Ein vergiftetes Vermächtnis Der wahre Dealmaker Biden tritt ab - für seinen Erzrivalen Trump
18.01.2025, 10:50 Uhr Artikel anhören
Übergangspräsident mit gigantischen Ambitionen: Joe Biden.
(Foto: IMAGO/ABACAPRESS)
Die Präsidentschaft Joe Bidens geht nach bewegten Jahren zu Ende - mit befleckter Bilanz. Der Demokrat hat am Abend seiner Karriere versucht, den wirtschaftlichen Koloss der Vereinigten Staaten in die Zukunft zu wenden. Doch seinen großen Plänen kam er selbst in die Quere.
17 Minuten nimmt sich Joe Biden. 17 Minuten, um seine vergangenen vier Jahre als US-Präsident und seine düsteren Befürchtungen über die kommenden Jahre unter Donald Trump zusammenzufassen. "Ich will das Land warnen", sagt er bei seiner Abschiedsrede an die Nation am Mittwoch, "vor den Folgen einer gefährlichen Machtkonzentration in der Hand weniger Superreicher, sollte ihr Machtmissbrauch nicht im Zaum gehalten werden." Es bilde sich eine Oligarchie, welche die Demokratie und ihr Versprechen gefährde, meint er, "ein technologisch-industrieller Komplex". Es ist klar, wen er im Kern damit meint: Donald Trump, Elon Musk und Co. Biden zieht eine historische Parallele zum militärisch-industriellen Komplex, vor dem 1961 der scheidende Präsident Dwight D. Eisenhower gewarnt hatte.
"Amerikaner werden unter einer Lawine von Falschinformation begraben, die Machtmissbrauch ermöglicht", klagt Biden viele Jahrzehnte später, in seinen eigenen letzten Amtstagen. "Die Wahrheit wird durch Lügen erstickt, die aus Macht- und Profitgründen erzählt werden." Er warnt zudem vor den Interessen der fossilen Energieindustrie, die versuche, mit "ungehindertem Einfluss die Schritte, die wir zur Bekämpfung der Klimakrise unternommen haben, zunichte zu machen".
Ein halbes Jahrhundert Erfahrung
Große Worte eines besorgten Politikers, der 1973 als jüngster Senator überhaupt nach Washington gekommen war. Am 20. Januar, mehr als ein halbes Jahrhundert später, endet mit Bidens Präsidentschaft auch die politische Karriere des 82-Jährigen. Dessen Bilanz im Weißen Haus ist nicht so glänzend, wie die Demokraten und er selbst sie darstellen. Aber auch keinesfalls so desaströs, wie Trump und die Republikaner es immer wieder behaupten. Ihre Flecken hat sie allemal.
Dabei war Bidens Laufbahn schon 2016, nach seiner Vizepräsidentschaft unter Barack Obama, so gut wie vorbei. Dann aber kamen Trumps Chaos und die Corona-Pandemie. Plötzlich war die ruhige Hand eines erfahrenen Mannes wieder gefragt. Eines bekannten Gesichts wie seines, das glaubhaft die Sehnsucht nach der Zeit davor befriedigte.
Biden nannte sich zunächst demütig einen Staatschef für den Übergang, aber im vergangenen Jahr war er dann doch der Ansicht, nur er könne eine Rückkehr des Republikaners Trump verhindern. Der Demokrat scheiterte jedoch an sich selbst und seinem merklich fortgeschrittenen Alter. Trotz schlechter Umfragewerte machte er viel zu spät Platz, die Vorwahlen waren längst gelaufen. Im einzigen Interview, dass er kürzlich zu seinem Abschied aus dem Weißen Haus gab, zeigte er sich weiterhin überzeugt: Ich hätte auch ein zweites Mal gegen Trump gewonnen. Einsicht klingt anders.
Die politischen Gepflogenheiten der Vergangenheit, in diesem Fall das ungeschriebene Gesetz, dass die Partei eines amtierenden Präsidenten diesen eine zweite Amtszeit anstreben lässt, hatte nach Bidens desaströsem Fernsehduell im Juni, als er völlig neben sich stand, chaotische Folgen. Je (sichtbar) älter Biden wurde, desto spärlicher waren seine Auftritte geworden. Biden gab sich zwar nahbar, wirkte aber inszeniert. War er größtenteils auch. Trump hingegen ist ein Medienmensch, lenkt Tagespolitik und Medien augenscheinlich mühelos, die Grenzen zwischen Privatmann und Politiker sind kaum auszumachen.
