Parteitag der Inhalte? Linke sucht sich selbst
20.10.2011, 16:50 Uhr
(Foto: picture-alliance/ dpa)
Bisher hat die Linke kein Programm. Das soll sich nun ändern. In Erfurt stimmt der Parteitag über einen Entwurf ab, der als anti-neoliberal und anti-kapitalistisch gehandelt wird. Wird er die Partei, die dringend Wähler-Vertrauen braucht, endlich einen? Vielleicht findet erst Gründungsvater Lafontaine dafür die richtigen Worte. Er spricht ganz am Schluss.
Nur noch hunderte Änderungsanträge, nur noch einige Stunden Diskussion, nur noch ein Mitgliederentscheid, dann hat die Linke endlich das, was jede Partei haben sollte: ein Programm. Das Zusammentreffen der Linken an diesem Wochenende in Erfurt wird das, was als "Arbeitsparteitag" bezeichnet wird. Vier Jahre hat der Zusammenschluss aus ostdeutscher PDS und westdeutscher WASG gebraucht, um zu sagen, was die 70.000 Parteimitglieder eigentlich wollen sollen. Die Redaktionskommission, die für den Entwurf verantwortlich ist, ist optimistisch, dass die etwas mehr als 500 Delegierten nun mit einem breiten Ja votieren. Sie erwarte eine "übergroße Mehrheit", so Sahra Wagenknecht, die mit in dem Gremium saß. Ein Parteiprogramm müsse von 90 Prozent und nicht nur von 55 Prozent der Mitglieder getragen werden, legte Galionsfigur Gregor Gysi, der den Entwurf sprachlich für harte Kost hält, die Messlatte noch konkreter fest.
Unstrittig sind die Kernanliegen der Linken: "Strukturbestimmende Großbetriebe" sollen vergesellschaftet, Reiche Geld abgeben und Sozialleistungen verbessert werden. Hartz IV soll ganz verschwinden. Die Bundeswehreinsätze will die Linke beendet und den Austritt aus der NATO beschlossen wissen. Das "Willy-Brandt-Corps" mit "Grünhelmsoldaten" soll stattdessen als Hilfstruppe in rein zivile Einsätze gehen. Das Programm sei anti-neoliberal, anti-militaristisch und anti-kapitalistisch, zeigte sich Wagenknecht zufrieden. Es biete damit verschiedene Alleinstellungsmerkmale.
Wo ist Stopp?
Ein Alleinstellungsmerkmal sind auch die Haltelinien, mit denen die Partei die Beteiligung an Regierungen regeln will. Die Sache klingt einfach: Die Linien dürfen nicht übertreten werden. "An einer Regierung, die Kriege führt und Kampfeinsätze der Bundeswehr im Ausland zulässt, die Aufrüstung und Militarisierung vorantreibt, die Privatisierungen der Daseinsvorsorge oder Sozialabbau betreibt, deren Politik die Aufgabenerfüllung des öffentlichen Dienstes verschlechtert, werden wir uns nicht beteiligen", heißt es im Entwurf. Diese Haltelinien sind es, die für Streit sorgen könnten. Schließlich verläuft der ideologische Graben in der Partei seit Jahren zwischen denen, die regieren und damit aktiv verändern wollen - und denen, die mittels Fundamentalopposition die Regierung lieber vor sich hertreiben.
Über den großen Graben hinweg hält unterdessen - allerdings nur halbwegs - der Burgfrieden, den die linken Entscheider in Sachen Personaldebatte ausgerufen haben. Der Parteitag soll im Zeichen des Programms stehen, nicht der Personen. Längst ist allerdings fast allen klar, dass angesichts der schlechten Wahlergebnisse und der vielen Streitereien über Glückwunsche an Fidel Castro, Sinn und Zweck der Mauer, Wege in den Kommunismus und Porsche fahrende Vorsitzende die Köpfe Gesine Lötzsch und Klaus Ernst zur Disposition stehen. Oskar Lafontaine, so heißt es immer wieder hier und da, steht offenbar ganz kurz vor dem Comeback. Ihm traut man zu, die Partei ab Juni nächsten Jahres erfolgreich in die nächste Bundestagswahl zu führen, bevor dann eine neue, dauerhafte Lösung gesucht wird.
Sahra Wagenknecht ist vom Schmuddelkind zur Hoffnungsträgerin der Partei geworden.
(Foto: picture alliance / dpa)
Für diese Lösung laufen sich schon diverse Kandidaten warm. Sahra Wagenknecht gehört dazu. Sie hetzt von Talkshow zu Talkshow und verbreitet ihre zweifellos vorhandene Kompetenz in Wirtschafts- und Finanzfragen - in Zeiten der Schuldenkrise ein Schatz für die Partei. Wenn es der Linken endlich gelingt, hier inhaltlich zu punkten, dürften auch die Umfrage-Prozente wieder nach oben klettern. Ein anderer Anwärter: Dietmar Bartsch, stellvertretender Bundestagsfraktionschef, der nach seiner Zeit als Geschäftsführer als gut vernetzt gilt. Im Falle Gysis hingegen scheint die Sache klar: Er will nicht mehr an die Spitze der Partei, schließt das immer wieder aus. Auch Bodo Ramelow will nicht, erfuhr n-tv.de aus seinem Umfeld. Und das sei kein taktisches Spielchen. Sein Ziel ist der Posten des Ministerpräsidenten in Thüringen. Und der Vollständigkeit halber: Ernst und Lötzsch könnten auch weitermachen wollen in ihren Ämtern.
Wie auch immer: In der schwelenden Personalfrage wird es am Sonntag, kurz vor dem Ende des Parteitages, spannend. Denn dann tritt Lafontaine auf die Bühne und vor die Delegierten. Wird der Gründungsvater der Partei etwas preisgeben von seinen Plänen? Wird er zumindest eine Andeutung machen? Denkbar ist das, wahrscheinlich eher nicht. Hoffen werden es aber wohl die meisten im Saal.
Quelle: ntv.de