Politik

Der letzte Schliff Koalitionsvertrag geformt

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(Foto: picture-alliance/ dpa)

Union und FDP haben sich trotz schwieriger Verhandlungen über ihren Koalitionsvertrag in der Nacht zum Freitag in wesentlichen Streitpunkten geeinigt. CSU-Chef Horst Seehofer deutete am Morgen an, dass der Koalitionsvertrag weitestgehend unter Dach und Fach sei. Im Laufe des Tages müsse alles noch einmal "sorgfältig durchgeschaut" werden. Bayerns Finanzminister Georg Fahrenschon (CSU) sagte, man sei "sehr erfolgreich" gewesen. Allerdings müsse auch heute weiterverhandelt werden.

Die Aufstellung der Kabinettsliste dürfte für Seehofer, Merkel und Westerwelle kein Spiel sein.

Die Aufstellung der Kabinettsliste dürfte für Seehofer, Merkel und Westerwelle kein Spiel sein.

(Foto: ZB)

In den frühen Morgenstunden setzten sich die drei Parteivorsitzenden, Angela Merkel (CDU), Seehofer und Guido Westerwelle (FDP), erneut in kleiner Runde zusammen, wohl um über Personalien zu sprechen.

Große Runde am Nachmittag

Die Verhandlungen sollen heute ab 15.00 Uhr in großer Runde fortgesetzt werden. Dabei soll es erneut um die strittigen Themen Steuern und Finanzen gehen. Die schwarz-gelben Verhandlungen sollen bis Samstag abgeschlossen sein; dann soll der Planung zufolge auch die Ressortverteilung samt Ministerriege stehen.

Einigung bei Gesundheit und Bildung

Die künftigen Koalitionäre hatten sich in der Nacht zum Freitag unter anderem auf eine Regelung für den Gesundheitsfonds verständigt. Eine Einigung gab es auch bei Bildung und Forschung. Hier sollen jährlich drei Milliarden Euro mehr investiert werden, um das vor zwölf Monaten zwischen Bund und Ländern verabredete Ziel zu erreichen, zehn Prozent des Bruttoinlandsproduktes für diesen Sektor auszugeben. Bildung sei "das Thema" der Zukunft, sagte Unions-Fraktionschef Volker Kauder. Bildungsministerin Annette Schavan (CDU) sagte, die "Bildungsrepublik" werde ein zentrales Ziel der Koalition. Dazu gehörten auch Vergleichbarkeit der Bildungsabschlüsse und ein Bildungssystem, das Mobilität fördere.

Die Verhandlungen waren dem Vernehmen nach am Donnerstag insgesamt schwierig verlaufen. Die künftige schwarz-gelbe Koalition verzichtete nach heftiger Kritik zumindest für dieses Jahr auf ihren umstrittenen "Schattenhaushalt". Die krisenbedingten Milliarden-Lücken bei Arbeits- und Krankenversicherung - etwa 20 Milliarden Euro - sollen nun 2010 mit Steuermitteln geschlossen werden. Damit wird aber auch der Spielraum für die versprochenen Steuersenkungen kleiner.

Auch in anderen Punkten kamen die Koalitionsverhandlungen nur mühsam voran. Die weiteren wichtigsten Punkte vom Donnerstag:

HAUSHALT: Der geplante Nachtragsetat für 2009 samt Sondervermögen wurde gekippt, weil er wohl gegen das Grundgesetz verstoßen hätte. Wahrscheinlich gibt es aber im nächsten Jahr ein Sondervermögen, damit die Beiträge stabil bleiben können. Kanzleramtsminister Thomas de Maizière (CDU) sagte: "Damit spannen wir einen Schirm auf zum Schutz der Arbeitnehmer in der Krise." 16 Milliarden Euro sollen als Zuschuss an die Bundesagentur für Arbeit gehen, etwa 4 Milliarden als Darlehen an die gesetzlichen Krankenkassen.

GEBÜHREN: Kommunale Unternehmen sollen künftig genauso besteuert werden wie private Anbieter. Das geht aus dem Entwurf für den Koalitionsvertrag hervor. Der Mieterbund fürchtet deshalb pro Haushalt Mehrkosten von jährlich 150 Euro, wenn die Unternehmen die Mehrkosten etwa für Müll und Abwasser an die Bürger weitergeben. Die neuen Koalitionäre widersprachen indessen heftig.

WEHRPFLICHT: Die Dauer des Wehrdienstes wird voraussichtlich zum 1. Januar 2011 von neun auf sechs Monate verkürzt. Die Fachleute von CDU, CSU und FDP einigten sich darauf, die Wehrpflicht für junge Männer zu überprüfen, aber grundsätzlich bestehen zu lassen. Offiziell bekanntgegeben wurde aber nichts.

