Proteste befeuern Debatte um türkischen EU-Beitritt Hasselfeldt sieht Linie der Union bestätigt
08.06.2013, 11:14 Uhr
Seit Tagen protestieren Menschen in verschiedenen Städten der Türkei. Besonders das harte Vorgehen der Polizei gegen die Demonstranten sorgte international für Kritik.
(Foto: picture alliance / dpa)
Seit Tagen gehen Menschen in der türkischen Metropole Istanbul auf die Straße und protestieren gegen die Politik von Premier Erdogan. CSU-Politikerin Hasselfeldt sieht darin einen Beweis, dass die Türkei nicht in die EU gehöre. SPD-Fraktionschef Steinmeier widerspricht.
CSU-Landesgruppenchefin Gerda Hasselfeldt sieht in dem harten Vorgehen gegen die Demonstranten einen Beweis dafür, dass das Land nicht in die Europäische Union aufgenommen werden kann. "Dieses Verhalten hat deutlich gemacht, dass die türkische Regierung weit weg ist von dem Verständnis von Demokratie, Menschenrechten, Religionsfreiheit und Freiheit generell, wie wir es in Europa haben", sagte Hasselfeldt.
Die CSU-Bundestagsabgeordnete sagte weiter, die Türkei sei geopolitisch, wirtschaftspolitisch und als Nato-Verbündeter natürlich ein wichtiges Land. "Deshalb tun wir gut daran, eine besondere Partnerschaft zur Türkei zu pflegen, vielleicht auch auszubauen. Aber das ist etwas völlig Anderes als eine Vollmitgliedschaft in der Europäischen Union."
Dazu gehöre nicht nur eine enge wirtschaftliche Bindung, sondern auch das gleiche Verständnis von Menschenrechten und Religionsfreiheit. "Dieses Verständnis von einer freiheitlichen Demokratie, wie wir sie verstehen - das sehe ich in der Türkei nicht", sagte Hasselfeldt. Sie wolle den Konflikt nicht an einer Person wie etwa Ministerpräsident Recep Tayyip Erdogan festmachen. "Es gibt so gravierende Unterschiede, die zumindest zur Zeit eine Vollmitgliedschaft der Türkei meines Erachtens nicht absehbar machen."
Steinmeier kritisiert CDU und CSU
Der SPD-Fraktionschef und frühere Außenminister Frank-Walter Steinmeier bekräftigte, die Türkei müsse ihr politisches System und das Vorgehen ihrer Sicherheitsbehörden so verändern, "dass beide zueinander passen". Er warnte im "Focus" jedoch davor, die jüngsten Ereignisse als Argument gegen einen EU-Beitritt der Türkei zu nutzen. "Man sollte solche Fragen nicht von der Tagespolitik abhängig machen, sondern in längeren Dimensionen denken."
Kritik übte Steinmeier an CDU und CSU: "In der Union freuen sich doch ganz viele klammheimlich darüber, dass sich die Türkei mit diesen Prügelbildern nicht gerade für den EU-Beitritt empfiehlt", so Steinmeier. "Diese Geisteshaltung ist beschämend und kurzsichtig."
Außenminister Guido Westerwelle mahnte unterdessen den türkischen Ministerpräsidenten Erdogan zur Achtung der Bürgerrechte. "Das ist eine Bewährungsprobe für die türkische Regierung, Europa und der Welt zu zeigen, dass die Herrschaft des Rechts und die Freiheitsrechte ihr etwas gelten", sagte der FDP-Politiker der "Welt am Sonntag".
Insbesondere Erdogan sieht der Außenminister angesichts der "Überreaktionen der Polizei" dabei in der Pflicht. "Ministerpräsident Erdogan hat eine besondere Verantwortung, die Lage zu beruhigen. Dieser Verantwortung muss er sich bewusst sein", sagte Westerwelle.
Der FDP-Politiker sieht allerdings keine Parallelen zwischen der Lage in der Türkei und der Revolution in Ägypten. "Taksim ist nicht Tahrir, Istanbul nicht Kairo. Die Türkei ist eine Demokratie, deren innere Verfasstheit sich jetzt in Anbetracht von Protesten beweisen muss. Dass es eine selbstbewusste und mutige Zivilgesellschaft gibt, die für politische Ziele auf die Straße geht, ist ein Zeichen der Reifung", so Westerwelle.
Bei den Protesten ebbte derweil die Gewalt nach mehr als einer Woche schwerer Polizeiübergriffe erstmals ab. Zusammenstöße wurden in der Nacht aber erneut aus dem Istanbuler Stadtteil Sultangazi gemeldet, wo die Polizei mit Tränengas und Wasserwerfern vorgegangen sei, berichteten Aktivisten. An anderen Brennpunkten der Demonstrationen gegen Erdogan sei es ruhiger als in den Tagen zuvor gewesen, berichteten Augenzeugen. Gruppen der Protestbewegung waren aber weiterhin in Istanbul weiter auf den Straßen unterwegs.
Quelle: ntv.de, dpa