Politik

Cristina Kirchners Vermächtnis Ideologie-Kampf setzt Argentinien unter Strom

Erst vor Kurzem enthüllte Statue von Juan Peron in Buenos Aires.

Erst vor Kurzem enthüllte Statue von Juan Peron in Buenos Aires.

(Foto: REUTERS)

Massive Inflation, stagnierende Wirtschaft und eine gespaltene Bevölkerung: So wird die exzentrische Kirchner Argentinien ihrem Nachfolger überlassen. Die Präsidentschaftswahl elektrisiert und polarisiert das Land gleichermaßen.

Das Pult des Favoriten ist leer, die anderen schweigen. Ein 20 Sekunden währender medienwirksamer Protest gegen Daniel Scioli. Der aussichtsreichste Präsidentschaftsanwärter in Argentinien fehlte bei der Fernsehdebatte der sechs Kandidaten Anfang des Monats. In den Vorwahlen hatte er fast 40 Prozent erreicht. Fast, das ist für ihn ein Problem. Der Gouverneur der Provinz Buenos Aires kann im ersten Wahlgang am 25. Oktober nur siegen, wenn er diese Marke überspringt und der Zweitplatzierte zugleich mindestens zehn Prozent hinter ihm bleibt.

Alle Maßnahmen der Regierung sind derzeit darauf ausgerichtet, dass Scioli genau dies schafft. Seine Abwesenheit bei der Debatte gehörte dazu. Und daran entlädt sich seither die Spannung, unter der Argentinien derzeit steht. Das südamerikanische Land leidet unter einer politischen Polarisierung, die vor allem Noch-Präsidentin Cristina Kirchner gefördert hat; mit ideologischer Konfrontation, Schuldzuweisungen und Personenkult um sich und ihren verstorbenen Mann.

Argentiens Ex-Vizepräsident Daniel Scioli (m.) mit Cristina und Nestor Kirchner.

Argentiens Ex-Vizepräsident Daniel Scioli (m.) mit Cristina und Nestor Kirchner.

(Foto: AP)

Scioli ist der Kandidat der "Frente para la Victoria", der Front für den Sieg, wie das Wahlbündnis der exzentrischen Staatschefin heißt. Die Witwe des Ex-Präsidenten Nestor sieht Argentinien als Bruderstaat im Geiste mit den Linksregierungen anderer lateinamerikanischer Länder, als Teil einer transnationalen Entwicklung. Und wie Bolivien oder Venezuela vor ihr wollte sie die Begrenzung von zwei aufeinander folgenden Amtszeiten aufheben. Sie scheiterte und muss nun einen Nachfolger für die Casa Rosada finden. Da die Umfragen für Scioli sprachen, soll er es werden - obwohl der 58-Jährige nur bedingt etwas mit Cristina Kirchners autokratischem Linkspopulismus gemein hat.

Versteckte Krise

Argentinien leidet unter einer übertünchten Wirtschaftskrise. Die Frage ist, wie der nächste Staatschef damit umgeht. Die Zahlen der Regierung, wenn es denn welche gibt, sind im besten Fall geschönt; manche Oppositionelle sagen: gelogen. Etwa 40 bis 50 Prozent ist die Währung wohl überbewertet, laut Schätzungen liegt die Schwarzarbeitsquote bei mindestens 30 Prozent, das Haushaltsdefizit bei etwa 8 Prozent. Auf den Straßen von Buenos Aires gibt es für einen US-Dollar bis zu 17 Peso, offiziell sind es etwa 9. Ob Kirchner-Anhänger oder Oppositionelle - dass sich etwas ändern muss, darin sind sich alle einig. Von linken Extrempositionen wie der kompletten Verstaatlichung der Landwirtschaft will zwar kaum jemand etwas wissen. Seit der großen Krise nach der Jahrtausendwende sind die Argentinier aber auch extrem skeptisch gegenüber marktliberalen Maßnahmen. Die Bevölkerung und die Wirtschaft sehnen sich nach gemäßigten Tönen.

