Politik

Offene Worte in Moskau Merkel spricht Tacheles mit Putin

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Es sind ungewohnt klare Worte, die Kanzlerin Merkel in Moskau findet: Sie könne bei einigen russischen Gesetzen nicht erkennen, dass sie der Freiheit der Menschen dienten. Und dann gibt sie dem ehemaligen KGB-Offizier noch einen Rat - doch dieser lässt nichts auf sich sitzen.

Schon im Vorfeld der 14. deutsch-russischen Regierungskonsultationen gab es viel Knatsch zwischen Moskau und Berlin. Nun hat Bundeskanzlerin Angela Merkel bei ihrem Besuch in Russland etwas gemacht, wofür sie sonst nicht so bekannt ist: Sie hat deutliche Worte gefunden und bei einem Treffen mit Präsident Wladimir Putin die jüngsten Repressionen gegen Oppositionelle scharf kritisiert. Sie sehe eine Reihe von Gesetzen in Russland, von denen sie nicht erkennen könne, dass sie die Freiheit der Menschen beförderten. "Wir fragen uns, ob das gut für die Entwicklung der russischen Gesellschaft ist oder nicht", sagte Merkel.

Die Kanzlerin sprach auch die international umstrittene Haftstrafe für zwei junge Frauen der kremlkritischen Punkband Pussy Riot an. In Deutschland würde ein Protest in einer Kirche zwar ebenfalls Debatten auslösen - die Sängerinnen würden aber nicht zu zwei Jahren Lagerhaft verurteilt, sagte die Kanzlerin beim deutsch-russischen Diskussionsforum Petersburger Dialog. Aus ihrer persönlichen Erfahrung in der DDR sei sie überzeugt, dass sich kein Staatschef auf Dauer gegen sein Volk stellen kann.

Merkel war offensichtlich bemüht, ihre Kritik nicht allzu harsch klingen zu lassen und bat Putin, ihre offenen Worte nicht als Angriff zu verstehen. "Das ist nicht destruktiv gemeint." Kritik sei Ausdruck eines offenen Umgangs zwischen Partnern. "Schlagen Sie einmal deutsche Zeitungen auf und sehen Sie, was da los ist", riet sie dem Präsidenten. "Wenn ich da immer gleich eingeschnappt wäre, könnte ich nicht drei Tage Bundeskanzlerin sein."

Putin wirf Pussy Riot Antisemitismus vor

Glanz und Distanz: Merkel und ihre Minister suchen im Kreml das Gespräch mit Putin und Gefolge.

Glanz und Distanz: Merkel und ihre Minister suchen im Kreml das Gespräch mit Putin und Gefolge.

(Foto: dpa)

Putin schenkte der Kanzlerin nichts. Gallig lobte der einstige KGB-Agent Merkel als "mustergültige Deutsche". Zugleich wies er alle Vorwürfe zurück. Er betonte, er sei zwar kein Experte für deutsches Recht. Er habe aber gehört, dass in Deutschland auf eine ähnliche Aktion bis zu drei Jahre Haft stünden. .

Der 60-Jährige spielte im Beisein der deutschen Kanzlerin auf eine Aktion eines Pussy-Riot-Mitglieds von 2008 an und warf der Gruppe Antisemitismus vor. "Wir beide können keine Menschen unterstützen, die antisemitische Positionen annehmen", sagte Putin.

"Diplomatischer Eklat"

Der Anwalt der Frauen reagierte empört. Die Bundestagsabgeordnete der Grünen, Marieluise Beck, nannte Putin einen dreisten Lügner. Der Vorstand der Heinrich-Böll-Stiftung, Ralf Fücks, sprach von einem "diplomatischen Eklat" und stellte klar, dass bei der angesprochenen Aktion Pussy-Riot-Sängerin Nadeschda Tolokonnikowa eine als Juden dargestellte Puppe verbrannt hatte, um Stereotypen anzuprangern. Putins Darstellung sei glatter Rufmord.

Angesichts eines EU-Kartellverfahrens gegen den russischen Staatskonzern Gazprom kritisierte Putin zudem die Energiepolitik der EU als "schädlich". Russland akzeptiere die Gesetze der Europäischen Union. "Das Einzige, gegen das wir uns aussprechen, ist, dass Gesetze rückwirkend angewendet werden", sagte der Präsident der Energiegroßmacht. Das sei inakzeptabel und "unzivilisiert". Die EU-Kommission wirft Gazprom vor, Konkurrenten auszuschalten und die Gaspreise hochzutreiben.

Merkel räumte Probleme ein. "Es gibt hier in der EU sehr unterschiedliche philosophische Vorstellungen: Was schützt den Wettbewerb mehr? Deutschland konnte sich mit den Vorstellungen nicht immer voll durchsetzen", sagte die Kanzlerin. Zugleich riet sie Russland, "die Dinge so zu nehmen, wie sie sind, und die Spielräume maximal auszunutzen".

