Günter Grass als Wahlkämpfer "Ich bin ein Ulla-Schmidt-Fan"
08.09.2009, 16:47 UhrEin Nobelpreisträger zieht in den Wahlkampf: Günter Grass wirbt auf "politischer Lesesreise" für die SPD und kämpft gegen den "Schaumschläger" Westerwelle, dessen Erfolg ihn mit Zorn erfüllt. Der Schriftsteller warnt eindringlich vor Schwarz-Gelb und outet sich als Fan der Gesundheitsministerin.
"Ich bin zornig." Günter Grass hebt seine Stimme. "Dass ausgerechnet die FDP in dieser Zeit Auftrieb hat. Das waren doch die Propheten, die Apostel, die diese Krise erst möglich gemacht haben." Der Literaturnobelpreisträger steht am Rednerpult in der Berlinischen Galerie und fängt gerade an zu erklären, wieso er für die SPD in den Wahlkampf ziehen will. Schon nach wenigen Sätzen ist er bei seiner größten Motivation, Schwarz-Gelb - einer Koalition, vor der er mit Nachdruck warnt.
"Der Westerwelle ist doch ein einziger Schaumschläger", sagt Grass, dem der Bundestagswahlkampf bislang "viel zu lasch" verläuft. "Euch fehlt ein Herbert Wehner", wendet er sich an die anwesenden SPD-Vertreter. "Ich kann ihn zwar nicht ersetzen, werde es aber versuchen." Und so schlägt der Schriftsteller zur Vorstellung seiner "politischen Lesereise" umso kräftiger auf seine Trommel, um für die SPD zu werben.
Zum Auftakt seiner Wahlkampftour unter dem Motto "Unterwegs von Deutschland nach Deutschland" ist Grass nach Berlin-Kreuzberg gekommen. Hier, im Wahlkreis des SPD-Bundestagskandidaten Björn Böhning, erklärt der Künstler und Schriftsteller, wieso der Bürger Grass durch Ostdeutschland reisen und die Menschen dort von den Sozialdemokraten überzeugen will.
Getrieben von Geschichte
Grass ist getrieben von der Geschichte, sie treibt ihn auch 2009 für die SPD durchs Land. Der Hauptgrund für den Zerfall der Weimarer Republik sei gewesen, dass sich nicht genügend Bürger vor die Demokratie gestellt haben, sagt der Schriftsteller. 60 Jahre nach Inkrafttreten des Grundgesetzes und 40 Jahre nach seinem ersten Wahlkampfeinsatz für Willy Brandt möchte sich der "geschichtsversessene" Grass deshalb als "Bürger, der ein Schriftsteller ist" engagieren. Sehr zur Freude der SPD, die sich von dem Engagement eines "weltweit geachteten Literaturnobelpreisträgers" geehrt fühle, wie der ebenfalls anwesende Wolfgang Thierese betont. "Wir sind dir sehr dankbar", sagt der ehemalige Bundestagspräsident, der sich ebenfalls in Berlin zur Wahl stellt.

"Wir sind dir sehr dankbar": Grass inmitten der Budnestagskandidaten Böhning (links) und Thierse.
(Foto: dpa)
Der bald 82-jährige, aber immer noch sehr rüstige Schriftsteller erfüllt die von ihm geforderte Rolle als sozialdemokratischer Kämpfer alter Schule mit Bravour. "Die SPD ist in einer beängstigend schwachen Situation", führt Grass an. "Aber ohne die SPD würde es bergab gehen." Die Sozialdemokraten seien mit ihren Fehlern und Stärken immer ein Antrieb für die Demokratie gewesen.
"Machen Sie mal 'ne Gesundheitsreform"
Dem Grass'schen Zorn über den Auftrieb für die FDP folgt ein Lobesreigen für die Minister der SPD. "Ich bin ein Ulla-Schmidt-Fan", bekennt der Nobelpreisträger. Er bewundere diese Frau, der man im Sommerloch mit der Dienstwagenaffäre schaden wollte, für ihr Durchhaltevermögen gegen die Lobby-Verbände im Gesundheitswesen. "Da machen sie mal 'ne Gesundheitsreform", ruft Grass den versammelten Pressevertretern zu. Es folgen Lobhudeleien für Sigmar Gabriel ("Alter Kämpfer mit Schrot und Korn"), Olaf Scholz ("Der hat es verstanden") sowie natürlich Kanzlerkandidat Frank-Walter Steinmeier und Finanzminister Peer Steinbrück. Und immer wieder streut Grass seine Warnungen vor den Folgen einer schwarz-gelben Bundesregierung ein. "Notfalls" sei ihm eine erneute Große Koalition lieber, wenn es für ein rot-grünes Bündnis nicht reiche.
Schwarz-Rot habe in der Wirtschaftskrise keine schlechte Arbeit geleistet, sagt Grass. Natürlich seien die meisten Erfolge das Ergebnis sozialdemokratischer Politik. Doch auch für Bundeskanzlerin Angela Merkel hat der Schriftsteller einige gute Worte übrig. Auch wenn sie sich nur mit Hilfe der SPD in der CDU halte – "ich will ihre Verdienste nicht schmälern". So lobt er ihre Papst-Schelte wegen der Holocaust-Leugnung oder das offensive Eingeständnis der deutschen Schuld am Zweiten Weltkrieg, das sie kürzlich in Polen gegeben hat. Sie sei wie für die Große Koalition wie gemacht, aber in großen Fragen halte sie sich bedeckt. Was Grass mit seinem "Elefantengedächtnis" ihr aber nicht vergessen kann, ist, wie Merkel während des Irakkriegs damals zu US-Präsident George W. Bush gefahren ist. "Die Petz-Liese", nennt er sie deshalb.
Kampf den Lobbyisten
Zum Ende seiner Wahlkampf-Vorstellung kommt der Schriftsteller dann noch auf eines seiner wichtigsten politischen Anliegen. "Die größte Gefahr für die Demokratie geht nicht vom Terrorismus, der NPD oder der Linkspartei aus", sondern davon, dass "das Parlament umzingelt und durchdrungen ist von einer einflussreichen Lobby bis in die Banketagen", die die eigentlichen Weichenstellungen für die Gesetzgebung in Deutschland machten. Das sei der Hauptgrund für Politikverdrossenheit. "Das gesamte demokratische System stellt sich dadurch in Frage." Die SPD hat ihm dabei hoffentlich gut zugehört.
Quelle: ntv.de