Kettensäge läuft auf Trumps Pump Die Uhr für Argentinien tickt - Milei hat nur Zeit gewonnen
27.10.2025, 21:03 Uhr
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Javier Milei im Präsidentschaftswahlkampf 2023. Seit ein paar Wochen schlägt er gemäßigtere Töne an.
(Foto: picture alliance/dpa/AP)
Trotz aller Selbstbeweihräucherung ist die Lage in Argentinien prekär. Präsident Mileis erste Jahre im Amt sind auch auf Schulden gebaut. Sein Erfolg bei der Kongresswahl ist die Bestätigung des ersten Schritts. Aber auch ein drängender Auftrag für die nächsten, an denen er scheitern kann.
Der Sieg von Argentiniens Präsident Javier Milei hat die Umfrageergebnisse weit übertroffen. Der Staatschef mit der Kettensäge erklärte, nun könne er "Argentinien wieder groß machen" - und will als nächsten Schritt eine Steuer- und Arbeitsmarktreform angehen. Der erste Schritt war, nach mehr als 200 Prozent im letzten Regierungsjahr der Peronisten die Inflation so weit wie möglich zu drücken und dafür den Haushalt auszugleichen. Das ist ihm gelungen, dieser Erfolg war wohl wahlentscheidend für das libertäre Experiment des "Anarchokapitalisten". Mehr Geld in der Tasche haben die Argentinier deshalb bislang nicht, im Gegenteil: Die Realeinkommen sind geschrumpft.
Bedeutet das Wahlergebnis, dass eine breite Mehrheit der Bevölkerung Mileis Kürzungspolitik, sein Auftreten, seine Kniefälle vor den USA befürwortet? Nein. Von zehn Wählern sind drei trotz geltender Wahlpflicht zu Hause geblieben. Und von den übrigen sieben gaben nur drei Mileis Partei "La Libertad Avanza" ihre Stimme. Im Vergleich zur Kongresswahl 2023 haben die dort gebündelten Kräfte deutlich verloren. Es war die niedrigste Wahlbeteiligung in landesweiten Wahlen seit vielen Jahrzehnten; über die vergangenen drei Kongresswahlen hinweg nahm die Beteiligung immer mehr ab. Es gibt also auch Politikverdrossenheit, während eine begeisterte Minderheit die Partei des Präsidenten wählte.
Der Grund könnte ganz simpel sein: Die Alternativen waren zu schwach. Der Einzige, der den Eindruck macht, er habe einen Plan und wisse, wovon er redet, ist derzeit Milei. Die oppositionellen Peronisten drehen sich in ihrem internen Machtlabyrinth um sich selbst. Ein Wahlslogan wie "Eine Stimme für uns bremst Milei" reicht eben nicht aus, um mehr als die treuen Unterstützer an die Urnen zu bringen. Ein Wahlsieg wäre nicht unmöglich gewesen: Seit Mileis Amtsantritt sind hunderttausende Jobs verloren gegangen, viele Tausende Unternehmer haben aufgegeben, versteckte Armut macht den Menschen zu schaffen. Der Libertäre hatte bei Amtsantritt gewarnt: Das erste Jahr werde hart. Nun sind es schon zwei. Aber Milei bat im Wahlkampf um Geduld.
Milei muss schnell liefern
Argentinien hat im Jahr 2025 für die Stabilisierung des argentinischen Pesos, der Landeswährung, insgesamt 62 Milliarden Dollar an internationalen Krediten und Swaps erhalten, unter anderem vom Internationalen Währungsfonds. Das Land war schon vorher der größte Schuldner des IWF. Milei fehlen mindestens weitere 20 Milliarden Dollar für das kommende Jahr, um Schulden zu bedienen. Das sind keine Direktinvestitionen in die Wirtschaft, sondern verbrannte Gelder, falls Mileis Projekt keine Früchte trägt. Heißt: Argentinien dahin zu bringen, dass es mehr US-Dollar einnimmt, als es verbraucht.
