Politik

Der innere Krieg Israel erlebt eine neue Welle des Terrors

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Soldaten patrouillieren in Jerusalem. Nach den drei Anschlägen herrscht in Israel erhöhte Alarmbereitschaft.

(Foto: REUTERS)

Bei den schlimmsten Anschlägen seit Jahren werden in Israel innerhalb einer Woche elf Menschen getötet. Während für die Feiertage im April höchste Alarmbereitschaft besteht, will Premierminister Bennett die Gewalt eindämmen.

Am 27. März 2002 erschütterte ein Anschlag ganz Israel. Ein palästinensischer Selbstmordattentäter betrat das Parkhotel in der Küstenstadt Netanja und riss während des Sederabends, der zeremoniellen Mahlzeit am Beginn des jüdischen Pessach-Festes, dreißig Menschen mit sich in den Tod. Es war der blutigste Angriff während der damaligen zweiten Intifada.

Zum zwanzigsten Jahrestag dieses Anschlags ist der Terror zurück nach Israel gekommen. In Hadera, wenige Kilometer nördlich von Netanja, wurden zwei Grenzbeamte getötet. Die Attentäter, die von Sicherheitskräften erschossen wurden, waren israelische Araber und sollen der Terrororganisation Islamischer Staat nahegestanden haben. Diese hatte schon einige Tage zuvor die Verantwortung für einen weiteren Anschlag übernommen: Ein Beduine aus der Negevwüste ermordete am 22. März mit einem Messer vier Zivilisten in Be'er Scheva im Süden Israels, bevor er selbst von einem Passanten erschossen wurde. Auch beim letzten Attentat innerhalb einer Woche am vergangenen Dienstag steckte das selbsternannte Kalifat dahinter. Dabei tötete ein Palästinenser mit einem Sturmgewehr in Bnei Brak bei Tel Aviv fünf Menschen, darunter ein Polizist aus einem christlich-arabischen Dorf in Obergaliläa, der den Attentäter noch tödlich traf.

Elf Tote in einer Woche. "Das weckt Erinnerungen", sagt Jacov Abucaya, ein Anwalt aus Bnei Brak. "Eine solche eine Gewaltperiode ist lange her." Abucaya ist einer der Überlebenden des Anschlags auf das Parkhotel. "Der Terrorist schoss in meine Richtung und verfehlte mich wie durch ein Wunder." Die neue Terrorwelle verstärkt die Angst vor einem noch intensiveren Anstieg im April, wenn das seltene Zusammentreffen von Ramadan, Pessach und Ostern die Spannungen zwischen Israelis und Palästinensern weiter verschärfen wird. Viele Bürger fordern ein härteres Vorgehen der Sicherheitsbehörden. "Israel muss reagieren", sagt auch Abucaya. "Sonst droht ein neuer Volksaufstand."

Vor zwanzig Jahren befand sich der jüdische Staat in der zweiten Intifada, bei der mehr als eintausend Israelis bei Hunderten Anschlägen von Palästinensern getötet wurden. Noch deutlich mehr wurden verletzt. Das Attentat in Netanja wurde zum Auslöser der "Operation Schutzschild" - die größte Militäraktion im Westjordanland seit dem Sechstagekrieg 1967, die den Terror drastisch eindämmte. Seitdem gab es in Israel immer wieder sporadische Wellen der Gewalt, die aber häufig vom Tätertyp des "einsamen Wolfes" ausgeführt wurden.

Keine dritte Intifada

Auch wenn die letzten Anschläge Israel überraschend kamen, spricht niemand von einer dritten Intifada. "Es gibt Unterschiede zu den vorherigen Aufständen", sagt Yoram Schweitzer, Terrorismusforscher am Institut für Nationale Sicherheitsstudien in Tel Aviv. "Wenn Israel heute im Westjordanland operiert, hat es relative Handlungsfreiheit. Spezialeinheiten können dort schnell zuschlagen und werden auch von den palästinensischen Sicherheitskräften unterstützt."

