Der Moralprediger ist zurück Grass kritisiert Israel
04.04.2012, 09:51 UhrGünter Grass meckert wieder. Diesmal verurteilt der Schriftsteller die geplanten Waffenlieferungen nach Israel. Gemeint ist ein U-Boot mit lenkbaren Sprengköpfen. Israel gefährde damit den Weltfrieden. Und Deutschland mache sich zu einem Zulieferer eines "voraussehbaren Verbrechens".
Vor dem Hintergrund des Atomstreits mit dem Iran hat Literaturnobelpreisträger Günter Grass Deutschland und Israel scharf kritisiert. Mit der Lieferung von Waffen könnte die Bundesrepublik zu einem Zulieferer eines "voraussehbaren Verbrechens" werden, schrieb Grass in einem Gedicht, das in der "Süddeutschen Zeitung" veröffentlicht wurde.
Der Schriftsteller bezog sich damit offenbar auf Äußerungen israelischer Politiker, die einen Angriff auf iranische Atomanlagen nicht ausschließen. Vor allem der Westen verdächtigt die Islamische Republik, Atomwaffen zu bauen. Die Regierung in Teheran bestreitet dies. Konkret kritisierte Grass die Lieferung eines weiteren U-Bootes "aus meinem Land" nach Israel. Dieses könne Sprengköpfe in den Iran lenken. Dabei sei die Existenz einer einzigen iranischen Atombombe nicht bewiesen. Israel dagegen verfüge über ein Atompotenzial, das außer Kontrolle sei.
"Warum sage ich jetzt erst, gealtert und mit letzter Tinte: Die Atommacht Israel gefährdet den ohnehin brüchigen Weltfrieden?", schrieb Grass. Dem Westen warf er in diesem Zusammenhang Heuchelei vor. Zudem forderte Grass in dem Text, "daß eine unbehinderte und permanente Kontrolle des israelischen atomaren Potentials und der iranischen Atomanlagen durch eine internationale Instanz von den Regierungen beider Länder zugelassen wird."
"Warum aber schwieg ich bislang?"
Grass fragt, warum er es sich untersagt habe, "jenes andere Land beim Namen zu nennen, in dem seit Jahren - wenn auch geheimgehalten - ein wachsend nukleares Potential verfügbar aber außer Kontrolle, weil keiner Prüfung zugänglich ist?". Er fühle es als "belastende Lüge und Zwang", dass er bisher dazu geschwiegen habe. Wer dieses Schweigen breche, dem stehe eine "Strafe" in Aussicht: "das Verdikt "Antisemitismus" ist geläufig".
In seinem Gedicht spricht Grass von einem behaupteten Recht auf den Erstschlag gegen "das von einem Maulhelden unterjochte und zum organisierten Jubel gelenkte iranische Volk", nur weil in dessen Machtbereich der Bau einer Atombombe vermutet werde. Er sei der "Heuchelei des Westens" überdrüssig und hoffe, dass sich viele von dem Schweigen befreien.
"Warum aber schwieg ich bislang?", fragt sich Grass und nennt als Grund: "Weil ich meinte, meine Herkunft, die von nie zu tilgendem Makel behaftet ist, verbiete, diese Tatsache als ausgesprochene Wahrheit dem Land Israel, dem ich verbunden bin und bleiben will, zuzumuten."
"Gedicht erzeugt konfuses Rauschen"
Die linksliberale römische Tageszeitung "La Repubblica" kritisiert das Gedicht von Grass. "Günter Grass tritt wieder auf den Plan. Und er tut dies mit einem lyrischen Text, der dazu bestimmt ist, einen Streit auszulösen. Der Literatur-Nobelpreisträger meint, dass Israel die wahre Gefahr für den Frieden ist und nicht der Iran. (…) Das Ergebnis seines Gedichts besteht allein darin, ein konfuses Rauschen zu erzeugen, eine unmögliche Gleichstellung von Israel mit dem Iran, eine unglaubwürdige Verdrängung jener Bedrohung, die das Regime in Teheran für Jerusalem darstellt. (...) In diesem ganzen Konflikt ist das Schweigen Europas ohrenbetäubend. Das Europa nach dem deutschen Maß von heute ist ein politischer Zwerg, eine schweigende Zuschauerin. Es wird jedoch kein Gedicht sein, das Europa aus dieser Ecke herausholt. Und sicherlich nicht dieses Gedicht."
Der Publizist Henryk M. Broder nannte Grass in einem Artikel in der "Welt" den "Prototypen des gepflegten Antisemiten, der es mit den Juden gut meint", aber von Schuld- und Schamgefühlen verfolgt und vom dem Wunsch getrieben werde, "Geschichte zu verrechnen."
Im Jahr 2006 hatte Grass einen Eklat verursacht: In seiner Autobiografie "Beim Häuten der Zwiebel" bekannte er zur allgemeinen Überraschung, dass er als 17-Jähriger am Ende des Zweiten Weltkriegs Mitglied der Waffen-SS war. Der Autor musste zum Teil heftige Kritik einstecken. Ihm wurde vor allem vorgeworfen, seine SS-Zugehörigkeit jahrzehntelang verschwiegen zu haben, während er andere immer wieder wegen ihrer NS-Vergangenheit öffentlich kritisierte. Manch einer sprach ihm die moralische Integrität ab.
Quelle: ntv.de, cro/rts/dpa