Politik

Gesche Joost, Steinbrücks Hoffnungsträgerin "Internetministerin? Ja klar!"

"Irre" und "extrem" so bezeichnet Gesche Joost die Wochen seit ihrer Nominierung.

"Irre" und "extrem" so bezeichnet Gesche Joost die Wochen seit ihrer Nominierung.

(Foto: picture alliance / dpa)

Gesche Joost ist bisher die große Überraschung im Kompetenzteam von Kanzlerkandidat Peer Steinbrück. Im Interview mit n-tv.de fordert sie: "Jeder muss das Recht auf Netz haben". Außerdem verrät Joost, wie sie die SPD für neue Wähler öffnen, der Partei aber nicht beitreten will.

n-tv.de: Hallo Frau Joost, Sie haben einen Kommunikationshandschuh für Blinde entwickelt und eine Strickjacke für Schlaganfallpatienten, die um Hilfe rufen. So politisch klingt das auf den ersten Blick nicht.

Gesche Joost: Das ist das Spannende. Ich habe ein anderes Verständnis von Politik. Dieser Taubblindenhandschuh ist ein Beispiel dafür, wie man taubblinden Menschen durch Vernetzung die Teilhabe an Gesellschaft ermöglicht und dadurch Barrieren überwindet. So eine Brücke zu bauen, hat für mich eine große Kraft. Dadurch habe ich gemerkt, dass meine Forschungsarbeit immer wieder reinragt in gesellschaftspolitische Fragestellungen. Diese Brückenschläge möchte ich in meine politische Arbeit einbringen.

Direkt, kantig, norddeutsch - Peer Steinbrück und Gesche Joost kennen sich seit sieben Jahren.

Direkt, kantig, norddeutsch - Peer Steinbrück und Gesche Joost kennen sich seit sieben Jahren.

(Foto: picture alliance / dpa)

Seit wann kennen Sie Herrn Steinbrück und wie kam es dazu, dass Sie Teil seines Kompetenzteam wurden?

Ich kenne ihn seit 2006. Da gab es eine Initiative der Bundesregierung, "Deutschland, Land der Ideen", bei der die "100 Köpfe von morgen" ausgezeichnet wurden. Aus diesem Kreis hat sich Steinbrück Leute für seinen persönlichen Beraterkreis ausgesucht. Seitdem hatten wir immer wieder Kontakt. Konkret wurde es erst vor drei Wochen, also ziemlich kurzfristig.

Jung, weiblich, digital – wie anstrengend ist es, dass Sie für viele Problembereiche Steinbrücks plötzlich als Hoffnungsträgerin gelten?

Ich sehe das gar nicht so. Zur Vernetzung haben wir sehr ähnliche Ansichten. Steinbrück ist bei den netzpolitischen Themen nicht blank. Was uns sehr verbindet, ist ja auch das Norddeutsche. Wir sind beide etwas direkter und kantiger. Gleichzeitig finde ich es sehr toll, dass er mich als völlige Quereinsteigerin in sein Team holt und dadurch zeigt, was sein Begriff von politischem Miteinander ist. Das ist nicht nur Parteilinie, da stellt er sich durchaus bunt auf.

"Wow, die Hütte ist ja voll", bei Ihrer Nominierung standen Sie fast sprachlos auf dem Podium. Plötzlich stehen Sie extrem in der Öffentlichkeit. Wie fühlt sich das an?

Irre. Mir wurde angekündigt, dass sich mein Leben verändern würde (lacht). Es ist schon extrem, dass plötzlich alles, was man sagt, wahrgenommen und kommentiert wird. Bisher war das meiste positiv, aber ich merke schon an einigen Kommentaren, wie schnell das umschlagen kann. Im Netz verläuft manches leicht unter der Gürtellinie, da muss man sich ein dickes Fell zulegen. Mich zurücknehmen und nur noch glattgeschliffene Statements bringen möchte ich deshalb aber nicht. Manchmal muss man anecken, um einen Dialog in Gang zu bringen.

Die SPD steht in Umfragen derzeit bei knapp 25 Prozent. Was lief bisher falsch?