Da zur erfolgreichen Terrorbekämpfung gute Geheimdienstinformationen gehören, fordert er mehr Polizei und ein aggressiveres Vorgehen des israelischen Sicherheitsapparates im In- und Ausland. "Eine 100-prozentige Garantie gibt es nie", sagt Schweitzer. "Wir befinden uns nicht in einer dritten Intifada", versichert er indes. "Damals waren es organisierte Anschläge. Jetzt sind sie zwar vom IS inspiriert, doch von den Angreifern offenbar selbst geplant."

Die islamistische Terrororganisation Hamas lobte die Angriffe. Für sie war es eine Reaktion auf den Negevgipfel, auf dem sich Israel und die USA mit befreundeten arabischen Staaten zu einer Allianz gegen den Iran zusammenschlossen. Während Washington angesichts der Gewalt Jerusalem seinen Beistand versicherte, warnte Ministerpräsident Naftali Bennett vor einer neuen Terrorwelle. Er rief zur höchsten Alarmbereitschaft auf und riet zudem alle Bürger mit Waffenschein, eine Pistole mit sich zu führen. Mittlerweile drangen Einheiten der israelischen Sicherheitskräfte ins Westjordanland ein. Während der "Operation Wellenbrecher" kamen drei Terroristen bei einem Schusswechsel in Dschenin ums Leben. Zahlreiche Verdächtige wurden festgenommen. Radikale Palästinensergruppen warnen vor einer Eskalation während des Ramadan.

Einsame Wölfe und soziale Probleme

"Die Gewaltspirale muss schnellstmöglich eingedämmt werden", sagt Israels ehemaliger Vize-Polizeipräsident Zohar Dvir. Eine Radikalisierung von einsamen Wölfen sei allerdings schwieriger vorherzusehen und zu verhindern. Der Terrorexperte spricht sich für eine professionellere Grenzsicherung sowie die Fertigstellung der Sperranlage zum Westjordanland aus. Aber er warnt auch vor religiösem Extremismus unter arabischen Israelis in Galiläa sowie unter Beduinen in der Negevwüste, wo in Moscheen oft Jugendliche islamistisch indoktriniert werden. Denn zwei der drei jüngsten Anschläge wurden von israelischen Arabern verübt, nicht von Palästinensern aus dem Westjordanland.

Jahrelanges Vernachlässigen der arabischen Regionen führte dort zu einer steigenden Flut von Gewaltverbrechen mit Dutzenden von Morden und Bandenkriegen. Nachdem der Staat diesem kriminellen Sektor jetzt den Krieg erklärte, wurden Hunderttausende Waffen konfisziert. "Allen Arabern die Schuld zu geben, ist natürlich ungerechtfertigt und kontraproduktiv", sagt Dvir. "Die meisten sind gesetzestreue Bürger, doch es gibt auch eine steigende Sympathie zum IS."

Wie beim Be'er Scheva- Attentäter, der sich während einer einjährigen Haftzeit radikalisierte. "Israel, ist ein Rechtsstaat, wo man wegen Schwärmerei für eine Terrororganisation nicht lebenslang Gefängnis bekommt", sagt Jacov Abucaya, der Anwalt aus Bnei Brak. "Doch wie jeder souveräne Staat kann Israel es sich nicht leisten, in Anarchie zu verfallen. Viele gescheiterte Staaten dienen als schlechtes Beispiel."

Er fordert die Politik auf, in zivile Institutionen zu investieren, um soziale Unterschiede zu verringern. Vor allem in arabischen Ortschaften und Wohnvierteln. Andere wiederum sehen die dringende Notwendigkeit, eine nationale Taskforce einzurichten, um gegen kriminelle Banden und Islamismus vorzugehen sowie den Waffenschmuggel zu stoppen, mit denen sich die Täter in den sozialen Medien brüsten. "Juden und Araber sind wirtschaftlich oft voneinander abhängig und wollen eine gesunde Ökonomie sowie Frieden und Sicherheit", sagt Abucaya. "Jetzt im April fallen die Feiertage der drei Weltreligionen aufeinander und die Menschen sollten wieder zur Besinnung kommen. Denn wir alle lieben das Leben."

Quelle: ntv.de

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