Vom Ministerium in die Chefetage Kabinett beschließt Karenzzeit für Minister
04.02.2015, 12:22 Uhr
Bahr, Niebel, Pofalla: Zahlreiche Minister haben sich nach dem Ausstieg aus der Regierung lukrative Jobs in der Wirtschaft gesichert. Künftig soll eine Zwangspause für problematische Seitenwechsel gelten. Jetzt sorgt ein aktueller Fall für Aufregung.
Beim Wechsel aus der Politik in die Wirtschaft sollen Regierungsmitglieder künftig bei möglichen Interessenkonflikten eine Sperrzeit von mehreren Monaten abwarten. Das Bundeskabinett brachte dazu eine Gesetzesänderung auf den Weg, die Kritikern allerdings nicht weit genug geht.
Wer innerhalb von 18 Monaten nach dem Ausscheiden aus dem Amt einen Posten außerhalb des öffentlichen Dienstes annehmen will, muss dies der Bundesregierung schriftlich melden. Sieht die Regierung problematische Überschneidungen mit den bisherigen Aufgaben des Ministers oder Staatssekretärs, kann sie den Jobwechsel untersagen - in der Regel für eine Dauer von bis zu einem Jahr. In Ausnahmefällen ist auch eine sogenannte Karenzzeit von bis zu 18 Monaten vorgesehen. Die Regierung soll in diesen Fällen auf Empfehlung eines beratenden Gremiums entscheiden, das mit drei anerkannten Persönlichkeiten besetzt ist.
Ein Regierungsmitglied muss einen möglichen Seitenwechsel schon zu einem frühen Zeitpunkt melden - sobald die Vorbereitungen dafür beginnen oder ihm ein solcher Job "in Aussicht gestellt wird".
Die Vorgaben gelten für amtierende wie ehemalige Regierungsmitglieder, ebenso für Parlamentarische Staatssekretäre. Union und SPD hatten sich im Oktober nach langen und zähen Diskussionen auf diese Regeln geeinigt. Verschiedene Wechsel von Regierungsmitgliedern in die Wirtschaft hatten die jahrelange Debatte neu befeuert.
Reiche wechselt in die Wirtschaft
Ein aktueller Fall war erst Anfang der Woche bekanntgeworden: Die Parlamentarische Staatssekretärin im Bundesverkehrsministerium, Katherina Reiche (CDU), will Hauptgeschäftsführerin des Verbands Kommunaler Unternehmen werden. Sie sollte ebenfalls an diesem Mittwoch in das Gremium gewählt werden.
Im VKU sind 1430 Unternehmen organisiert, vor allem kommunale Energieversorger und Stadtwerke mit 245.000 Mitarbeitern. Deren Umsätze liegen bei rund 110 Milliarden Euro jährlich. Der Hauptgeschäftsführer-Posten gilt als äußerst gut dotiert: Als Verbandschefin bekäme Reiche nach Expertenschätzung mehr als 50.000 Euro monatlich. Bislang verdient die Staatssekretärin rund 18.000 Euro im Monat.
Allerdings geht Reiches beruflicher Aufstieg einher mit einem beruflichen Abstieg ihres Ehemanns Sven Petke. Nach weniger als einem Jahr soll der Brandenburger Landtagsabgeordnete und frühere Generalsekretär des CDU-Landesverbands seinen Lobbyisten-Job beim Bahnhersteller Bombardier wieder verlieren - und damit bis zu 15.000 Euro monatlich. Das hatte Petke viel Kritik eingebracht, weil er neben seinen Diäten von 7510 Euro auch als Lobbyist bezahlt worden war. Bei Bombardier hieß es: "Er hat sich für die Politik entschieden. Wir bedauern das."
Weil Petke den Posten bei Bombardier nach der Ernennung seiner Frau zur Verkehrsstaatssekretärin bekommen hatte, sprachen Politiker und Medien offen von einer Einflussnahme des Verkehrstechnik-Herstellers auf die Bundesregierung.
Sperrfrist wohl nicht für Reiche
Die SPD-Spitze kritisierte den geplanten Wechsel Reiches in die Wirtschaft. "Ich bin dafür, dass die Regierungsmitglieder bei Karenzzeiten eine Vorbildfunktion haben", sagte der stellvertretende Vorsitzende Ralf Stegner. Reiche will zum 1. September das neue Amt antreten, was nur einer Karenzzeit von sieben Monaten entspräche. Stegner betonte, Reiche solle mit gutem Beispiel vorangehen, "statt die Grenzen da zu setzen, was vielleicht gerade noch geht oder akzeptiert wird", meinte er. "Das diente dem Ansehen der Politik, was dringend notwendig ist."
Die Transparency-Vorsitzende Edda Müller verlangte im ZDF eine Sperrzeit von drei Jahren. Politikern müsse die Möglichkeit genommen werden, in ihrem Regierungsamt Entscheidungen im Sinne des späteren Arbeitgebers zu treffen und nach ihrem Ausscheiden mit einem hoch bezahlten Posten dafür belohnt zu werden, erklärte Müller. Die vorgesehene Sperrfrist ist nach ihren Worten dafür zu kurz. Das mindeste sei es aber, dass die Regierung ihr Gesetz nach fünf Jahren Praxis überprüfen lasse.
