Versteckspiel im Lieferdickicht "Grüner Knopf" soll Kleidung sauber machen
16.10.2014, 19:26 Uhr
Ein Kind spielt auf Bergen von Lederresten in Bangladesch.
(Foto: REUTERS)
Kinderarbeit, Hungerlöhne, Vergiftungen – T-Shirts in deutschen Kleiderschränken sind selten fair produziert. Ein zusätzlicher Euro pro Jeans könnte daran etwas ändern, doch die Wirtschaft macht nicht mit.
Praktisch jeder deutsche Supermarkt verkauft heute fair gehandelten Kaffee und Milch mit Bio-Siegel. Wer bereit ist, etwas mehr Geld zu bezahlen, muss heute keine Ausbeutung auf Plantagen in Entwicklungsländern und keine Massentierhaltung von Kühen mehr unterstützen. Sollte etwas Ähnliches nicht auch bei Kleidung möglich sein?
Spätestens seit vor anderthalb Jahren in Bangladesch eine Fabrik einstürzte und über 1000 Arbeiter starben, ist vielen Deutschen bewusst, dass auch die hier verkaufte Kleidung unter problematischen Bedingungen hergestellt wird. Obwohl die Produktionskosten nur einen winzigen Anteil am Verkaufspreis haben, gibt es in Ostasien einen harten Wettbewerb um die billigste Herstellung – befeuert auch von deutschen Unternehmen. Die Folgen: mangelhafter Schutz vor giftigen Dämpfen, Hungerlöhne und Kinderarbeit. Bundesentwicklungsminister Gerd Müller berichtet von einer Gerberei in Marokko, die er besichtigt habe: 12-Jährige stünden dort barfuß in den Chemikalien, um Lederhosen für den deutschen Markt zu produzieren.
Um solche Verhältnisse zu verändern, hat Müller nun ein Bündnis zusammengetrommelt. Gemeinsam will man genug Marktmacht erlangen, um den Produzenten in Asien ordentliche Produktionsbedingungen zu diktieren. Nur einen Euro mehr müssten deutsche Kunden dann zahlen, um fair produzierte Kleidung zu bekommen. Kann das gelingen?
Die Gründung des "Textilbündnisses" startet mit einer mittleren Katastrophe. Von den über 60 Firmen und Organisationen, die in den vergangenen Monaten mit dem Entwicklungsminister Standards ausgearbeitet haben, sind nur 28 im Bündnis dabei. Darunter befinden sich vor allem Verbände und Vereine – und nur fünf Hersteller von Kleidung: Hessnatur, Lillika Eden, Schweikardt, Trigema und Vaude. Zwei von ihnen geben an, ohnehin nur in Deutschland zu produzieren. Von "Marktmacht" kann keine Rede sein.
Die großen waren alle mal dabei
Dabei hatten sich seit Mai auch die großen Player der Branche daran beteiligt, den Aktionsplan des Bündnisses auszuarbeiten. Darunter waren die vier größten Textileinzelhändler Deutschlands: Otto, H&M, C&A und die Metro-Gruppe, zu der die Kaufhof-Märkte gehören. Allein Otto verdient mit dem Verkauf von Kleidung etwa 20 Mal so viel Geld wie die Unternehmen des Textilbündnisses zusammen. Wenn man nachfragt, warum sie den Aktionsplan nun nicht unterzeichnen, kommen sehr ähnliche Antworten: Erst einmal müssten "umsetzbare Ziele" formuliert werden. Was im Aktionsplan steht, ist also angeblich nicht umsetzbar. Konkreter wird es offiziell nicht. Unter der Hand benennt ein Unternehmensvertreter gegenüber n-tv.de die zwei Knackpunkte: Erstens sollen "existenzsichernde Löhne" gezahlt werden – die würden aber noch nicht einmal in Deutschland gezahlt. Zweitens sei es schlicht nicht möglich, alle gefährlichen Chemikalien aus der Produktion zu verbannen.
Die Argumente wirken dünn. Denn die Verbannung von Chemikalien fordert der Aktionsplan gar nicht. Es geht lediglich darum, "Gefährdungsursachen" zu minimieren und "Schutzausrüstung" zur Verfügung zu stellen. Und der Vergleich von Löhnen in Deutschland und Ostasien ist zweifelhaft: Richtig ist, dass auch nicht alle deutschen Arbeitnehmer von ihrer Arbeit leben können und zusätzlich Arbeitslosengeld II beziehen. Solche sozialen Auffangsysteme gibt es in Bangladesch aber nicht.
Die Unternehmen, die nun nicht mitmachen – also praktisch alle – setzen sich mit ihrer Zurückhaltung einem Verdacht aus: Dass sie nämlich gar nicht wissen, wo ihre Produkte herkommen und darum auch keine Standards garantieren können. Beim Baumwollanbau, Färben, Weben und Nähen sind oft zehn Firmen beteiligt. Die großen deutschen Händler haben wahrscheinlich jeweils mehrere hundert Zulieferer, genau kann er niemand sagen. Das macht es sehr schwer, die Lieferketten transparent zu machen und Standards zu kontrollieren. Aus Sicht der deutschen Unternehmen könnte das sogar ein Vorteil sein, weil sie sich – wie jetzt – im Gewirr der Produktion verstecken können.
Eine Chance auf faire Kleidung
Müller will das nicht gelten lassen: In den Unternehmen arbeiteten doch Spezialisten, die immer auf der Suche nach neuen Zulieferern seien und sich in der Branche auskennen. Damit müsste es doch auch möglich sein, einen Überblick über die Lieferkette zu erhalten. Er setzt nun darauf, dass sich weitere Unternehmen seinem Bündnis anschließen. "Die Tür ist offen", sagt er, und er gehe fest davon aus, dass Otto sich noch bewegt. Doch der Branchenriese hat da bereits eine Absichtserklärung des Handelsverbands unterschrieben, in der man das Textilbündnis als Schritt in die richtige Richtung würdigt, den Beitritt aber ablehnt.
Was ist von dem verbleibenden Mini-Bündnis nun zu erwarten? Im kommenden Jahr soll es ein Siegel geben, das nachhaltige Kleidung erkennbar macht. Es könnte den Namen "Grüner Knopf" tragen und die verschiedenen Zertifikate, die es schon gibt, vereinen. Wie beim Fairen Handel und bei Bio-Produkten sollen wenige kleine Firmen vorangehen und das Siegel in den Markt einführen. Das Kalkül: Wenn die Verbraucher verstärkt Kleidung mit "Grünem Knopf" kaufen, ziehen andere Händler nach.
"Keiner von Ihnen kann ausschließen, dass Ihre Kleidung zu menschenunwürdigen Bedingungen hergestellt wurde", sage Müller zu den Journalisten, denen er das Bündnis vorstellt. Später berichtet er, wie er neulich einen fair hergestellten Anzug kaufen wollte, aber der Verkäufer nur mit dem Kopf schüttelte. Falls sich der "Grüne Knopf" etablieren sollte, würden die Verbraucher zumindest die Chance haben, sich fair einzukleiden.
Quelle: ntv.de