Dafür müssen die Menschen in den Peso vertrauen, statt ihn ständig loswerden zu wollen. Die Peronisten wendeten das Szenario der Staatspleite regelmäßig damit ab, die Notenpresse anzuschmeißen. Das bedeutete Inflation, die Milei unbedingt vermeiden will. Milei muss also weiter liefern, und zwar so schnell wie möglich.
Sein nächster Schritt der Steuerreform muss die Staatseinnahmen vergrößern, bevor ihm die Kredite ausgehen. Also muss parallel die geplante Arbeitsmarktreform schnell wirken. Bislang arbeitet die Hälfte der Argentinier schwarz. Dies zu ändern, ist eine monumentale Aufgabe. Der Libertäre setzt unter anderem darauf, dass ausländische Firmen nicht nur wie bislang am Finanzmarkt spekulieren, sondern in Argentinien greifbare Großprojekte aufziehen. Das soll Dollar ins Land bringen und Arbeitsplätze schaffen. Doch die Zwischenbilanz der ersten zwei Jahre sieht mager aus.
Aufsehen erregte die Ankündigung des OpenAI-Vorsitzenden Sam Altman, 25 Milliarden Dollar in ein neues KI-Rechenzentrum in Patagonien investieren zu wollen; es soll das modernste Südamerikas werden. Auch wenn dort kaum Jobs entstehen, besteht die Hoffnung auf einen Dominoeffekt auf dem Arbeitsmarkt. Doch das ist Zukunftsmusik, die wohl erst nach den restlichen zwei Jahren von Mileis Amtszeit messbar werden kann. Zunächst einmal, da sind sich Analysten einig, muss Milei den Peso gegenüber dem Dollar entwerten - was das Leben zunächst teurer machen wird.
Geläuterter Staatschef im Anzug
Das wichtigste Signal nach dem Wahlerfolg kam aus dem Weißen Haus: US-Präsident Donald Trump gratulierte seinem Verbündeten zu einem "überwältigenden Sieg". Das ist die übliche Trumpsche Übertreibung, aber für Milei aktuell die Lebensversicherung. Die USA schützen die argentinische Regierung vor Marktturbulenzen. Würden Trump und sein Finanzminister Scott Bessent ade sagen, wäre die Stärke des Pesos und in der Folge der ausgeglichene Haushalt wohl dahin; doch das ist Mileis Anhängern besonders wichtig. Viele möchten eine stabile Währung und ein planbares Leben.
Milei ahnt wohl, dass die Menschen ungeduldig werden. Bis September legte er sich noch mit gefühlt allen öffentlich an, beschimpfte sie aufs Übelste. Doch dann ging die Regionalwahl in der Provinz Buenos Aires, der wichtigsten des Landes, krachend verloren. Milei hat seine Ansprache seither entschärft. Seine Partei legte innerhalb weniger Wochen um 10 Prozent zu. Es habe eine "grundlegende Selbstkritik" gegeben und er "einen beschleunigten Lernprozess" durchlaufen, um besser die Bevölkerung erreichen zu können, meinte er dazu.
Mit einem entsprechenden Ton trat er nach dem Wahlerfolg im Anzug - nicht in seiner üblichen Lederjacke - auch vor die Kameras, bedankte sich viel, hielt eine zurückhaltende Rede und bot zudem den mächtigen Provinzgouverneuren die Zusammenarbeit an. Den Kongress bat er darum, mit ihm seine Reformen auszuhandeln. Zuvor hatte er das Parlament unter anderem als "Rattennest" und die dortigen Politiker aller Coleur als "Degenerierte" beschimpft. Doch Milei muss weitere Schritte gehen, denn nach seinem Wahlerfolg versprach er der Bevölkerung: "Das Schlimmste ist vorbei." Es gab schon andere Staatschefs in Argentinien, die sich an diesem Satz verschluckt haben.
Quelle: ntv.de