Das ist Gesche Joost

Die gebürtige Kielerin ist seit 2010 Professorin für Designforschung an der Universität der Künste in Berlin. 2008 verlieh Klaus Wowereit, Berlins Regierender Bürgermeister, ihr den Nachwuchs-Wissenschaftspreis. Mitte Mai diesen Jahres berief SPD-Kanzlerkandidat Peer Steinbrück die 39-Jährige in sein Wahlkampfteam. Hier soll Joost für Netzpolitik und Internet zuständig sein.

Ja, diese Umfragen immer … (lacht). Was mich wundert, ist, dass bei Steinbrück nur noch nach Fehlern gesucht wird. Bei seiner Klartext-Veranstaltung in Berlin habe ich einmal mitbekommen, wie so was läuft. Da hat ein besorgter Vater gefragt, ob für muslimische Mädchen getrennter Sportunterricht angeboten werden soll. Herr Steinbrück hat ausführlich geantwortet. Er hat ungefähr gesagt: "Bevor die Mädchen gar keinen Sportunterricht bekommen und wenn es machbar ist, bin ich dafür, dass sie gesonderten Sportunterricht bekommen." Das sei sicherlich auf lange Zeit keine Lösung, aber besser als nichts. Das fand ich total logisch, aber nach der Veranstaltung hieß es, er sei gegen Integration. Da habe ich gemerkt: Ah, so funktioniert das. Das ist eigentlich schade. Steinbrück will was verändern, diesen Stillstand in vielen Bereichen können wir uns nicht leisten. Die Themen sollten stärker im Vordergrund stehen. Deswegen müssen wir auf die Frage fokussieren: Wo soll die Reise eigentlich hingehen?

Und wohin geht sie?

Bei meinen netzpolitischen Themen zum Beispiel: Was wäre durch eine Öffnung des Internets an Zukunftsvisionen realisierbar für eine offene vernetzte Forschung? Es geht darum, wie Ansätze wie Open University oder Open Education umgesetzt werden können. Wir müssen hier politisch die Weichen stellen. Ähnliches gilt für den Breitbandausbau – es muss für jeden Bürger und jede Bürgerin das Recht auf Netz geben, egal, wo man wohnt.

Was hat Sie in Ihrem Leben politisch geprägt?

Ich bin in einer Druckereifamilie aufgewachsen. Da musste man immer gestalten und auch mal mit anpacken, um den Betrieb am Laufen zu halten. "Du machst das schon" – das habe ich von zu Hause mitbekommen. Durch meine Forschungsarbeit hat mich die technische Entwicklung sehr stark geprägt. Technik rast manchmal wie ein ICE in die Zukunft, ohne dass gesehen wird, was rechts und links von den Schienen, zum Beispiel mit älteren oder behinderten Menschen, passiert. Dabei gibt es viel Gestaltungsspielraum für Teilhabe und Partizipation, um alle mit reinzuholen.

Viele Ihrer Themen wie Netzneutralität und Vorratsdatenspeicherung verbindet man weniger mit der SPD als mit der Piratenpartei.

Die SPD feiert in diesem Jahr ihren 150. Geburtstag.

Die SPD feiert in diesem Jahr ihren 150. Geburtstag.

(Foto: picture alliance / dpa)

Die Piraten legen mir den Fokus zu eng auf Netzthemen. Ich war jetzt in Leipzig bei der 150-Jahr-Feier der SPD. Es ist berührend, wenn man merkt, was für eine Traditionsspanne die Partei hat, was für extreme Schicksale und Emotionen mit ihrer Geschichte verbunden sind und wie sich das Thema Arbeit in den letzten 150 Jahren entwickelt hat. Die Veränderungen in der Arbeitswelt und der gesellschaftlichen Vernetzung muss man immer auch vor diesem Hintergrund begreifen. Das sehe ich bei der SPD wesentlich stärker als bei den Piraten.

In die SPD eintreten wollen Sie trotzdem nicht.

