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Luftschlag weit hinter der Front Warum die Tschonhar-Brücken so wichtig sind

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Strategischer Engpass am Eingang zur Krim: Die Brücken bei Tschonhar, hier in einer Satellitenaufnahme vom 20. Juni.

Strategischer Engpass am Eingang zur Krim: Die Brücken bei Tschonhar, hier in einer Satellitenaufnahme vom 20. Juni.

(Foto: © Sentinel Hub / ESA)

Der Angriff auf die Brücken bei Tschonhar trifft die russische Besatzungsmacht an empfindlicher Stelle: Die Ukrainer nehmen einen der wichtigsten Übergänge zur Krim unter Beschuss. Ein Blick auf die Karte enthüllt die strategische Bedeutung.

Heftige Explosionen erschüttern in den frühen Morgenstunden des 22. Juni den Süden der Ukraine: Fernab der Front schlagen bei Tschonhar - der früheren Grenzübergangsstelle zur russisch annektierten Krim - mehrere schwere Kaliber ein. Der gezielte Beschuss gilt offenbar den beiden Straßenbrücken über den Sywasch. Erste Bilder zeigen schwere Schäden an der Fahrbahndecke. Tschonhar liegt von den nächstgelegenen ukrainischen Stellungen rund 120 Kilometer entfernt.

Die beiden Straßenbrücken bei Tschonhar sind für den Verkehr in der Region von erheblicher Bedeutung. An dieser Stelle passiert die wichtige Fernstraße einen natürlichen Engpass. Die neuere Betonbrücke der Route M-18 liegt unmittelbar neben der alten Straßenbrücke. Die beiden vergleichsweise kurzen Bauwerke überqueren hier den Hauptarm der Sywasch-Buchten.

Mit dem Vorfall bei Tschonhar rückt eine der wenigen Landverbindungen zur Krim ins Visier der Ukrainer: Die Salzsümpfe und Marschlandschaften des Sywasch ziehen sich über eine Strecke von knapp 100 Kilometern von der Landenge bei Perekop im Westen bis zur Arabat-Nehrung an der Asowschen See im Osten. Das in Nord-Süd-Richtung bis zu 15 Kilometer breite Nebengewässer trennt die Krim vom Festland und ist für Fahrzeuge nur an wenigen Stellen passierbar.

Bei Tschonhar führen dicht beieinander die beiden Straßenbrücken über das "faule Meer", wie der Sywasch auch genannt wird. Bei dem Beschuss am frühen Morgen wurden offenbar beide Verbindungen getroffen, aber nicht zerstört. Das genaue Ausmaß der Schäden ist noch unklar, die Reparatur könnten aber mehrere Wochen dauern, schätzt ein von Russland entsandter Mitarbeiter des Verkehrsministeriums.

Die Situation vor dem Angriff: Blick auf die Bahn-Brücke (links, großer Kreis) und die Straßenbrücken bei Tschonhar (Aufnahme vom 20. Juni 2023).

Die Situation vor dem Angriff: Blick auf die Bahn-Brücke (links, großer Kreis) und die Straßenbrücken bei Tschonhar (Aufnahme vom 20. Juni 2023).

(Foto: © Sentinel Hub / ESA)

Wenige Kilometer weiter westlich von Tschonhar führt die wichtigste Bahnstrecke Richtung Melitopol über die Salzsümpfe und Marschgebiete des Sywasch. Die Bahnlinie verbindet den russischen Versorgungsknotenpunkt Dschankoj auf der Krim mit Melitopol nahe dem Frontabschnitt bei Tokmak. Unklar ist, ob auch die Schienenbrücke über den Sywasch beschossen wurde.

Für das russische Militär ergeben sich aus dem Angriff bei Tschonhar erhebliche Probleme: Große Teile des Nachschubs für die kämpfenden Truppen am Unterlauf des Dnipro und an der Saporischschja-Front laufen über diese Route. Wenn die Ukrainer diese Verbindung kappen, wäre die Versorgung der russischen Frontverbände gefährdet.

Egal ob Artilleriegranaten, Lebensmittel, MG-Munition, Treibstoff oder Panzerabwehrwaffen: Der Materialverbrauch an der Front ist gewaltig. Ohne verlässliche Nachschub-Lieferungen, so das mögliche Kalkül der Ukrainer, sind die aufwändig errichteten Stellungen der Russen nicht lange gegen Angriffe der ukrainischen Bodenoffensive zu halten.

Dass die Ukrainer die Übergänge zur Krim gezielt unter Beschuss nehmen, muss für die Besatzer zudem wie ein Alarmsignal wirken. Wenn die Tschonhar-Brücken in Reichweite ukrainischer Präzisionsangriffe liegen, dann müssen die Militärplaner im Kreml auch auf den übrigen Nachschubrouten am Eingang zur Krim mit einschlagenden Präzisiongeschossen rechnen.

Kurze Ausweichrouten oder Alternativstrecken gibt es kaum: Die Landenge bei Perekop ist an ihrer engsten Stelle nur knapp zehn Kilometer breit. Zwischen Perekop und Tschonhar gibt es abgesehen von der Eisenbahnbrücke nur zwei schmale Dämme. Weiter östlich führt ansonsten nur noch eine Straße über die Arabat-Nehrung.

Die schmale Landzunge der Arabat-Nehrung grenzt die brackigen Sumpfgebiete des Sywasch vom Asowschen Meer ab. Die Nehrung besteht größtenteils aus angeschwemmten Sand. Auf der mehr als 100 Kilometer langen Strecke vom Festland bei Henitschesk bis runter nach Kamjanske gibt es so gut wie keine Deckung. Und bei Henitschesk läuft die Straße über zwei kleine Brücken, die ebenfalls bald unter Beschuss geraten könnten.

Quelle: ntv.de

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