche Sitzung, weshalb die Grünen aus Koalitionsräson mit ihren Regierungspartnern gegen die Öffentlichkeit stimmten. Damit machten es Sozialdemokraten und Liberale der Opposition leicht, Habeck einen mangelnden Aufklärungswillen zu unterstellen. SPD und FDP zeigten am heutigen Mittwoch erkennbar wenig Interesse, sich mehr als unbedingt nötig für Habeck in die Bresche zu schlagen. In den Umfragen sinkt der Stern des als Kanzlerkandidaten bisher ernstzunehmenden Scholz-Herausforderers Habeck rasant.

Habeck bittet um Differenzierung

Die Grünen suchen dagegen einen Weg raus aus der Defensive: Dass Union, Teile der FDP und die Springer-Presse die Trauzeugen-Affäre mit bis dato als unproblematisch eingestuften Verwandtschaftsverhältnissen und ihrer Kritik am Gebäudeenergiegesetz (GEG) zu einer Erzählung über "Clanstrukturen" im Hause Habeck vermengen, ist aus Sicht des Vizekanzlers weit drüber. Über ein "Gespinst aus Unterstellungen oder gar falschen Behauptungen", klagt Habeck vor den Ausschussmitgliedern. "Es fielen böse Formulierungen, die die Arbeit des gesamten Wirtschaftsministeriums diffamierten." Der draußen wartenden Presse sagt Habeck, es seien "einige Äußerungen gefallen, die an Übertreibung, Häme und Unterstellungen weit über das hinausgehen, was eine harte politische Debatte eigentlich notwendig macht oder ertragen kann".

Politiker und Medien forderte Habeck auf, verschiedene Themen auch verschieden zu behandeln. Der Streit ums GEG solle in der Sache, nicht über Menschen geführt werden. Die Besetzung von 35 Vizekanzlerstellen im Ministerium mit Vertrauensleuten der Energiewende-Bewegung sei eben auch an Habecks Amtszeit gekoppelt. Die Verwandtschaftsverhältnisse der Staatssekretäre Graichen und Michael Kellner seien von Beginn an transparent gemacht und entsprechende Brandmauern gezogen worden.

Einzig die DENA-Besetzung sei ein "Fehler". "Und natürlich ist es berechtigt, zu fragen, ob der Fehler so gravierend ist, dass ich Staatssekretär Graichen entlassen muss", sagt Habeck laut Ministerium vor den Ausschussmitgliedern. "Und natürlich habe ich mir diese Frage gestellt. Und sicher auch der Staatssekretär selbst. Ich habe sie verneint." Vor der Presse räumt Habeck ein, für seine politischen Vorhaben und sein Ministerium sei "natürlich ein Schaden entstanden, unter dem wir alle leiden".

Harte Angriffe der Union

Sofern das ministeriumsinterne Compliance-Verfahren nicht doch noch Habeck Anlass gibt, Graichen Adé zu sagen, geht er also mit ihm durch den Sturm. Und der weht mit Macht: "Herr Habeck, Sie sind Gefangener Ihrer Getreuen und Ihrer eigenen Ideologie", sagt CDU-Generalsekretär Mario Czaja am Nachmittag in einer Aktuellen Stunde des Bundestags zu den Personalverflechtungen im Wirtschaftsministerium. Und: "Sie sind der Kopf dieses Netzwerks." Habeck verbreite mit dem Heizungsgesetz "Angst und Schrecken im ganzen Land", ruft Czaja. Experten mit anderen Meinungen würden im BMWK nicht mehr gehört, denn: "Die Clique hat sich abgeschottet."

Der CDU-Abgeordnete Andreas Lenz vermutet gar ein "Schweigekartell" im BMWK, weil dort die Freundschaft zwischen Graichen und Schäfer vielen bekannt gewesen sei. Vornehmer sagt es Klöckner nach der Ausschussanhörung: Es sei ein demokratisches Problem, wenn eine Verflechtung aus Freunden, Verwandten und der Energiewende-Bewegung einander ihre Meinungen bestätigten und das Ministerium sich auf Gutachten aus dem eigenen Dunstkreis stütze, um Entscheidungen zu begründen und durchzusetzen.

"Sie haben keine Substanz, nur Unterstellungen"

Grüne und SPD bringt die Union mit ihrem Vetternwirtschaftsvorwurf auf die Palme. "Die Zeit fossiler Energie-Lobbyisten in Staatsämtern ist abgelaufen", ruft Grünen-Politiker Andreas Audretsch in der Aktuellen Stunde. Unter dem Christdemokraten Peter Altmaier seien Klimawandel-Leugner und Windkraftgegner im Wirtschaftsministerium ein und aus gegangen. Czaja agitiere gegen Klimaschutz und auch der CDU-Vorsitzende Friedrich Merz sei ein Klimaschutz-Gegner.

Sozialdemokrat Sebastian Roloff empört sich über CDU und CSU: "Sie haben nichts Besseres zu tun, als in der Aktuellen Stunde mit Dreck zu werfen und zu hoffen, dass irgendwas hängen bleibt. Sie haben keine Substanz, sondern nur Unterstellungen." Der SPD-Abgeordnete Markus Hümpfer fährt die Union an: "Den größten Filz in der deutschen Politik finden wir in Ihrer Fraktion."

Es geht hoch her an diesem Tag. Auch die AfD ist maximal empört, genauso wie die Linke. Deren Redner Klaus Ernst bringt aber das große Dilemma auf den Punkt, wenn Habecks Verteidiger im Gegenzug der Union ihre Affären der Vergangenheit vorhalten: "Wollen Sie wirklich Ihre eigenen Missstände damit rechtfertigen, dass es bei denen auch Affären gab?", fragt Ernst. Das Kapitel Graichen bleibt erst einmal offen.

Quelle: ntv.de

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