Politik

Debatte um 100 Milliarden Euro Beim Sondervermögen tut sich ein Graben auf

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Scholz' Vorstoß für das Sondervermögen ist noch lange nicht in trockenen Tüchern.

(Foto: picture alliance/dpa)

Die Bundesregierung will 100 Milliarden Euro Sonderschulden für mehr Bundeswehr-Ausrüstung und andere Sicherheitsaufgaben aufnehmen. Doch die Union, deren Stimmen die Ampel braucht, stellt sich bei der ersten Lesung im Bundestag quer - und pocht auf Mitspracherecht.

Dass der Bundesregierung dieses Anliegen wichtig ist, lässt sich schon an der Liste der Redner ablesen: Mit Bundesfinanzminister Christian Lindner, Bundesverteidigungsministerin Christine Lambrecht und Bundesaußenministerin Annalena Baerbock bringen sich prominente Kabinettsmitglieder aller drei Regierungsparteien in die erste Lesung für das Gesetz zur Grundgesetzänderung für die Einführung eines Sondervermögens ein. Sie sind es auch, deren Ressorts im Wesentlichen betroffen sind. Schließlich sollen die 100 Milliarden Euro Sonderschulden unter Umgehung der - von Lindner als heilig erachteten - Schuldenbremse in die Stärkung der deutschen Verteidigungs- und Sicherheitspolitik fließen. Das Sondervermögen einzuführen, ist die maßgebliche Konsequenz, die die Regierung aus Russlands Angriffskrieg zieht, den Bundeskanzler Olaf Scholz als "Zeitenwende" markierte.

"Es handelt sich hier um eine Entscheidung historischen Charakters", führt Lindner am späten Mittwochnachmittag ins Thema ein und zieht jetzt schon Parallelen zum NATO-Doppelbeschluss der frühen 1980er Jahre. Dass der Vergleich den Aufrüstungsskeptikern in den Reihen von SPD und Grünen schmeckt, darf bezweifelt werden. Eher schon, dass auch Lindner deutlich macht, dass das Geld nicht allein in die Bundeswehr fließen solle, sondern es eine "große Priorität auch bei Diplomatie und internationaler Krisenprävention geben muss". Mit diesem Verständnis von Sicherheitspolitik hatte die Ampel überhaupt erst breite Zustimmung in allen drei Fraktionen sicherstellen können, nachdem Scholz in seiner Zeitenwende-Rede noch von rein militärischen Investitionen gesprochen hatte und vielen Grünen und Sozialdemokraten ganz flau wurde beim Zuhören.

Union will sich nicht vor Ampel-Karren spannen lassen

Dass der Kanzler es am 27. Februar im Nachhinein gar nicht so gemeint haben will, stellt die Ampel aber vor ein Problem: Denn der damals kräftige Applaus aus den Reihen der Unionsfraktion beruhte vor allem darauf, dass die Abgeordneten von CDU und CSU zwei Dinge rausgehört haben: dass das Geld allein in die Streitkräfte fließen solle und dass Deutschland künftig jedes Jahr Haushaltsmittel in Höhe von mehr als 2 Prozent des Bruttoinlandsprodukts in die Streitkräfte stecken werde, also endlich entsprechenden Forderungen der USA und anderer NATO-Partner nachkomme. Weil von beidem kurz darauf nicht mehr die Rede war, wackelt die Zustimmung der Union und ohne Union kommen SPD, Grüne und FDP nicht auf die benötigte Zweidrittelmehrheit zur Änderung des Grundgesetzes.

In dieser Debatte erinnert vieles an die Diskussion um die Einführung einer letztlich gescheiterten Impfpflicht. Auch da brauchten die Impfpflicht-Befürworter um Scholz die Stimmen der Union, um die benötigte Mehrheit zu kriegen, weil die eigenen Reihen beim Thema gespalten waren. Für die Zweidrittel-Mehrheit bräuchte zwar auch eine geschlossen abstimmende Ampel die Union, die aber wähnt sich erneut in der Rolle eines Mehrheitsbeschaffers ohne Mitspracherecht, obwohl die Regierungskoalition sie so dringend braucht.

Denn würden die meisten Abgeordneten von CDU und CSU für das Sondervermögen stimmen, bräuchte sich die Ampel auch nicht um die erwartbaren Nein-Stimmen aus dem eigenen Lager zu sorgen. Unionsfraktionschef Friedrich Merz hatte deshalb angekündigt, seine Fraktion werde nur so viele Stimmen liefern, wie die Regierungsfraktionen zusätzlich zum Erreichen des Zwei-Drittel-Quorums bräuchten. Seither ist die Stimmung giftig zwischen beiden Lagern, zumindest bei öffentlichen Debatten zum Thema.

Union will so nicht zustimmen

Eindringlich mahnt Verteidigungsministerin Lambrecht eine Zustimmung der Union an. Warnungen, die Bundeswehr stehe blank da, seien zugespitzt, aber: "Den Kern trifft es und damit muss Schluss sein." Sie zählt ein paar drastische Mangel-Beispiele auf: von 350 Schützenpanzern vom Typ "Puma" seien nur 150 einsatzbereit, von 51 Kampfhubschraubern vom Typ "Tiger" könnten "gerade einmal 9 abheben". Es fehlt an Mitteln zur Wartung und Instandsetzung. Allein bei der fehlenden Munition beziffert Lambrecht den Nachholbedarf auf 20 Milliarden Euro. Weil die Bundesregierung auch noch atomwaffenfähige US-Kampfbomber vom Typ F-35 anschaffen will, sind die 100 Milliarden Sondervermögen womöglich schnell aufgebraucht.

