Steuerzahlerbund rechnet nach Hier versickern Millionen Euro
05.10.2017, 11:35 Uhr
Der Tunnel unter dem Nord-Ostsee-Kanal war dringend sanierungsbedürftig - aber es sollte nur drei Jahre dauern, nicht zehn!
Unbenutzbare Ruinen, ein toter Baum, teure Tunnel und eine sinnlose Aussichtsplattform: Der Bund der Steuerzahler legt seinen jährlichen Bericht über verschwendete Gelder vor. Nicht jeder Fall ist ein echter Aufreger.
Der Bund der Steuerzahler legt an diesem Donnerstag Beispiele für die Verschwendung öffentlicher Gelder vor. Auch in seinem diesjährigen "Schwarzbuch" listet der Verband Fälle auf, wo Bund, Länder oder Kommunen nach seiner Meinung sorglos mit dem Geld der Bürger umgehen - sei es durch Fehlplanungen, Nachlässigkeiten oder fragwürdige Projekte.
Teure Büros, bis auf weiteres unfertig
Die stattliche Summe von fast 47 Milliarden Euro versickert derzeit im Berliner Regierungsviertel. Das Marie-Elisabeth-Lüders-Haus, wo eigentlich Abgeordnetenbüros untergebracht werden sollten, harrt seit Jahren der Vervollständigung. Der Architektenentwurf konnte 2003 nur teilweise realisiert werden, weil auf dem Gelände zunächst noch alte Gebäude abgerissen werden mussten. Seit 2010 arbeiten Baufirmen daran, das Haus fertigzustellen. Doch es gibt neue Hindernisse: Eine undichte Bodenplatte hat die Bauarbeiten gestoppt. Zeit ist Geld, das gilt bei einem Bauvorhaben, das mit erwarteten 190 Millionen Euro Kosten gestartet ist, umso mehr. Der ursprüngliche Eröffnungstermin war 2014, jetzt wird nach dem BER-Prinzip schon gar kein genauer Termin mehr genannt. Allein die Sanierung der Bodenplatte soll noch bis Ende 2018 dauern, erst dann kann weitergebaut werden. Die Baukosten werden inzwischen mit 223 Millionen Euro veranschlagt - Korrektur nach oben nicht ausgeschlossen. Hinzu kommen Mietausgaben für Büroräume der Abgeordneten, die längst im Marie-Elisabeth-Lüders-Haus sitzen sollten. Veranschlagte Kosten: 13,6 Millionen Euro. Der Bund der Steuerzahler bemängelt, dass die mangelhafte Bodenplatte, die jetzt für Verzögerung und Kosten sorgt, viel früher hätte entdeckt werden müssen.
Brückenkosten nur teilweise veranschlagt
Nicht weit entfernt von dem unfertigen Abgeordnetenhaus liegt nördlich des Berliner Hauptbahnhofs die Großbaustelle "Europacity". Eine Fußgängerbrücke soll dort über den Berlin-Spandauer Schifffahrtskanal führen und die Stadtteile Moabit und Mitte verbinden. Allerdings laufen die Kosten für diese Brücke nun aus dem Ruder: Statt 1.870.000 Euro werden es laut Senat nach aktueller Planung 2.889.404 Euro sein. Begründet wird das mit "technisch notwendigen Änderungen". Bei genauerem Hinsehen überrascht die Kostensteigerung von mehr als einer Million Euro nicht. Der Entwurf, der nach der Ausschreibung den Zuschlag erhalten hatte, berücksichtigte zum Beispiel keine Schwingungsdämpfer und unterschätzte Aufwand und Kosten für Metallornamente. Knallhartes Fazit des Steuerzahlerbundes: "Eine vollständige Kostenschätzung im Wettbewerb hätte unter Umständen zu einer Entscheidung zugunsten einer wirtschaftlicheren Brücke geführt."
Kein Gewinn an Ausblick
Vergleichsweise geringe Kosten hat eine unscheinbare Aussichtsplattform in einem Örtchen namens Brakel verursacht. Nach Ansicht des Bundes der Steuerzahler war dafür jeder einzelne Cent der 6227,09 Euro völlig sinnlos angelegtes Geld. Die Plattform soll Spaziergängern und Kindergruppen den Blick in das Flüsschen Brucht ermöglichen. Dort gibt es eine Fischaufstiegshilfe und man kann die so nach oben geschwommenen Fische beobachten. Die Plattform braucht es nach Ansicht der Verbands dafür allerdings nicht - der Spazierweg sei genauso nah am Wasser gebaut.
