Hausbesetzungen legitim? Grüne lassen Habeck auflaufen
24.05.2018, 17:27 Uhr
Hoffnungsträger der Grünen mit großen Ambitionen: Parteichef Habeck.
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Die Hausbesetzungen in Berlin sorgen für Streit bei den Grünen. Parteichef Robert Habeck muss zum ersten Mal seit seiner Wahl stärkeren Gegenwind aushalten.
Es war eine Nachricht, die am langen Pfingstwochenende zunächst bundesweit kaum auf größere Aufmerksamkeit stieß. In den Berliner Stadtteilen Neukölln und Kreuzberg besetzten Aktivisten mehrere leer stehende Häuser, eines gehörte einer landeseigenen Wohnungsbaugesellschaft. Die Häuser wurden von der Polizei wieder geräumt, gegen 56 Personen wird wegen Hausfriedensbruch ermittelt. Danach ging der Streit aber erst richtig los. Im Mittelpunkt stand die Frage, ob Hausbesetzungen als Mittel des politischen Protests legitim sind. Berliner Politiker von Grünen und Linken bekundeten - teilweise deutlich - Sympathie und Verständnis für die Besetzer, die SPD verurteilte die Aktionen. Der Riss verläuft jedoch nicht nur durch die rot-rot-grüne Koalition in der Hauptstadt. Vor allem die Grünen sind tief gespalten, denn sie haben ein besonderes Verhältnis zu dem Thema.

Auch in der Reichenberger Straße in Berlin-Kreuzberg wurde am Wochenende ein Haus besetzt.
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Das gilt vor allem für Berlin. In der Stadt wurden seit den 70ern viele Häuser besetzt. Viele Berliner Grüne kommen aus der Hausbesetzerbewegung. Im November 1990 platzte die rot-grüne Koalition in Berlin, nachdem der SPD-Innensenator die Räumung von besetzten Häusern in der Mainzer Straße im Stadtteil Friedrichshain veranlasst hatte. Angesichts dieser Historie verteidigt die Grünen-Bundestagsabgeordnete Lisa Paus die Pfingstaktivisten. Sie sagte n-tv.de: "Hausbesetzungen haben eine historische Bedeutung in der Geschichte von Berlin. Es ist ein legitimes Mittel, um gegen grassierende Wohnungsnot zu demonstrieren und ein Warnzeichen der Gesellschaft." Ein Haus zu besetzen sei nicht per se eine Straftat. "Wenn Eigentümer im Falle eines spekulativen Leerstandes ihren Pflichten nicht nachkommen, ist es legitim."
Die Berliner Bundestagsabgeordnete Canan Bayram, die am Wochenende mit anderen Politikern von Linken und Grünen an Verhandlungen mit den Hausbesetzern beteiligt war, rechtfertigte die Vorfälle ebenfalls. "Ziviler Ungehorsam ist ein legitimes Mittel, um auf Missstände aufmerksam zu machen." Auch von anderen Grünen kam zumindest zurückhaltender Zuspruch. Der frühere Parteichef Jürgen Trittin räumte im Interview mit dem Deutschlandfunk zwar ein, dass Hausbesetzungen illegal seien. Er unterstrich jedoch den demonstrativen Charakter. Es sei ein "berechtigtes Anliegen, auf einen Missstand hinzuweisen". Der Staat sei nicht in der Lage, dafür zu sorgen, dass vorhandener Wohnraum für sozial Schwächere genutzt werde.
"Klar wie Kloßbrühe"
Am Mittwoch ergriff die neue Parteispitze schließlich das Wort. Der neue Grünen-Vorsitzende Robert Habeck verurteilte in der "Welt" die Hausbesetzungen und ging auch auf Distanz zu parteiinternen Sympathisanten. "Wer als Hausbesetzer in Häuser eindringt, weiß, dass das Unrecht ist und entsprechende Konsequenzen hat. Da muss man nicht um den heißen Brei herumreden: Dass das Rechtsbruch ist, ist klar wie Kloßbrühe", so Habeck. Er stellte klar: Die Unterstützung der Besetzer trage die Partei nicht mit.