Das letzte Wort ist nicht gesprochen
Rein politisch gesehen bewies Biden durch seine komplizierten Gesetzesprojekte mithilfe seiner jahrzehntelangen Erfahrung: Er war der wahre Dealmaker in Washington. Bidens im Vertrauen verhandelten Handschläge hinter verschlossenen Türen waren effektiver als Trumps Drohungen vor Kameras und per Tweet zuvor. Auch daran wird der Republikaner in den kommenden Jahren gemessen werden. Ihm hat der Demokrat ein vergiftetes Vermächtnis hinterlassen.
Die bisherigen Ergebnisse von Bidens Projekten sind zwar durchwachsen. Aber im Vergleich mit anderen westlichen Industrienationen ragen die Wirtschaftsdaten der USA heraus. Wegen seiner Industriepolitik, die den Koloss der Vereinigten Staaten auf einen den Anforderungen der Zeit günstigeren Kurs bringen sollte, werden Historiker ihn auch anhand der mittel- und langfristigen Effekte seiner Präsidentschaft beurteilen.
Biden begann mit dem Drängendsten und stellte sich mit einem klaren Plan der Corona-Pandemie. Die Impfstoffe waren überall verfügbar, und trotz Skepsis und oppositionellem Gegenwind waren rund die Hälfte der US-Amerikaner damit einverstanden. Er unterstützte Eltern mit Sozialprogrammen und verringerte damit vorübergehend die Kinderarmut.
Die Pläne für eine allgemeine öffentliche Krankenversicherung, um die Preise der Privaten zu drücken, verschwanden zwar in der Schublade. Wegen Steuererleichterungen sind inzwischen allerdings so wenige Menschen wie nie ohne Krankenversicherung: rund acht Prozent. Im Vergleich zu 2020 sind fast doppelt so viele US-Amerikaner im Rahmen des Obamacare-Programms versichert. Mehr als 80 Prozent der Neuversicherten sind Niedrigverdiener. Das ist zwar ein Trost, doch die Steuererleichterungen laufen Ende des Jahres aus - die Republikaner müssten sie verlängern.
Zu wenig für die Ukraine, Millionen Migranten
Der Abzug des US-Militärs aus Afghanistan war zwar von Trump vereinbart worden, aber das tödliche Chaos lastet auf Bidens Vermächtnis. Am Hindukusch erlebte er in seinem ersten Amtsjahr sein Saigon. Als Russland Anfang 2022 auf breiter Front in die Ukraine einmarschierte und diese nicht wie erwartet innerhalb von Tagen fiel, unterstützte Biden sie mit Geld, Waffen und als Teil einer neu geschmiedeten westlichen Allianz. Kritiker sagen, er habe Kiew die Stange gehalten, aber nicht entschieden genug geholfen, damit es den Krieg gewinnen kann. Biden begründete dies stets mit seiner Angst vor einer unkontrollierten Eskalation, einem Dritten Weltkrieg.
Die Zurückhaltung hatte jedoch auch innenpolitische Gründe, da Biden die ersten beiden Hälften seiner Präsidentschaft mit dünnen Mehrheiten regierte und nach den Kongresswahlen Ende 2022 gegen das Repräsentantenhaus. Die dortigen Republikaner blockierten neue Ukraine-Hilfen über viele Monate. Kiew musste warten, Moskau gewann wertvolle Zeit.
Als Biden 2021 angetreten war, wollte er im eigenen Land eine weniger feindselige Haltung gegenüber Migranten etablieren. Doch die Zahl der Menschen, die ohne Aufenthaltsgenehmigung über die Südgrenze aus Mexiko kamen, wuchs auf Rekordstände heran. Als der Druck aus der eigenen Partei zu stark wurde - etwa aus New York City, wo die Versorgung der Menschen den Haushalt sprengte -, handelte Biden ein Gesetzesprojekt mit den Republikanern aus, das unter anderem Migrationsobergrenzen einführen und das Asylverfahren beschleunigen sollte.