JVA-Gerichtssaal erfüllt Toilettenauflagen nicht

Die halb unterirdische Hochsicherheitsanlage könnte eine Erleichterung sein - wenn es genug Toiletten für die Angeklagten gäbe. Die nutzen den Umstand offenbar auch noch aus, um das Gericht zum Narren zu halten.
Nicht ein paar Tausend, sondern Millionen hat ein als einzigartig gepriesener Hochsicherheitsgerichtssaal in München gekostet. Man muss hier anmerken: Ganz nutzlos ist der Bau trotz des aufgetretenen Mangels nicht. Aber eben auch nicht uneingeschränkt einsatzfähig. Der Knackpunkt ist die Toilettenausstattung des halb unterirdisch gelegenen Gerichtssaals auf dem Gelände der JVA München-Stadelheim. Er sollte Kosten reduzieren, indem die als gefährlich eingestuften Gefangenen nicht mehr quer durch die Stadt gefahren werden müssten. Die Angeklagten sollen während der Prozesse in Einzelzellen auf ihren Einsatz warten. Davon gibt es sechs und jede verfügt über eine Toilette. Ein Problem gab es gleich beim ersten Prozess, bei dem zehn Terrorverdächtige angeklagt waren. Vier wurden in sogenannte Funktionsräume gesperrt - die haben aber keine Toiletten. Da die Angeklagten während des Prozesses ständig zur Toilette mussten, urteilte der Richter: Der Sitzungssaal sei verhandlungsuntauglich. Es war schlichtweg zu aufwendig, die zehn Männer immer wieder umzuverteilen, da diese auch noch voneinander isoliert bleiben mussten, um Absprachen zu verhindern. Gekostet hat der Gerichtssaal übrigens 17 Millionen Euro.
Sterbende Linde wird zur Kunst
Kommen wir wieder zu kleiner dimensionierten Fällen von Steuerverschwendung. Der Verband führt in seinem Schwarzbuch auch ein 77.000 Euro teures Kunstprojekt rund um einen alten Baum auf. Die Gerichtslinde auf einem Feld zwischen Oberursel und Bad Homburg ist 400 Jahre alt, mittlerweile aber fast tot. Nur der Stamm steht noch. Die umliegenden Gemeinden haben sich ein Projekt ausgedacht, um den sterbenden Baum in den Blickpunkt zu rücken. Sinniger Titel: Zeitenwandel. Der Baum erhält einen dreidimensionalen, kubischen Bilderrahmen und wird zur Bühne für Lesungen und andere Aufführungen. Damit solle er auch einen Kontrapunkt zu dem Verkehrslärm der Autobahn 661 setzen. Die Kritiker meinen, dass allein der abgelegene Ort es fraglich erscheinen lasse, dass das Kunstprojekt regelmäßig Gäste anlockt.
Teure Ampel, verlorener Tunnel

Die bewährte Unterführung musste weichen. Ihre Sanierung wäre günstiger gewesen als die neue Ampel samt Überweg.
Ein Tunnel für Fußgänger hat in Dresden über Jahrzehnte gute Dienste geleistet. Beim Elbehochwasser wurde die Anlage jedoch unterspült und sanierungsbedürftig. Statt einer Sanierung entschied sich die Stadt dafür, den Tunnel zuzuschütten und einen oberirdischen Übergang zu schaffen. Aus Sicht des Steuerzahlerbundes war das kurzsichtig: Die Ampelanlage und das Zuschütten haben 656.650 Euro gekostet. Die Tunnelsanierung hätte mit 300.000 Euro nur halb so viel gekostet. Das auch nicht von der Hand zu weisende Argument der Stadt Dresden: ein weiteres Hochwasser hätte neue Kosten verursacht.
Teure Baum-Beschau

Die Stadtverwaltung hätte dem Gutachter sagen müssen, welche Bäume er begutachten soll. Durch den ungenauen Auftrag nahm er sich einfach alle vor.