Trat bei der Bundestagswahl 2017 nicht mehr an: Grünen-Legende Ströbele.
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Damit war die Debatte jedoch längst noch nicht beendet. Grünen-Legende Hans-Christian Ströbele gab den Besetzern im "Spiegel" Rückendeckung. In Richtung seines Parteichefs entgegnete er etwas süffisant: "Wahrscheinlich muss ich den Robert Habeck mal zu einem Gespräch einladen und ihn fragen, wie er das genau sieht. Er liegt da falsch." Und: "Er ist ja ein Schriftsteller und kein Jurist. Vielleicht kann er das aus Schleswig-Holstein auch nicht so beurteilen, da ist die Situation des Wohnungsmarktes ja eine andere." In seiner Zeit als Anwalt hat Ströbele viele Hausbesetzer vor Gericht verteidigt.
Die Grünen-Abgeordnete Lisa Paus äußert sich ähnlich: "Robert Habeck ist wie ich kein Jurist. Da ist es völlig normal, dass er sich mit den konkreten Fällen nicht so auskennt. Seine Einschätzung teile ich nicht." Zumindest die frühere Grünen-Bundestagsabgeordnete Valerie Wilms aus Schleswig-Holstein schlug sich auf seine Seite. "In Berlin gibt es wohl einen rechtsfreien Raum im Gegensatz zu den anderen Bundesländern. So macht sich Berliner Landespolitik selbst unglaubwürdig", twitterte sie. Trotzdem steht Habeck nun ein bisschen blöd da. So wie jemand, dem seine Parteifreunde bei diesem Thema keine Autorität zubilligen.
Umstrittene Ströbele-Nachfolgerin
Mehrere Grünen-Politiker wollen sich auf Anfrage lieber gar nicht mehr äußern. Es ist nicht das erste Mal, dass das heikle Thema Hausbesetzungen die Partei entzweit. Schon im Bundestagswahlkampf gab es Streit. Im Mittelpunkt stand ebenfalls Canan Bayram. Und das nicht nur weil sie Ströbele als Direktkandidatin in der Grünen-Hochburg, dem Wahlkreis Friedrichshain-Kreuzberg-Prenzlauer Berg Ost, beerbte. Auslöser waren die Wahlplakate des Bezirksverbandes: "Die Häuser denen, die drin wohnen", ein alter Slogan von Berliner Hausbesetzern.
Die Grünen-Parteispitze betonte damals, dass dies kein Teil der Bundeskampagne sei, das Plakat sei "missverständlich". Volker Ratzmann, früher Grünen-Fraktionschef in Berlin und heute Staatssekretär des Grünen-Ministerpräsidenten Winfried Kretschmann, bezeichnete Bayram in einem internen Mailverteiler als "unwählbar". Berliner Grüne verteidigten das Motiv. Sebastian Brux, Sprecher des Grünen-Justizsenators in Berlin, stichelte: "Mal sehen, wer am 24. 9. um 18 Uhr den erfolgreicheren Wahlkampf geführt hat."
Auch Cem Özdemir sah sich schließlich dazu genötigt, in den Konflikt einzugreifen. "Im Bund sind wir gerade so geschlossen und entschlossen wie schon sehr lange nicht mehr. Das wünsche ich mir von allen unseren Landesverbänden", so der damalige Grünen-Chef. Özdemirs Nachfolger Habeck, der die Führung der Partei erst vor einigen Monaten übernommen hat und die Grünen zu einer linken Volkspartei formen will, macht nun ähnliche Erfahrungen. Es dürfte ihn womöglich darin bestätigen, wie schwer es wird, das weite Spektrum in der Partei auf einen gemeinsamen Kurs zu trimmen.
Quelle: ntv.de