Sexuelle Belästigung Wie ein Tag am Gardasee zum Horrortrip wurde
17.06.2022, 12:10 Uhr
Normalerweise eine Postkartenidylle: Peschiera del Garda liegt am Südufer des Gardasees.
(Foto: PantherMedia / Dalibor Brlek)
Ein Rave in der Ortschaft Peschiera am Gardasee endet mit Übergriffen und Tumulten, fünf minderjährige Mädchen werden im Zug sexuell belästigt. Die italienische Politik entrüstet sich wie immer und geht rasch zum Alltag über.
Den 2. Juni werden die fünf Mädchen, alle zwischen 16 und 17 Jahre alt, die nach einem Tag im Freizeitpark "Gardaland" in Peschiera del Garda in den Zug Richtung Mailand stiegen, sicher nie mehr vergessen. Eines der Mädchen erzählte ein paar Tage später den Medien: "Schon am Bahnsteig waren irrsinnig viele Menschen und auch im Zug, darunter viele nordafrikanische Jugendliche, vor allem Marokkaner. Sie waren es auch, die die Notbremse gezogen haben. Wir haben es mit der Angst zu tun bekommen und versucht, uns weiter durch die Menschenmenge zu drängen. Dabei wurden wir bedrängt und betatscht, am Po, an den Beinen, an den Hüften. Mir ist schlecht geworden, ich habe zu weinen angefangen und eine Panikattacke bekommen. Die Jungs und Mädchen aus der Gang haben uns zugerufen, wir seien Weiße, Privilegierte, dürften gar nicht im Zug sein. Und dann haben sie uns immer wieder den Weg versperrt."
Irgendwann schaffte es eine von ihnen, ihren Vater zu benachrichtigen. "Ich habe zuerst die Polizei in Peschiera angerufen", erzählte dieser dann. "Die haben mir gesagt, ich müsste mich an die Notrufnummer 112 wenden. Habe ich gemacht, bekam aber als Antwort, die Bahnpolizei sei dafür zuständig. Ich war unglaublich wütend und hatte eine Mordsangst um meine Tochter. Sie hatte mir gesagt, viele der Jugendlichen, die sie bedrängten, seien betrunken. Also habe ich mich ins Auto gesetzt und bin Richtung Gardasee gefahren." Mittlerweile war es aber einem der Passagiere, ein Mann mit ebenfalls afrikanischem Migrationshintergrund, gelungen, sich durch die Menge zu boxen und den Mädchen zu helfen. Beim nächsten Halt in Desenzano stiegen sie aus.
Seitdem ermittelt die Polizei gegen 30 Verdächtige, mehr oder weniger im gleichen Alter wie die bedrängten Mädchen. Sie alle sollen im Raum Mailand zu Hause und zum Großteil minderjährig sein. Mehr weiß man auch zwei Wochen nach dem Vorfall nicht, trotz einer ziemlich genauen Personenbeschreibung seitens der Mädchen, die am Tag danach Anzeige erstatteten.
Sieht man die Bilder und vor allem die Videos auf TikTok, die am 2. Juni in Peschiera del Garda gedreht wurden, stellen sich aber ein paar alles andere als beiläufige Fragen. Denn an diesem Tag lief in der Ortschaft am Gardasee von Anfang an alles schief.
Der 2. Juni ist in Italien Nationalfeiertag; am 2. Juni 1946 entschied sich die Mehrheit der Italiener für die Republik. Der Tag wurde als Datum für einen Rave mit dem Namen "Africa in Peschiera" gewählt und über TikTok bekannt gemacht. Wer genau zu diesem Treffen eingeladen hat, weiß man nicht. Die Bürgermeisterin von Peschiera del Garda, Orietta Gaiulli, informierte die Sicherheitsbehörden schon Ende Mai über die Planungen, da ein solches Treffen bereits im vergangenen Jahr stattgefunden hatte. Sie wies dabei auch auf das TikTok-Video hin. Ihre Bitte um mehr Sicherheitskräfte blieb jedoch unbeantwortet.
