Betreuungsgeld wird zum Problem Merkel in der Machtwort-Falle
04.04.2012, 21:35 Uhr
"Basta" zu brüllen, ist nicht eben Angela Merkels Stil. Mit leisen Machtworten verfehlt sie aber immer wieder die gewünschte Wirkung.
(Foto: picture alliance / dpa)
Die CDU-Spitze setzt darauf, dass der Widerstand gegen das Betreuungsgeld bröckelt. Das dürfte ein Irrtum sein, ein Kompromiss ist nicht in Sicht. Die Kritiker lehnen eine Barauszahlung kategorisch ab, die CSU verweigert Verhandlungen. Die Kanzlerin steckt in der Klemme.
Mit Machtworten hat Bundeskanzlerin Angela Merkel keine guten Erfahrungen gemacht - sie entsprechen auch nicht ihrem Stil. Zuletzt versuchte sie, FDP-Chef Philipp Rösler bei einem lauten Streit im Kanzleramt davon abzuhalten, Joachim Gauck zum Bundespräsidenten zu wählen. Das hat bekanntlich nicht geklappt.
Und auch beim Betreuungsgeld sieht es nicht gut aus für Merkel. 24 CDU-Abgeordnete haben angekündigt, im Bundestag einem solchen Vorhaben nicht zuzustimmen. Darunter Rita Pawelski, die Vorsitzende der Gruppe der Frauen im Bundestag. "Wenn das Betreuungsgeld als reine Barauszahlung kommen sollte, könnte ich nicht zustimmen", sagt Pawelski n-tv.de. "Es gibt zu viele Unwägbarkeiten und entspricht nicht dem, was wir in den letzten Jahren als Familienpolitik erarbeitet und umgesetzt haben."
Erst am Montag hatte Merkel über ihren Regierungssprecher deutlich gemacht, dass sie auf jeden Fall am Betreuungsgeld festhalten will. Und dennoch reißt die Kritik nicht ab. Die FDP bezweifelt mittlerweile öffentlich, ob der Bund überhaupt zuständig für eine solche Maßnahme wäre. Die Vorsitzende des Familienausschusses im Bundestag, die FDP-Politikerin Sibylle Laurischk, sagte der "Rheinischen Post", ihre Fraktion werde "einem Gesetz, das verfassungsrechtlich zweifelhaft ist, nicht zustimmen können".
CDU-Generalsekretär Hermann Gröhe versucht, dies als juristische Minderheitsmeinung herunterzuspielen. Außerdem erwarte er, dass der Widerstand in der CDU gegen das Betreuungsgeld bröckelt. Die bayerische CSU-Sozialministerin Christine Haderthauer lässt derweil wissen, die CSU bleibe bei ihrer Position.
Der Ruf steht auf dem Spiel
Zweifellos könnten Merkel, Unionsfraktionschef Volker Kauder und Fraktionsgeschäftsführer Peter Altmaier das Betreuungsgeld in der Fraktion durchboxen - doch wie sähe das aus? Für die Union steht der hart erarbeitete Ruf auf dem Spiel, eine moderne Familienpartei zu sein. "Wir haben sehr erfolgreich das Elterngeld eingeführt. Es kann auf Wunsch gesplittet werden: Wenn monatlich nur die Hälfte des Geldes abgefordert wird, verdoppelt sich die Bezugsdauer", rechnet Pawelski vor. Das wären über einen Zeitraum von bis zu 28 Monaten mindestens 150 Euro - in der Regel mehr. Dies sei eine "unglaublich gute, familienfreundliche Regelung", so Pawelski.
Die Frauen in der Union fordern schon seit langem eine andere Form der Unterstützung für Elternteile, die wegen der Kinder zu Hause bleiben. Das Stichwort heißt "Gutscheinmodell" - eine Möglichkeit, die der Koalitionsvertrag ausdrücklich einräumt. "Nur der Elternteil, der wegen der Kinderbetreuung zuhause bleibt, sollte eine nachhaltige Hilfe bekommen", sagt Pawelski. "Und weil jede Lebensbiografie anders ist, soll man wählen können zwischen Riester, Rürup, einer Pflegeversicherung oder einem Eingliederungsgutschein, der bei der Rückkehr in den Beruf hilft - diese Liste könnte ergänzt werden. Das sind nur einige Vorschläge."
"Bargeld allein geht nicht"
Die Unionsfrauen bieten ausdrücklich eine Kompromisslösung an. Eine rote Linie gibt es allerdings: "Bargeld allein ist nicht akzeptabel. Und falls Bargeld dann doch als eine der Alternativen im Gesetz stehen sollte, muss dessen Auszahlung an Bedingungen geknüpft werden", so Pawelski. Dies könne etwa so gelöst werden, dass das Kind für eine bestimmte Stundenzahl in einer Krippe oder bei einer Tagesmutter betreut werden darf. Oder das Betreuungsgeld könne an den Besuch der regelmäßigen Untersuchungen beim Kinderarzt geknüpft werden.
Pawelski wundert sich, dass die Befürworter des Betreuungsgeldes argumentieren, ein Kind werde besser zuhause betreut, während sie gleichzeitig das Geld auch dann auszahlen wollen, wenn beide Elternteile ganztägig berufstätig sind. "Wenn beide Eltern ganztags arbeiten, wird in der Regel das Kind nicht im eigenen Haushalt betreut - es sei denn, man kann sich eine Kinderfrau leisten. Aber braucht man dann ein Betreuungsgeld?"
