Politik

"Fixierung aufs Besondere" Lammert fordert Pflichtjahr für sozialen Zusammenhalt

00:00
Diese Audioversion wurde künstlich generiert. Mehr Infos
Zivildienstleistende gehörten bis zur Aussetzung der Wehrpflicht 2011 zum Alltag in sozialen Einrichtungen.

Zivildienstleistende gehörten bis zur Aussetzung der Wehrpflicht 2011 zum Alltag in sozialen Einrichtungen.

(Foto: picture alliance / ASSOCIATED PRESS)

Wie der Bundespräsident wirbt auch ein ehemaliger Bundestagspräsident für ein soziales Pflichtjahr. Norbert Lammert ärgert sich vor allem, dass Teile der Politik schon die Diskussion darüber verweigern. Erhebliche Sorge bereitet ihm das Erstarken des Populismus.

Der frühere Bundestagspräsident Norbert Lammert hat mit Nachdruck für ein soziales Pflichtjahr geworben. Er empfinde es als "ärgerlich, dass es in der politischen Klasse eine Reihe von Leuten gibt, die den Diskurs verweigern mit der Behauptung, ein solcher Dienst sei prinzipiell nicht mit einer liberalen Gesellschaft vereinbar", sagte Lammert im Interview mit ntv.de. Die Auffassung, ein verpflichtendes Dienstjahr passe nicht zu einer liberalen Gesellschaft, wies Lammert, seit 2018 Vorsitzender der CDU-nahen Konrad-Adenauer-Stiftung, zurück. "Wer nur noch sein eigenes Ding machen will und glaubt, außer für sich selbst für nichts zuständig zu sein, der darf sich über die Erosionstendenzen in der Gesellschaft nicht beklagen."

Bundespräsident Frank-Walter Steinmeier hatte kürzlich Unterstützer eines Pflichtdienstes zum Abendessen ins Schloss Bellevue eingeladen, darunter CDU-Generalsekretär Carsten Linnemann und die Wirtschaftsweise Veronika Grimm, wie der "Spiegel" berichtete. Im Herbst will Steinmeier sich mit den kommunalen Spitzenverbänden treffen, um das Thema voranzutreiben. Wie Lammert geht Steinmeier davon aus, dass ein Pflichtjahr den gesellschaftlichen Zusammenhang stärken würde.

"Das verschafft dem Populismus einen Wettbewerbsvorteil"

Lammert betonte, dies betreffe nicht zwangsläufig nur junge Leute. "Der Grundgedanke ist, ob es nicht aus vielen grundsätzlichen und praktischen Erwägungen sinnvoll sein könnte, zu irgendeinem Zeitpunkt der Biografie einen Teil der Lebenszeit für die gemeinsame Bearbeitung eines wichtigen gesamtgesellschaftlichen Anliegens zur Verfügung zu stellen", sagte er. In der Regel werde das eher jüngere Leute betreffen. "Aber Fragen der konkreten Ausgestaltung eines solchen Dienstes, von der Dauer über die Bedingungen bis zu den Einsatzgebieten, sind allesamt Gegenstand eines öffentlichen Diskurses."

Mit Blick auf das Erstarken populistischer Parteien sagte Lammert, dies mache ihm "erhebliche Sorge". Eine Erklärung dafür sei, dass moderne Gesellschaften immer vielfältiger und komplexer geworden seien. "Angesichts dieser Komplexität haben einfache Antworten auf komplizierte Fragen eine hohe Attraktivität. Das verschafft dem Populismus einen Wettbewerbsvorteil, von dem die Populisten ja auch gnadenlos Gebrauch machen." Einfache Antworten auf komplexe Fragen seien jedoch "regelmäßig falsch".

Lammert sagte, die eigentliche Herausforderung jeder liberalen Gesellschaft bestehe darin, einen "möglichst wenig limitierten Entfaltungsspielraum für individuelle Interessen, Begabungen, Anlagen, Auffassungen und Meinungen zu bieten und gleichzeitig den Zusammenhalt einer Gesellschaft zu wahren". Derzeit gebe es allerdings "eine Konjunktur der Fixierung aufs Besondere", so Lammert. "Wenn aber in einer Gesellschaft nur noch das Besondere thematisiert wird und das Allgemeine nicht, dann befördern wir diese Erosionstendenzen, statt sie zu begrenzen."

Das vollständige Interview erscheint am Samstag um 08.00 Uhr bei ntv.de.

Quelle: ntv.de

Newsletter
Ich möchte gerne Nachrichten und redaktionelle Artikel von der n-tv Nachrichtenfernsehen GmbH per E-Mail erhalten.
Nicht mehr anzeigen