Die Mischung aus hoher Inflation, wirtschaftlicher Stagnation und hohen Staatsausgaben elektrisiert die Debatte. Der gemäßigte Linke Scioli will sanft korrigieren, um soziale Härten zu vermeiden und keine Wähler gegen sich aufzubringen. Sein gefährlichster Herausforderer ist der Liberale Mauricio Macri, Bürgermeister von Buenos Aires und ehemaliger Präsident des Maradona-Fußballklubs Boca Juniors. Er trägt seine Idee - eine Radikalkur - in sich, aber nicht vor sich her: Abbau aller Export- und Importbeschränkungen, sofortige Abwertung der Währung, Kürzungen staatlicher Leistungen. Der Wirtschaftswissenschaftler Agustín Etchebarne spricht von einem "geplanten Vertrauensschock".

Mauricio Macri (v.r.) zeigt sich gerne volksnah.

Mauricio Macri (v.r.) zeigt sich gerne volksnah.

(Foto: REUTERS)

Die Folgen solcher Maßnahmen bekämen vor allem die Arbeiter und die untere Mittelschicht zu spüren: "Ein Anstieg der Armut ist unvermeidlich", sagt Etchebarne, Chef des liberalen Thinktanks "Libertad y Progreso". Macris Problem allerdings sind die fehlenden Stimmen aus dem Lager des Kontrahenten und der Mitte - deshalb werden seine Töne seit wenigen Wochen moderater. Der schneidige, aber seltsam distanziert anmutende Kandidat mit den Eisaugen biederte sich zuletzt sogar öffentlichkeitswirksam an, als er ein Denkmal für Juan Domingo Perón mit einweihte, den politischen Übervater der Kirchners.

Sozialleistungen dank Soja

Perón hatte Argentinien nach dem Zweiten Weltkrieg zu dem gemacht, was es heute noch ist und so die gesellschaftlichen Konfliktlinien vorgezeichnet. Der nach ihm benannte Peronismo setzt auf eine starke Arbeiterschicht, Unterstützung der eigenen Wirtschaft und soziale Sicherung. Seit ihm hat es keinen gewählten Präsidenten mehr in Argentinien gegeben, der sich vorher nicht als Peronist bezeichnet hatte.

  Und eben dort, in der Arbeiterschaft und unteren Mittelschicht, liegt die Stärke Sciolis, der die Politik aus der populistischen Ecke Cristina Kirchners vorsichtig in Richtung Mitte rücken will. Unter dem marktliberalen Carlos Menem ging Argentinien nach der Jahrtausendwende bankrott. Das Chaos ordnete Nestor Kirchner unter anderem finanziert durch Exportsteuern von 35 Prozent auf Soja, das auf dem Weltmarkt Mondpreise erzielte.

"Pinguin" aus Patagonien

Der "Pinguin" aus Patagonien und seine Frau Cristina nach ihm bauten mit dem eingenommenen Geld die Sozialsysteme aus, die Schulden der öffentlichen Haushalte und die Arbeitslosigkeit von über 20 auf etwa 7 Prozent ab. Sie hoben die Amnestiegesetze auf und machten vielen Verantwortlichen der blutigen Militärdiktatur den Prozess. Systematisch haben die Kirchners so die Arbeiter hinter sich gebracht. Davon soll jetzt Scioli profitieren und das Parteienbündnis an der Macht halten.

Der dritte Kandidat, der in den Präsidentenpalast einziehen könnte, ist Sergio Massa. Als ehemaliger Kabinettschef Cristina Kirchners ist er mitverantwortlich für ihre Erfolge, steht aber schon seit Jahren nicht mehr hinter ihr. Der konservative Peronist liegt in den Umfragen ein paar Punkte hinter Macri und will etwa die Kriminalität mit Militäreinsätzen im Land bekämpfen. Einen solchen Vorschlag im von der Diktatur traumatisierten Argentinien in der Präsidentschaftsdebatte vorzubringen, ist gewagt. Dass er es wirklich in die Stichwahl schafft, glaubt kaum jemand.

Scioli liegt dagegen derzeit in Umfragen sogar bei knapp über den nötigen 40 Prozent für einen schnellen Sieg. Sein Fernbleiben von der Fernsehdebatte wird noch immer kommentiert. Unter anderem forderten die Oppositionskandidaten lautstark eine weitere Diskussionsrunde. Die Reaktion des Kirchner-Kandidaten? Schweigen. Schaden wird es ihm womöglich auch diesmal nicht.

Quelle: ntv.de

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