Das demografische Problem
Unabhängig von der Debatte um das Betreuungsgeld kursiert in der Unionsfraktion derzeit ein Arbeitspapier, das eine "Demografiestrategie" erarbeiten soll. Darin heißt es laut "Welt", nötig seien ein Ausbau der Kinderbetreuung sowie "eine Gleichstellungspolitik, die für Frauen und Männer gerechte Chancen und berufliche Perspektiven schafft". Man wird unterstellen dürfen, dass die Verfasser dieses Papiers nicht allein an die Belange der Frauen dachten, sondern vor allem daran, dass Deutschland dramatisch schnell altert.
Deutschland ist auf Nachwuchs angewiesen. Wirkt das Betreuungsgeld da förderlich?
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Denn laut Statistischem Bundesamt wird 2060 jeder dritte Deutsche im Rentenalter sein. Ob das Betreuungsgeld angesichts dieser Prognose das richtige Signal ist, dürfte zumindest fraglich sein. Zumal das Familienministerium davon ausgeht, dass ein Betreuungsgeld 1,2 Milliarden Euro jährlich kosten würde. Kritiker sagen, die Summe werde weit höher liegen - und das Geld sollte besser in den Kita- und Krippenausbau gesteckt werden.
Die Freunde des Betreuungsgeldes argumentieren dagegen mit der "Wahlfreiheit" - als gebe die Zahlung von 100 oder 150 Euro den Ausschlag, wenn Eltern vor der Frage stehen, wie lange sie aus dem Job aussteigen. Der CSU-Sozialpolitiker Johannes Singhammer hat ein weiteres Argument eingeführt. Dem "Handelsblatt" sagte er, das Betreuungsgeld könnte einen Beitrag dazu leisten, die Geburtenraten zu steigern. Eine Studie des Bonner Instituts zur Zukunft der Arbeit kommt allerdings zu einem völlig anderen Ergebnis. Die Untersuchung zeigte, dass der Anteil der zuhause betreuten Kinder in Thüringen nach der Einführung des Elterngeldes dort zwar um 20 Prozent stieg. Steigende Geburtenraten fanden die Forscher jedoch nicht.
Die Studie ergab auch, dass vor allem Geringqualifizierte, Alleinerziehende und Familien mit niedrigem Einkommen dem Arbeitsmarkt fernbleiben. Der Haken daran ist gar nicht, dass dieser Gruppe gern unterstellt wird, das Betreuungsgeld wahlweise zu vertrinken oder für Zigaretten auszugeben. Sondern dass insbesondere Geringqualifizierte nach längeren Unterbrechungen "nur schwer wieder Fuß auf dem Arbeitsmarkt" fassen, wie die Ko-Autorin der Studie, Christina Gathmann, sagt.
Die Liste der Kritiker ist lang
Offen ist nun, wie zuerst die Union und dann die Koalition zu einer Lösung kommen will. Die CDU-Spitze hat sich festgelegt, die CSU will gar nicht mehr verhandeln - es sieht ganz so aus, als hätte Merkel sich verzockt. Dabei schien die Sache so einfach zu sein: Beim Koalitionsgipfel im vergangenen November bekam die FDP ein paar Steuersenkungen, die CSU bekam ihr Betreuungsgeld und Merkel ihre Ruhe. Passiert ist seither nicht so viel: Den Grundfreibetrag hat der Bundestag kürzlich erhöht, ob der Beschluss im Mai allerdings auch durch den Bundesrat geht, ist mehr als fraglich. Zum Betreuungsgeld gibt es noch nicht einmal einen Gesetzentwurf, den will das Familienministerium bis zur Sommerpause vorlegen.
Ruhe hat Merkel derweil nicht. Die Liste derer, die das Vorhaben kritisieren, wird immer länger: Nicht nur die Opposition ist dagegen, auch die Arbeitgeber, die Gewerkschaft Erziehung und Wissenschaft sowieso. Der Deutsche Städte- und Gemeindebund fordert, das Geld für den Ausbau der Kindergartenplätze einzusetzen, der Bundesvorsitzende der Föderation türkischer Elternvereine sagt ebenfalls Nein, auch der Bund der Steuerzahler rauft sich die Haare. Selbst die konservative baden-württembergische CDU, traditionell ein enger Verbündeter der CSU, hat sich abgesetzt.
Letzter Ausweg Bundesrat
Und die Wähler? Einer Umfrage des Kölner Meinungsforschungsinstituts YouGov zufolge sagen 60 Prozent der Unionsanhänger, das Geld sollte lieber in den Kita-Ausbau gesteckt werden - bei den anderen Parteien ist der Prozentsatz noch größer. Für Merkel und ihre Wahlkämpfer in Schleswig-Holstein und Nordrhein-Westfalen wird das Betreuungsgeld zu einer echten Belastung.
Aber vielleicht kommt die SPD der Union ja zu Hilfe. Wenn die Länder durch die Einführung des Betreuungsgeldes Personal einstellen müssen, dann könnte die Mitsprache des Bundesrats notwendig werden. Dann wäre das Gesetz vom Tisch.
Quelle: ntv.de