Generalprobe für Schwarz-Grün Macht Al-Wazir den Fischer?
22.11.2013, 19:54 Uhr
Zwei Politiker-Generationen: Joschka Fischer prägte Rot-Grün, prägt Tarek Al-Wazir in den kommenden Jahren Schwarz-Grün?
(Foto: picture-alliance/ dpa)
Vor mehr als 28 Jahren wird Joschka Fischer in Wiesbaden der erste grüne Minister. Nun könnte Hessen erneut Geschichte schreiben. Eine schwarz-grüne Koalition würde die deutsche Politik verändern.
Der Mann, den sie später nicht mehr Joseph, sondern Joschka nennen, schwört den Ministereid ohne Krawatte, dafür mit Jeans und Turnschuhen. Im Oktober 1985 schreibt Hessen zum ersten Mal Geschichte. Es ist die erste rot-grüne Landesregierung in Deutschland, der frühere Sponti und Rebell wird der erste grüne Minister der Republik
Viel spricht dafür, dass Hessen in einigen Wochen wieder Geschichte schreiben wird. Der hessische Grünen-Chef Tarek Al-Wazir wird dann wohl in Fischers Rolle schlüpft. Volker Bouffier, der hessische CDU-Ministerpräsident, will mit den Grünen über eine gemeinsame Landesregierung verhandeln. Bouffiers Ansage hat eine große Symbolik. Politische Bündnisse scheitern in der Phase der Sondierung. Wird aber erst einmal ernsthaft verhandelt, kommt es in der Regel zu einer Koalition. Was sich in diesen Tagen in Wiesbaden abspielt, könnte die deutsche Politik nachhaltig auf den Kopf stellen.
Hessen gilt seit Jahrzehnten als Gradmesser und Trendbarometer für Wahlen im Bund. Und doch sind die Landesverbände des Sechs-Millionen-Einwohner-Land anders geprägt als ihre Bundesparteien. Die hessische SPD gilt traditionell als besonders links, die CDU als konservativ. Die Folge ist seit jeher eine starke Konfrontation der großen Parteien.
Irgendwer muss regieren
Die Annäherung zwischen CDU und Grünen ist auch in anderer Hinsicht bemerkenswert. Zwar schloss Al-Wazir im Wahlkampf kein Bündnis explizit aus. Doch sein Verhältnis zu den Schwarzen galt stets als unterkühlt. Im Wahlkampf 2008 ließ Roland Koch "Ypsilanti, Al-Wazir und die Kommunisten stoppen" plakatieren. Das hat der Grüne, der das als unterschwelligen Rassismus empfand, nicht so schnell vergessen.

Hessisches Koalitionsgeklüngel: Bouffier, Schäfer-Gümbel und Al-Wazir.
(Foto: picture alliance / dpa)
Trotzdem wollen es die Grünen nun mit der CDU versuchen. Denn es gibt keine Alternativen. Zwei Monate nach der Wahl hat Hessen immer noch keine neue Landesregierung. Ob Schwarz-Rot, Rot-Rot-Grün oder: Schwarz-Grün: Alle Sondierungen stießen in den vergangenen Wochen an ihre Grenzen. Doch irgendwer muss das Land regieren. Am einfachsten ist natürlich eine Zwei-Parteien-Koalition.
Interessant ist Schwarz-Grün ohnehin. Viel hat ja schon im Bund nicht gefehlt. Viele Unions-Politiker bekannten in den vergangenen Wochen ihre Sympathien für Schwarz-Grün. Der grüne Tübinger Oberbürgermeister Boris Palmer sagte n-tv.de: "Nochmal dürfen wir uns nicht in das bequeme Haus grüner Gewissheiten zurückziehen und das Land in die falsche Richtung laufen lassen."
Bouffier entscheidet sich nicht für die vermeintlich bequemere Große Koalition, sondern für das Experiment. Für ihn sind die Grünen auch deshalb attraktiver, weil er in einer schwarz-grünen Koalition weniger Zugeständnisse machen müsste. Die Rollen zwischen der großen und kleinen Regierungspartei sind eindeutiger verteilt. Die Zugeständnisse müssten vor allem die Grünen machen.
Wenn es in Hessen funktioniert, dann auch anderswo
Ihre klassischen Bündnispartner haben CDU und Grüne sowohl im Bund, als auch bei der Wahl in Hessen verloren. Beiden Parteien bietet Schwarz-Grün daher eine attraktive Machtoption. Eine gemeinsame Landesregierung würde die vorhandene Scheu vor einer Koalition in Zukunft wesentlich reduzieren. Wer zu wählerisch ist, kann nicht regieren. Das zeigt das Beispiel der hessischen SPD. Sie verpasst die Möglichkeit, Rot-Rot-Grün in Hessen auszutesten. 2017 könnte es zu spät sein, Schwarz-Grün hätte dann einen strategischen Vorteil.
Die Kanzlerin dürfte in den kommenden vier Jahren also aufmerksam nach Hessen schauen. Ein Testlauf auf Länderebene und dann noch in dem wichtigen westdeutschen Flächenland ist das, was 2013 im Bund gefehlt hat. Schließen Bouffier und Al-Wazir das historische Bündnis, sähe das 2017 ganz anders aus. Dann taugt Schwarz-Grün nicht nur als Drohkulisse gegenüber der SPD, sondern als ernsthafte Alternative. Wenn es in Hessen funktioniert, dann auch anderswo.
Aber auch ein Scheitern von Schwarz-Grün wäre kein Drama. Das erste rot-grüne Projekt in Hessen zerbrach schon nach zwei Jahren. Weder den Grünen noch der neuen Koalition hat das geschadet. Nach der Wende regierten die einstigen "Schmuddelkinder" unter anderem in Niedersachsen, Hessen und Nordrhein-Westfalen. Es waren Generalproben für die ganz große Bühne. 1998 feiert Rot-Grün schließlich auch im Bund Premiere. Gleiches könnte 2017 mit Schwarz-Grün passieren. Dann oder vier Jahre später wird es erneut heißen: Alles begann einmal in Hessen.
Quelle: ntv.de