Unionsfraktion verliert einen Sitz
Durch den Wechsel Reiches in die Wirtschaft verliert die Unionsfraktion im Bundestag einen Sitz. Einzig mögliche Nachrückerin wäre die brandenburgische CDU-Politikerin Andrea Voßhoff - sie ist aber Deutschlands oberste Datenschützerin und will das bleiben. Die CDU-Landesliste zur Bundestagswahl 2013 umfasste in Brandenburg nur zehn Kandidaten. Neun, darunter Reiche, holten ihre Wahlkreise direkt, übrig blieb Voßhoff.
"Dann bedeutet das, dass die CDU/CSU-Fraktion ein Mitglied weniger hat. Das ist schade, aber zu verkraften", sagte Unionsfraktionsgeschäftsführer Michael Grosse-Brömer. CDU und CSU haben derzeit 311 der 631 Sitze, der Koalitionspartner SPD 193 Sitze.
Reiche in guter Gesellschaft
Zuletzt hatten mehrere Politiker Jobs in der Wirtschaft angenommen und die schon jahrelang laufende Debatte über Karenzzeiten neu befeuert:
- DANIEL BAHR (FDP): Der nach der Bundestagswahl 2013 aus dem Amt geschiedene Ex-Bundesgesundheitsminister Daniel Bahr trat vor rund drei Monaten einen neuen Posten als Generalbevollmächtigter für die Allianz Private Krankenversicherung an, der für das private Krankenversicherungsgeschäft zuständigen Sparte des weltweit aktiven Konzerns. Später soll er in den Vorstand der Tochter des Versicherers berufen werden.
- DIRK NIEBEL (FDP): Zum Jahreswechsel übernahm der ebenfalls seit der Wahl von 2013 beschäftigungslose ehemalige Entwicklungshilfeminister Dirk Niebel einen hochrangigen Beraterposten beim Düsseldorfer Rüstungs- und Automobilzuliefererkonzern Rheinmetall. Niebel soll dem Vorstand nach Unternehmensangaben bei der "internationalen Strategieentwicklung" und beim "Ausbau der globalen Regierungsbeziehungen" helfen.
- ECKART VON KLAEDEN (CDU): Ebenfalls für Diskussionen sorgte bereits 2013 der Wechsel des Staatsministers im Kanzleramt Eckart von Klaeden zum Automobilhersteller Daimler, wo er als Leiter des Bereichs "Politik und Außenbeziehungen" anfing. Nach der Bekanntgabe seiner Entscheidung blieb von Klaeden noch monatelang im Amt, bevor er um seine Entlassung bat. Bei der Opposition und Lobby-Kritikern sorgte das für noch mehr Ärger.
- KURT BECK (SPD): Der ehemalige rheinland-pfälzische Ministerpräsident Kurt Beck wechselte 2013 nur wenige Monate nach seinem mit gesundheitlichen Problemen begründeten Rücktritt als Berater zum Pharmakonzern Boehringer Ingelheim.
- ROLAND KOCH (CDU): Roland Koch (CDU) zog sich 2010 freiwillig als Ministerpräsident von Hessen zurück, nur Wochen später gab es erste Berichte über einen angeblich bevorstehenden Wechsel zum Baukonzern Bilfinger Berger. 2011 wurde Koch dann tatsächlich Vorstandschef, inzwischen ist er dort aber wieder entlassen worden. Kritik gab es seinerzeit auch, weil Bilfinger Berger in der Regierungszeit Kochs einen Großauftrag am Flughafen Frankfurt erhalten hatte.
- GERHARD SCHRÖDER (SPD): Nach dem Verlust seiner Kanzlerschaft 2005 zog es Gerhard Schröder ohne längere Pause in die freie Wirtschaft. Er nahm einen Posten als Aufsichtsratschef eines deutsch-russischen Konsortiums für den Bau der Nordstream-Erdgaspipeline durch die Ostsee an. Damit handelte sich Schröder parteiübergreifend harsche Kritik ein, weil er das Geschäft gemeinsam mit dem russischen Präsidenten Wladimir Putin politisch in die Wege geleitet hatte.
- JOSCHKA FISCHER (Grüne): Der ehemalige Außenminister Joschka Fischer ließ sich nach seinem Abschied aus der Politik zunächst Zeit. Dann aber stieg auch er in den Lobbyismus ein. Fischer gründete die Beratungsfirma Joschka Fischer & Company mit Sitz in Berlin. Sie berät Unternehmen mit Blick auf globale politische Entwicklungen und hilft ihnen bei der Kommunikation. Fischers Unternehmen war unter anderem für global agierende Großkonzerne wie Siemens, BMW und RWE aktiv.
Quelle: ntv.de, ppo/AFP/dpa