STEUERN: Unternehmen können sich auf schnelle Entlastungen einstellen. Teile der seit 2008 geltenden schwarz-roten Unternehmenssteuerreform sollen korrigiert und "krisenverschärfende Maßnahmen" für internationale Konzerne sowie Mittelstandsfirmen abgeschafft werden. Die Änderungen könnten den Staat bis 2013 nach früheren Berechnungen bis zu 14 Milliarden Euro kosten.

MINDESTLÖHNE: Neue Branchen-Mindestlöhne wollen Union und FDP nur noch im beiderseitigen Einvernehmen zulassen. Praktisch bedeutet dies, dass es keine neuen gesetzlichen Untergrenzen geben wird. Die bestehenden Mindestlöhne sollen überprüft werden. Geplant ist aber ein gesetzliches Verbot sittenwidriger Löhne.

BAUERN: Geprüft wird ein Milliarden-Sofortprogramm für die Bauern. Dabei sollen Agrar-Bundesmittel auch zugunsten von Milchbauern aufgestockt werden. Die Entlastung bei der Agrardieselsteuer und die Liquiditätshilfen sollen fortgeführt werden. Geplant ist auch eine Risikorücklage für Bauern. Außerdem geht es um ein bundesweites Schulmilchprogramm.

LEBENSMITTEL: Verbraucher-Täuschung bei Lebensmitteln soll verhindert werden. Auf Verpackungen darf nur noch stehen, was tatsächlich drin ist.

BAHN: Die Deutsche Bahn soll in Etappen privatisiert werden. "Sobald der Kapitalmarkt dies zulässt, werden wir eine schrittweise ertragsoptimierte Privatisierung der Transport- und Logistiksparten einleiten", heißt es im Vertragsentwurf. Netz, Bahnhöfe und Energieversorgung der Bahn sollen nicht an Investoren verkauft werden - der Staat müsse die Verantwortung für die Infrastruktur tragen.

BANKENAUFSICHT: "Die Bankenaufsicht in Deutschland wird bei der Deutschen Bundesbank zusammengeführt", sagte de Maizière. Außerdem strebe Deutschland eine europäische Ratingagentur zur Bewertung von Risiken an. Ratingagenturen müssten unabhängig sein.

MANAGERGEHÄLTER: Um Fehlanreize zu vermeiden, planen Union und FDP, die Vergütungssysteme der Bankmanager stärker als bisher am langfristigen Erfolg eines Unternehmens zu orientieren. Bei schlechter Geschäftsentwicklung soll es im Zuge von Malus-Regelungen Gehaltsabzüge geben.

ATOMMÜLL: Das niedersächsische Gorleben soll weiter als Endlager-Standort geprüft werden, während die Endlager Asse II und Morsleben geschlossen werden.

Hermes-Bürgschaft für Export von Atom-Technologie?

Nach einem Bericht der "Süddeutschen Zeitung" will die künftige Bundesregierung für den Export von Atom-Technologie wieder Kreditgarantien abgeben. Künftig sollten für den Umweltbereich die OECD-Umweltleitlinien alleiniger Maßstab bei der Prüfung von Anträgen auf Exportkreditgarantien sein, geht aus dem Entwurf des Koalitionsvertrages hervor. Diese sogenannten Hermes-Kredite sollen deutschen Firmen die Ausfuhr wertvoller Güter erleichtern. Die rot-grüne Bundesregierung hatte nach dem Beschluss zum Atomausstieg die Vorgaben im April 2001 verschärft und von der Exportförderung Nukleartechnologien zum Neubau beziehungsweise zur Umrüstung von Atomanlagen ausgeschlossen.

Experte: "Safety first" bei Laufzeitverlängerung

Der Umweltberater der Bundesregierung und Klimaexperte Hans-Joachim Schellnhuber plädiert für längere Laufzeiten nur eines Teils der deutschen Atomkraftwerke. "Die Kernkraftwerke mit hohen Sicherheitsstandards sollten zehn bis zwölf Jahre länger am Netz bleiben dürfen", sagte er der "Frankfurter Rundschau". "Safety first" müsse die oberste Maxime bei einer Laufzeitverlängerung sein. Das könne auch bedeuten, dass ältere, weniger sichere Anlagen sogar früher als im rot-grünen Atomkonsens vorgesehen abgeschaltet werden müssten.

Der Direktor des Potsdam-Instituts für Klimafolgenforschung warnte davor, die Laufzeiten unbegrenzt freizugeben: "Der endgültige Betriebsschluss muss von der Politik klar festgelegt werden, weil sonst der Innovationsdruck zur Entwicklung der erneuerbaren Energien wegfällt und alternative Energieanbieter keine Investitionssicherheit haben." Die Stromkonzerne müssten als Gegenleistung "mehr als 50 Prozent" der Zusatzgewinne in einen öffentlich verwalteten Fonds zur Förderung der erneuerbaren Energien und den Aufbau eines "intelligenten Stromnetzes" einzahlen. Nach Schellnhubers Konzept sollte sich der künftige Energiemix an einem möglichst ehrgeizigen Ausbauplan für den Ökostrom orientieren.

Quelle: ntv.de, dpa/rts/AFP

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