"Eine Welt für sich" Königshaus bringt Licht ins Dunkel
25.01.2011, 16:52 Uhr
"Wir wissen es nicht": Für Königshaus gibt es noch viel Klärungsbedarf, was die jüngsten Vorfälle in der Bundeswehr betrifft.
(Foto: dpa)
Auch wenn die jüngsten Skandale in den 70 Seiten gar nicht vorkommen: Der Jahresbericht des Wehrbeauftragten gibt Einblicke in eine Truppe, in der es durch Leichtsinn und Führungsschwächen zu Problemen kommt. Königshaus sieht auf der "Gorch Fock" ein "Extra-Problem" und spricht von "systematischen Öffnungen" der Feldpost.
Nein, von Alkoholexzessen oder sexuellen Übergriffen auf der "Gorch Fock" sei ihm nichts bekannt, sagt Hellmut Königshaus. Bei seinen bisherigen Recherchen habe er keine derartigen Dinge feststellen können. "Wir wissen nicht, wie es auf der 'Gorch Fock' wirklich zuging", erklärt der Wehrbeauftragte. Noch nicht. Die Fälle sind noch zu frisch, deshalb sind sie in seinem Jahresbericht mit keinem Wort erwähnt.
Geöffnete Feldpost, tödliche Schüsse in Afghanistan und eine Tote auf der "Gorch Fock": Angesichts der jüngsten Vorfälle bei der Bundeswehr wurde die Vorstellung des Jahresberichts des Wehrbeauftragten mit Spannung erwartet. Schließlich hat Königshaus die Dinge ans Licht gebracht. In seinem Bericht tauchen die drei Fälle zwar nicht auf, weil er erst im Januar von ihnen erfahren hat. Ein wenig beleuchten kann Königshaus sie bei seinem Auftritt vor der Bundespresskonferenz in Berlin aber trotzdem, in dem er Einblick ins Innenleben der Truppe gewährt.
"Eine Welt für sich"
Etwa in das Leben auf der "Gorch Fock", von dem ihm bis 2011 keine Auffälligkeiten bekannt waren. "So ein kleines Schiff ist auch eine Welt für sich", sagt Königshaus in seiner stoischen Art, die keine Gefühlsregungen kennt. Stammbesatzung trifft auf junge Offiziersanwärter – damit seien die zumeist höherrangigen Kadetten den niedrigeren Rängen auf dem Schiff untergeben. Der Wehrbeauftragte bescheinigt dem Ausbildungsschiff deshalb ein "Extra-Problem". Zudem führt er die angespannte Ausbildungssituation vor Augen. "Auf einem solchen Schiff kommt es zwangsläufig zu Reibereien": Junge Soldaten werden an ihre Grenzen herangeführt. Wo diese lägen, sei ein sehr subjektives Empfinden, gerade bei noch unerfahrenen Menschen. Deshalb müssten die Ausbilder über die Grenzen entscheiden. Und die scheinen auch manchmal daneben zu liegen, wie der tödliche Unfall einer Soldatin zeigt. Dass sie nach Transatlantikflug und wenig Schlaf gleich acht Mal in die Takelage geschickt wurde, kann Königshaus nicht verstehen.

Der Tod einer Kadettin hat die Aufmerksamkeit auf das Leben an Bord der "Gorch Fock" gelenkt.
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Dass Ausbilder in der Bundeswehr manchmal überfordert sind, belegt auch der Jahresbericht des Wehrbeauftragten. "Insbesondere jungen Mannschaftsdienstgraden und erfahrenen Vorgesetzten fehlt es bisweilen an Wissen und Gespür dafür, wann die Grenzen zum Dienstvergehen beziehungsweise zur Straftat überschritten werden", heißt es in dem 70-seitigen Bericht. Da gingen oft "beleidigende Äußerungen mit anderen schwerwiegenden Pflichtverletzungen" einher. Als Beispiel nennt Königshaus die skandalösen Aufnahmerituale bei den Gebirgsjägern in Mittenwald, die im Frühjahr 2010 ans Licht kamen. Dies seien zwar jeweils Einzelfälle, betont der 60-Jährige. "Aber jeder ist einer zu viel."
"Ich töte Euch"
Auch an anderer Stelle lassen sich Zusammenhänge zwischen wiederkehrenden Problemen bei der Truppe und den jüngsten Vorfällen finden. Auf Seite 31 von Königshaus' Report etwa steht ein Hinweis, wie es zu dem Unfall in Afghanistan kommen konnte, bei dem ein Soldat seinen Kameraden aus Versehen erschossen haben soll. Königshaus berichtet dort von einem Stabsunteroffizier, der bei einem Lehrgang als Aufsichtsperson "unvermutet und überraschend zwei Soldatinnen nacheinander seine ungeladene, jedoch gespannte und entsicherte Pistole an den Kopf" hielt. Der Unteroffizier habe abgedrückt und sinngemäß gesagt: "Ich töte Euch." Nur ein Scherz sei das gewesen, beteuerte er hinterher. Der Unteroffizier wurde fristlos entlassen.