Heftig verrechnet hat sich die Stadt Hameln. Sie wollte die schutzwürdigen Bäume erfassen lassen und beauftragte einen Gutachter. Es war die Konsequenz aus einer 2016 beschlossenen Baumschutzsatzung der Stadt. Die Hamelner meinten auch schon zu wissen, wie viele Bäume begutachtet werden müssten, nämlich 550, und veranschlagten knapp 8500 Euro für den Gutachter. Der ging jedoch anders ans Werk und wollte sich erst einmal einen Gesamtüberblick verschaffen. Er machte 16.000 schützenswerte Bäume aus, die anschließend noch einzeln in Augenschein genommen werden sollten. Das kostet, und zwar rund 130.000 Euro. Der Fehler lag in der Formulierung des Auftrags, was die Stadtverwaltung inzwischen bitter bereut. So hätte im Auftrag die Summe begrenzt werden müssen.
Illegale Umgehungsstraße

Eine schöne, neue Straße - leider am falschen Ort, im Vogelschutzgebiet.
(Foto: Manfred Knake, Wattenrat Ostfriesland)
Geschummelt und getrickst hat eine Gemeinde in Niedersachsen laut Steuerzahlerbund. Am Ende steht eine nagelneue Straße, die allerdings gesperrt ist. Von vorn: Die Stadt Bensersiel an der Nordseeküste sollte eine Umgehungsstraße bekommen, um den Durchgangsverkehr loszuwerden. Die 2100 Meter lange Straße hat 8,4 Millionen Euro gekostet, dieses Geld kam zum Großteil aus Fördermitteln des Bundes und des Landes. Missachtet wurde jedoch ein europäisches Vogelschutzgebiet. Trotz Warnhinweisen und eines 2009 erwirkten Baustopps fand das Land immer neue Tricks, um die Straße weiterzubauen. Bereits 2013 und 2014 urteilten Gerichte, dass die Bebauungspläne unwirksam seien. Die Stadt versucht seither, dem seit Jahren klagenden Eigentümer des Gebietes eine Entschädigung aufzuschwatzen, von vier Millionen Euro ist die Rede. Doch es kann immer noch sein, dass die Gerichte Abriss und Rückbau der Straße verlangen. Fazit: Die Straße wurde gegen Vorschriften und ohne Rechtsgrundlage gebaut. Zu den Baukosten werden weitere hinzukommen - entweder durch einen Entschädigungsdeal oder wegen Abriss. Den Zweck hat der Bau bislang ebenfalls nicht erfüllt: Die Straße ist seit Mai dieses Jahres gesperrt.
Parkhaus in der Pampa, fast leer
In Niedersachsen liegt genau zwischen Lüneburg und Hamburg die Stadt Winsen. Viele Menschen pendeln von hier in die Großstädte, ihnen sollte die Nutzung der Bahn nahegebracht werden. Dazu plante die Kreisstadt ein Parkhaus am Bahnhof. Das Problem: Kaum einer nutzt es. Selbst bei voller Auslastung würden die Parkgebühren nicht genug Geld einbringen, um die Betriebskosten zu decken. So bleibt die Stadt auf jährlich mindestens 230.000 Euro sitzen. Hinzu kommen die Baukosten, die sich nach einigen Pannen von knapp acht auf knapp elf Millionen Euro erhöht haben.
Noch ein teurer Tunnel
Das letzte Beispiel aus dem Schwarzbuch der Steuerverschwendung kommt ebenfalls aus dem hohen Norden. Die Sanierung des Rendsburger Tunnels unter dem Nord-Ostsee-Kanal werde zur Endlosbaustelle, beklagt der Verband. Statt drei Jahre werden die Arbeiter wohl zehn benötigen. Die Kosten steigen von ursprünglich 25 auf 70 Millionen Euro. Der Tunnel wurde 1957 in Betrieb genommen. Seit 2011 laufen die Sanierungsarbeiten, die ursprünglich 2013 abgeschlossen sein sollten. In diesem Jahr war erst eine Röhre fertig saniert. Man rechnet nicht mit einem Abschluss der Arbeiten vor 2020. Im Moment sind Aufträge für 70 Millionen Euro vergeben, es könnten aber locker auch 80 Millionen werden.
Quelle: ntv.de