Die Ruhe vor dem nächsten Ansturm
An jenem Juni-Tag machten sich also Hunderte von Jugendlichen, vor allem aus dem Veneto und der Lombardei, auf den Weg zum Strand von Peschiera. Irgendwann begannen Tumulte und Schlägereien. Was der Auslöser war, ist ebenfalls noch ungeklärt - angeblich der Versuch, eine Handtasche zu stehlen, wie man auf einer Videoaufzeichnung sehen kann. Die Situation eskalierte. Ein Strandbetreiber erzählt von einer jungen Frau, die durch Messerstiche verletzt wurde, und von zwei Jugendlichen, denen Flasche auf den Kopf geschlagen wurden. Erst das Einschreiten von Polizisten in Kampfmontur brachte wieder Ruhe. Wie man aber im Nachhinein feststellen musste, handelte es sich um die Ruhe vor dem nächsten Ansturm.
Hat man die Geschehnisse des Tages im Kopf und sieht man sich Videos vom Bahnhof in Peschiera an jenem Nachmittag an, stellt sich unweigerlich die Frage, warum überhaupt so viele Leute in einen Zug gelassen wurden. Die Antwort ist simpel: Vollgestopfte Züge aus Badeorten, gleich ob am See oder am Meer, die man von einer Großstadt in ein paar Stunden erreicht, sind leider keine Ausnahme. Auf die Idee, dass die Jugendlichen, die vorher am Strand randaliert hatten, im Zug nicht nur brav Platz nehmen würden, scheint niemand gekommen zu sein.
Salvini fordert Herabsetzung der Strafmündigkeit
Die Ereignisse von Peschiera haben die italienische Politik wie immer in diesen Fällen schnell zu mehr oder weniger leeren Solidaritätsbekundungen oder eigennützigen Erklärungen veranlasst. So beteuerte Debora Serracchiani, die Vorsitzende der Demokraten im Abgeordnetenhaus: "Gewalt gegen Frauen ist immer strikt zu verurteilten, gleich woher der Täter kommt, aus welchem Land, aus welcher Kultur, ob er alleine oder von anderen angestachelt gehandelt hat. Er muss zur Rechenschaft gezogen werden. Und es muss gleichzeitig dafür gesorgt werden, dass sich jedes Mädchen, jede Frau im Recht sieht, solche Vorkommnisse anzuzeigen." Für Vito Comencini, Abgeordneter der nationalpopulistischen Lega, zeigen dieser Ereignisse, dass das von den Demokraten geforderte Gesetz des Ius Soli, mit dem es möglich wäre, minderjährigen Kindern ausländischer Eltern, die in Italien geboren sind und schon einen Schulzyklus absolviert haben, die italienische Staatsbürgerschaft schneller zu verleihen, nicht umsetzbar ist. "Ich frage mich, wie manche Politiker noch von Integration sprechen können, wenn die jungen Protagonisten dieser Taten einwandfrei bezeugen, dass sie in die entgegengesetzte Richtung gehen", sagte Comencini.
Lega-Chef Matteo Salvini sprach wiederum von ausländischen "Baby Gangs" und forderte für bestimmte Straftaten eine Herabsetzung der Strafmündigkeit: "Denn die Mitglieder dieser Banden wissen, dass sie, solange sie minderjährig sind, nichts riskieren. Und wenn, dann nur Sozialstunden."
Mittlerweile liegt das dramatische Erlebnis der Mädchen zwei Wochen zurück und es heißt, dass mindestens weitere fünf Mädchen dasselbe in diesem Zug erlebten. Die Politik hat sich aber längst von diesem Thema verabschiedet. Wobei das Thema Gewalt gegen Frauen brandaktuell ist. Allein seit Jahresbeginn wurden über zwanzig Frauen von ihren Lebensgefährten beziehungsweise Männern ermordet, zuletzt gestern. "Italien hält Rekord an Frauenmorden", meldete ein Südtiroler Nachrichtenportal im vergangenen Jahr. Um gegen diese Gewalt anzukämpfen, müsste man sich zuallererst um die Jugendlichen kümmern, gleich welcher Herkunft, Hautfarbe oder Religion.
Quelle: ntv.de