Schwerpunkt des Jahresberichts sind die Auslandseinsätze, die Vereinbarkeit von Dienst und Familie sowie die Sanitätsdefizite.
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"Ich habe den Eindruck, dass gerade im Einsatz Soldaten der Respekt vor Waffen verlorengeht, insbesondere vor vermeintlich kleineren Waffen wie der P8, mit der der Soldat in Afghanistan erschossen wurde", versucht sich Königshaus in Berlin mit einem Erklärungsansatz. Der tägliche Umgang mit noch größeren Waffen könne zu Leichtsinn führen – mit tödlichen Folgen.
Dem Wehrbeauftragten ist es allerdings immer wieder wichtig, die verschiedenen Vorfälle als das zu sehen, was sie seiner Einschätzung nach sind: Individuelle Fälle, ein "allgemeiner Trend zu Problemen bei der Inneren Führung ist nicht erkennbar". Allerdings will Königshaus nicht ausschließen, dass sich nach Bekanntwerden der Beschwerden auf der "Gorch Fock" noch mehr Betroffene melden würden, die bislang vielleicht geschwiegen haben.
Beschwerden gehen zurück
In fast 5000 Fällen haben Soldatinnen und Soldaten 2010 nicht geschwiegen. Die Zahl der Beschwerden über Missstände bei der Bundeswehr ist damit im Vergleich zu 2009 um fast 14 Prozent zurückgegangen. Vieles hat der Wehrbeauftragte zudem erfahren, weil er die Standorte und Einheiten besucht und nachgefragt hat. Ein Schwerpunkt seines Berichts ist die Vereinbarkeit von Familie und Dienst, die viele Soldaten umtreibe. Die Probleme dabei reichten von Kinderbetreuung bis hin zu ständiger Pendelei – fast 70 Prozent der Soldaten würden ihre Familien nur am Wochenende sehen, weil sie nicht am Standort wohnten.
Nach Angaben von Königshaus plagen Soldaten grundsätzlich vor allem persönliche Probleme, generelle Kritik würde seltener geäußert. Auch bei der Ausrüstung habe es "deutliche Verbesserungen" gegeben, obwohl es immer noch Mängel und Defizite gebe. Handlungsbedarf sieht der Wehrbeauftragte derzeit zudem vor allem beim Sanitätsdienst. Die Bundeswehr müsse immer wieder auf zivile Ärzte und Krankenhäuser zurückgreifen, weil die eigenen Kapazitäten nicht ausreichten. Und noch einen Punkt streicht Königshaus heraus: Weil die Bundeswehr zur Freiwilligenarmee umgebaut wird, erwarte er, dass die Nachwuchsgewinnung schwieriger und teurer werden wird. Das zeige die Erfahrung in anderen Ländern. Gerade deshalb müsse der Dienst in den Streitkräften attraktiv sein, die Karrierechancen in der Truppe müssten deutlich verbessert werden.
"Systematische Öffnung"

Auch Verteidigungsminister Guttenberg sollte bei der Aufklärung der Vorgänge etwas genauer hinschauen.
(Foto: dpa)
Im Angesicht der jüngsten Skandale klingen diese Forderungen ein wenig banal, Probleme eines Wirtschaftsunternehmens, könnte man meinen. Dass es Königshaus aber mit einem anderen Kaliber zu tun hat, wird bei der Affäre um geöffnete Feldpost aus Afghanistan deutlich. Auch diese Fälle sind in seinem offiziellen Bericht noch nicht erwähnt, doch sie treiben den ansonsten betont gelassenen FDP-Politiker um. Vor allem, weil ihm die offiziellen Aussagen des Ministeriums und der Armeeführung stören.
Dort wurden die geöffneten Briefe der Soldaten des OP North als Einzelfälle abgetan, die möglicherweise vom Zoll kontrolliert worden seien. Von systematischer Öffnung könne keine Rede sein. Da widerspricht Königshaus deutlich: Das Wort "systematisch" habe sehr wohl seine Berechtigung, weil der überwiegende Teil der Post eines kleinen Außenposten betroffen sei. "Das kann ja wohl nicht die Sortiermaschine gewesen sein", sagt der Wehrbeauftragte sichtlich erzürnt. Die Dunkelziffer nicht bekannter Fälle oder gar verschwundener Briefe könne noch erheblich höher sein. Und dann schießt Königshaus auch indirekt gegen Verteidigungsminister Karl-Theodor zu Guttenberg, obwohl der Wehrbeauftragte nicht die FDP-Speerspitze sein will, wie ihm unterstellt wird. "Feldpost ist militärische Organisation", sagt er. Die Verantwortung hat also der Minister.
Der versucht jedoch erkennbar, die Schuld an den Zoll weiterzuschieben. Das aber lässt Königshaus nicht gelten. "Auf welcher Rechtsgrundlage soll das geschehen sein?", fragt er. Der Staatsanwaltschaft hat er deshalb gesagt, dass er durchaus Anhaltspunkte für Verstöße gegen das Postgeheimnis sehe. Vor allem auch bei der Frage, mit welchem Recht der Zoll USB-Sticks mit privaten Daten und Bildern von Soldaten einbehalte. "Erheblichen Klärungsbedarf" sieht Königshaus deshalb noch. Das sollte auch Guttenberg verstanden haben.
Quelle: ntv.de