Erfreut zeigte sich Merkel über die Ostsee-Pipeline Nord Stream, durch die Russland Gas direkt nach Deutschland pumpt. "Es ist sehr erfolgreich gelungen, Nord Stream zu bauen. Damit hat Deutschland auch eine strategische Bedeutung, was den gesamten Gasfluss nach Europa anbelangt", sagte Merkel.

Stimmung gereizt

Die deutsch-russischen Beziehungen sind derzeit angespannt wie lange nicht. Grund sind die massiven Repressionen gegen Oppositionelle, die seit Putins Wiederwahl zum Präsidenten in Russland an der Tagesordung sind. Vor wenigen Tagen erst hatte der Bundestag Merkel in einem Beschluss zu einer kritischen Haltung gegenüber Putin aufgefordert. Kremlsprecher Dmitri Peskow verwahrte sich gegen die "antirussische Rhetorik".

Wirtschaft boomt

Rund 6500 deutsche Unternehmen machen derzeit in Russland Geschäfte. Nach Angaben des Statistischen Bundesamtes stiegen die deutschen Exporte nach Russland bis Ende August um 14,3 Prozent, die Importe nahmen um sieben Prozent im Vergleich zum Vorjahr zu. Für Russland ist Deutschland der drittwichtigste Handelspartner. Der Ostausschuss der deutschen Wirtschaft fordert noch deutlich intensivere Beziehungen zu Russland und die Aufhebung des Visa-Zwangs.

Es war Merkels erster Besuch in Moskau seit den Massendemonstrationen gegen Putin im vergangenen Winter und dessen Rückkehr in den Kreml im Mai. Merkel reiste dabei mit großem Gefolge. Acht Minister, drei Staatssekretäre und eine hochkarätige Wirtschaftsdelegation begleiteten sie.

Deutsche und russische Unternehmen schlossen dabei in Moskau zahlreiche Verträge. So soll der Siemens-Konzern fast 700 E-Loks im Gesamtwert von 2,5 Milliarden Euro an die Staatsbahn RZD liefern. Die Deutsche Börse vereinbarte eine Zusammenarbeit mit der Börse Moskau.

Visaerleichterungen beschlossen

Bundesaußenminister Guido Westerwelle (FDP) und sein Amtskollege Sergej Lawrow beschlossen im Beisein von Merkel und Putin Visaerleichterungen zum Jugendaustausch. Putin forderte erneut die völlige Abschaffung der Visapflicht. Die Vergabepraxis sei ein Hemmnis für die Beziehungen Russlands mit der EU, sagte er. Moskau kritisiert die Haltung Brüssels in der Frage als politisch motiviert.

Russland und Deutschland verbindet seit Jahren eine sogenannte Modernisierungspartnerschaft. Kritiker wie der Russland-Beauftragte der Bundesregierung, Andreas Schockenhoff stellen aber das ehrgeizige Projekt offen infrage. "Ich habe den Eindruck, dass die jetzige Führung in Moskau den Begriff Modernisierung technisch versteht, aber bei uns umfasst das auch einen demokratischen Staat", sagte der CDU-Politiker in Moskau. Der Abgeordnete war in den vergangenen Wochen von der russischen Führung mehrfach wegen "verleumderischer Äußerungen" scharf kritisiert worden.

Menschenrechtler loben deutsche Haltung

Wie drängend das Thema Menschenrechte im größten Land der Erde ist, zeigt nicht nur der Fall Pussy Riot. Unmittelbar vor Merkels Ankunft teilt das Komitee der Soldatenmütter mit, dass es seine Arbeit wohl einstellen muss. Die staatliche Hilfe sei schon vor einiger Zeit gekürzt worden, sagt die Vorsitzende Valentina Melnikowa. Geld aus dem Ausland anzunehmen, sei aber wegen eines neuen "Agentengesetzes" problematisch, erzählt die Chefin des Komitees, das seit 1989 viele Skandale in der Armee aufgedeckt hat.

Trotz massiver Kritik auch aus Deutschland hatte Putin das "Agentengesetz" vor kurzem unterschrieben. Es sieht vor, dass sich Nichtregierungsorganisationen mit finanzieller Unterstützung aus anderen Ländern als "ausländische Agenten" brandmarken müssen. Kritiker meinen, die Novelle diene allein der Unterdrückung von Putins Gegnern und sei nur die jüngste in einer ganzen Reihe repressiver Maßnahmen, die der Kreml in den vergangenen Monaten initiiert hat.

Von russischen Menschenrechtlern kommt denn auch Lob für die offizielle deutsche Haltung. Von ihnen ist am Rande des Petersburger Dialogs viel Anerkennung für den Bundestag zu hören. "Es ist wichtig für unsere Arbeit, dass das Ausland die Lage in Russland beobachtet", sagt etwa Ljudmila Alexejewa von der Moskauer Helsinki Gruppe. Ihr gefällt der Name einer Arbeitsgruppe des Dialog-Forums besonders gut: "Wutbürger".

Quelle: ntv.de, ghö/dpa/AFP

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