Bisher hatte ich kaum Berührungspunkte mit einer Partei. Ich stehe da vermutlich für eine jüngere Generation, der Parteiformate häufig fremd sind. Das Schlimmste ist, wenn alle sagen: Das ist mir egal. Aber es gibt ja andere Andockpunkte. Es ist okay, wenn man sich nur vorübergehend und bei einzelnen Themen wie etwa Lebensmittelverschwendung arrangiert. Ich glaube, es ist wichtig, Parteien mehr zu öffnen für temporäre Teilhabe, für gemeinsamen Dialog. Dadurch verändert man den Begriff des politischen Engagements. Ich stehe für diese Öffnung.

Für Steinbrück sind Sie vor allem das Sprachrohr der jüngeren Generation. Dabei entscheiden doch vor allem die Älteren die Wahl. Wie wollen Sie die über 70-Jährigen für Netzpolitik begeistern?

Wir dürfen da keine Kluft aufmachen. Nach dem Motto: Die Älteren haben den Einfluss und die Jüngeren sind sowieso politikverdrossen. Es gibt spannende Projekte, die zeigen, dass das Netz von Senioren manchmal erst nach Rentenbeginn entdeckt wird und eine neue Welt eröffnet. In Berlin gibt es einen Verein mit 40 bis 50 Mitgliedern, den Senioren Computer Club. Die bringen sich alles selbst bei. Solche Initiativen finde ich toll, das sollte ein Vorbild für andere Städte und Gemeinden sein, das muss man fördern. Das Gleiche gilt für das Thema Medienkompetenz von Kindern. Sie müssen lernen: Wie sind ihre Wege durchs Internet? Was ist ein illegaler Download? Jeder braucht ein Einfahrtstor, um zu merken: Das ist mein Zugang zum Netz, jetzt komm ich alleine weiter.

Dass die Telekom die Preise für ihre Flatrates erhöhen und ihre Leitungen drosseln will, sorgt für viel Empörung.

Dass die Telekom die Preise für ihre Flatrates erhöhen und ihre Leitungen drosseln will, sorgt für viel Empörung.

(Foto: picture alliance / dpa)

Wie finden Sie es, dass die Telekom ihre Leitungen drosseln will?

Meine Privatmeinung als Kundin ist: Das finde ich natürlich nicht toll. Aber das ist eine Frage des Tarifs, auf den die Kunden reagieren können. Wo man politischen Einfluss nehmen sollte, ist das Thema Netzneutralität. Wenn plötzlich bestimmte Dienste anders behandelt werden als andere, greift das in den Grundsatz der Netzneutralität ein. Da muss man handeln.

Wie zum Beispiel?

Wir brauchen eine Gesetzgebung zur Festschreibung der Netzneutralität, so dass Datenpakete nicht mehr diskriminiert werden können.

Wie wichtig war es für Sie, dass Sie mit der SPD bei diesen Themen auf einer Linie liegen?

Ich habe mich mit den Netzpolitikern darüber ausgetauscht, wir sind da sowieso ganz nah beieinander. Es ist beeindruckend, was hier erarbeitet wurde. Für mich ist das nach außen hin zu wenig transparent geworden, da würde ich gerne mithelfen, das zu verbreiten.

Den Netzthemen hängt inzwischen immer mehr der Ruf nach, dass es zu sehr Elitendiskussionen seien.

Ja, das ist schade. Es darf nicht so aussehen, dass Netzpolitik zwischen Nerds und Juristen ausgehandelt wird. Deswegen muss man immer wieder rückschließen: Wo ist die gesellschaftspolitische Dimension? Wichtig ist Übersetzungsarbeit, um zu begreifen, was für Familien oder Startups relevant ist.

Braucht Deutschland dafür eine Internetministerin?

Ich glaube, es sollte in präsenter Position behandelt werden. Ob es ein eigenes Ministerium nur für Internet geben muss, weiß ich nicht. Aber es hat sich schon viel verändert. Dass Netzpolitik und vernetzte Gesellschaft inzwischen in der Diskussion stehen, in einem eigenen Ministerium repräsentiert zu werden, finde ich super.

Sie ständen zur Verfügung?

Ja klar, natürlich.

Mit Gesche Joost sprach Christian Rothenberg

Quelle: ntv.de

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