Die Union pocht auch deshalb auf eine weitere Erhöhung des Bundeswehr-Etats, der im Jahr 2022 inflationsbereinigt sogar sinke - was FDP-Haushaltspolitiker Karsten Klein vehement als Falschdarstellung zurückweist. Es wird schnell laut in der Debatte. "Das, was Sie heute hier in den Bundestag eingebracht haben, ist so für uns nicht zustimmungsfähig", stellt der stellvertretende Unionsfraktionsvorsitzende Mathias Middelberg fest und fordert eine exklusive Verwendung des Geldes für die Streitkräfte sowie die Einhaltung des 2-Prozent-Ziels.

Sein Co-Vize Johann Wadepuhl stellt fest, die heutige Debatte habe "ein Einigung schwieriger gemacht". Er fordert eine stärkere Einbeziehung der Union und sagt zu Ampel-Appellen nach staatspolitischer Verantwortung: "Wir lassen uns nicht mit diesen markigen Sprüchen unter Druck setzen." Ihm stoßen vor allem Schuldzuweisungen an die vielen Verteidigungsminister aus CDU und CSU in den letzten Legislaturperioden auf. "Hier stehen so viele Glashäuser rum, da würde jeder Gärtnereibetrieb froh drüber sein", ätzt Wadepuhl. Tatsächlich aber hatte Lindner eingangs von "15 Jahre Vernachlässigung unserer Streitkräfte" gesprochen - das schließt neben der Union die Regierungsbeteiligungen von SPD und FDP mit ein.

Linke sieht keinen Sinn in Aufrüstung

Baerbock mahnt: "Das ist kein Moment für parteitaktische Spielchen." Und: "Wenn wir ehrlich sind, hat jede Partei hier ihr Päckchen zu tragen." Auch die meisten Grünen haben mehr Geld für die Bundeswehr lange skeptisch gesehen. Wie wenig Widerstand es nun gegen bewaffnete Drohnen, F-35-Bomber zur Aufrechterhaltung der atomaren Teilhabe und andere Vorhaben aus den Reihen ihrer Fraktion gibt, ist für sich genommen schon eine Zeitenwende. Ein im Grundgesetz verankertes 2-Prozent-Ziel lehnt Baerbock aber entschieden ab: Solche Quoren würden in dem einen Jahr überschritten, weil etwa etwa die Bezahlung neuer Kampfjets auf einmal zu leisten ist, und dafür im anderen Jahr unterschritten.

So spielt sich die Diskussion maßgeblich zwischen den Regierungsfraktionen und der größten Opposition ab. AfD und Linkspartei halten den Regierungskurs grundsätzlich für falsch. "Das wird diesen Krieg in der Ukraine nicht beenden und es wird auch nicht zu mehr Sicherheit für uns führen. Das Einzige, wozu es führen wird: dass die Aktienkurse der Rüstungskonzerne steigen", sagt Linke-Fraktionschefin Amira Mohamed Ali über das Sondervermögen. Und: "Bereits heute geben die NATO-Staaten das 17-Fache für Rüstung aus, wie Russland das tut. Und das hat Putin nicht abgeschreckt. Er hat trotzdem diesen schrecklichen Krieg begonnen." Mohamed Ali fragt: "Wie kommt man darauf, dass noch mehr Geld fürs deutsche Militär irgendwas ändern wird?"

Gar nicht mal so viel

Die Mehrheit im Bundestag wird sich davon nicht irritieren lassen: Die Union steht bei aller Kritik vor dem Dilemma, dass sie sich einer Stärkung der Bundeswehr und der deutschen Verteidigungsfähigkeit schwer in den Weg stellen kann. Es entspricht ihrer Grundüberzeugung, dass das richtig ist. Doch ganz ohne Zugeständnisse will sie der Regierungskoalition dennoch nicht die benötigten Stimmen geben. Bis zur zweiten und dritten Lesung des Gesetzes sind daher langwierige Verhandlungen hinter den Kulissen zu erwarten, die vielleicht einfacher werden, wenn endlich eine Bedarfsliste vorliegt, die konkrete Anschaffungspläne nachvollziehbar macht.

Neben den F-35-Bombern stehen auf der Bedarfsliste die 20 Milliarden für Munition, 2,4 Milliarden Euro für Schutzausrüstung wie Helme und Westen, mehr eigene Fähigkeiten zur Instandsetzung von technischem Gerät und auch die Ersatzteilbevorratung. Hinzukommt verschlüsselte digitale Kommunikation für die Bundeswehr sowie Ausgaben für Cyber-Sicherheit, die über die Bundeswehr hinaus auch die kritische Infrastruktur schützen soll. Weiteres kommt hinzu. 100 Milliarden Euro zusätzlicher Schulden sind auf den ersten Blick eine immens große Summe, doch angesichts des Nachholbedarfs und gestreckt auf mehrere Jahre überraschend wenig - Zeitenwende eben.

(Dieser Artikel wurde am Mittwoch, 27. April 2022 erstmals veröffentlicht.)

Quelle: ntv.de

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