Trump senkte den Daumen für den Deal, weil er seine Wahlchancen gefährdet sah. Biden verordnete Maßnahmen per Dekret, inzwischen werden weniger Einwanderer aufgegriffen als am Ende von Trumps Amtszeit. Die Republikaner führten trotzdem einen erfolgreichen Wahlkampf mit dem Thema.
Inflation fraß Projektgelder und Wahlchancen
Das gilt auch für die Inflation. Unter Biden machten die Verbraucherpreise der USA wegen des Ukraine-Kriegs, globaler Lieferkettenprobleme und hoher Staatsausgaben zunächst die größten Sprünge seit 40 Jahren. Die Demokraten und die Notenbank bekamen die Geldentwertung zwar schrittweise in den Griff und die Gehälter zogen schlussendlich nach. Doch das dauerte Jahre, viel Zutrauen ging verloren. Die Belastungen spüren die Menschen noch immer. Die Inflation kostete die Demokraten die Wahl, darüber sind sich viele einig.
Auch die historischen Deals, die Biden im Kongress verhandelte, sind von der Inflation betroffen. Die fraß unter anderem die Finanzmittel des riesigen Infrastrukturpakets für Straßen und Brücken auf. Die Baukosten für Highways etwa sind seit der Verabschiedung des Gesetzes um mindestens 45 Prozent gestiegen. In dem Paket waren auch 43 Milliarden für mehr Breitbandinternet in ländlichen Gegenden vorgesehen. Doch der Genehmigungsprozess schleicht, die meisten Gelder sind bisher nicht vergeben. Ein Fördergesetz für die Halbleiterindustrie soll Chiphersteller im Land etablieren und die USA unabhängiger von China machen.
Ein weiteres großes Gesetz auf Bidens Nachlassliste ist der sogenannte Inflation Reduction Act, hinter dem sich größtenteils Anreize für den Umbau zu erneuerbaren Energien verbergen, etwa Steuererleichterungen. Aber daraus ist etwa erst ein Drittel des Geldes für ein landesweites E-Auto-Ladenetz verteilt. Bidens Vermächtnis könnte unter diesen Verzögerungen leiden, wenn Trump sich querstellen sollte, und die Gerichte ihm zustimmen.
Hintergrund sind unterschiedliche Auffassungen darüber, wer die Hand auf den staatlichen Geldkoffern hat. Die einen sagen: Hat der Kongress einmal etwas bewilligt, zahlen die Regierungen dies auch aus - egal, wer im Weißen Haus sitzt. Trump ist jedoch der Ansicht, die Verfassung gebe ihm die Entscheidungsgewalt darüber, wie viel der Staat ausgibt. Dann könnte er bereits bewilligte Gelder blockieren. So wie er es in seiner ersten Amtszeit mit den Militärhilfen für die Ukraine tat und Präsident Wolodymyr Selenskyj so unter Druck setzte. Trump wollte, dass Selenskyj im Gegenzug für die Unterstützung aus Washington gegen Bidens Familie ermittelt. Der Kongress führte deshalb ein erfolgloses Amtsenthebungsverfahren gegen Trump.
Breite Bilder, große Gedanken
Womöglich werden Historiker und Politikwissenschaftler einmal sagen, Biden habe zu sehr auf mittel- und langfristige Projekte gesetzt und sich zu wenig um sein Bild nach außen und die Tagespolitik gekümmert, um als Amtsinhaber an den Wahlurnen zu bestehen. Der Demokrat hatte sich ohnehin monumentale Ziele gesetzt, wollte nicht nur die USA vor weiteren Jahren unter Trump bewahren, sondern ihre internationalen Verbündeten gleich mit. Kein Bild über die Motivation seines Handelns war ihm zu breit, kein Gedanke zu groß.
So hat er immer wieder seine historischen Parabeln über den großen Konkurrenzkampf unserer Zeit beschworen, der liberalen Demokratien gegen die Autokratien, von denen nur ein Konzept siegreich hervorgehen könne. Doch Biden hatte sich verrechnet. Die angebliche Anomalie der ersten Trump'schen Amtszeit war keine - er selbst war die Ausnahme. Sein proklamiertes Ziel aus dem Jahr 2020, als Präsident die Art von Politik zu schützen, mit der er fast sein ganzes Leben in Washington verbracht hatte, erreichte er nur bei einer Wahl. Nun muss er abtreten und seinem politischen Rivalen die Zukunft überlassen.
Quelle: ntv.de