Politik

Einfach mal vertagenMerz-Koalition gelingt Operation "Harmonische Feiertage"

11.12.2025, 12:55 Uhr a6d1097d-155c-4edc-b000-7806375dfbdb~1Von Sebastian Huld
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Ein letztes Mal bis nach Mitternacht sitzen die Koalitionsspitzen in diesem Jahr zusammen. Hernach zeigen sich Merz, Bas, Klingbeil und Söder beinahe in Festtagsstimmung - und lassen grundsätzliche Differenzen erstmal unter den Tisch fallen.

Soll niemand sagen, Union und SPD seien nicht lernfähig. Nachdem die noch junge Regierungskoalition im Streit um die Richterwahl denkbar unharmonisch in die lange politische Sommerpause gestolpert war, geht es nach dem letzten Koalitionsausschuss 2026 friedlich in die Zeit zwischen den Jahren. Zumindest Bundeskanzler Friedrich Merz, die SPD-Chefs Bärbel Bas und Lars Klingbeil sowie der CSU-Vorsitzende Markus Söder geben sich demonstrativ optimistisch, bevor in der letzten Woche vor Weihnachten Bundestag und Bundesrat noch einmal zusammenkommen.

"Ich freue mich wirklich auf die Zusammenarbeit im nächsten Jahr 2026", beteuert der vierte Parteichef im Bunde, der CDU-Vorsitzende Merz. Schwarz-Rot gehe "wirklich mit einer guten Bilanz aus dem Jahr 2025 heraus" und in das neue hinein. Vizekanzler Klingbeil wünscht den Menschen schon einmal, "dass sie über Weihnachten mal ein paar Tage nichts von dieser Regierung hören und alle zu Hause Weihnachten mit den Familien genießen können".

Aus Gebäudeenergiegesetz wird Gebäudemodernisierungsgesetz

Tatsächlich haben die vier Koalitionsspitzen nach acht Stunden intensiven Beisammenseins ein paar Beschlüsse mitgebracht in ihre Pressekonferenz am Donnerstagmorgen. Sie stellen insbesondere den Abbau von Genehmigungshürden bei Infrastrukturvorhaben ins Schaufenster - auch wenn die beschlossene Einschränkung von Umweltschutzklagerechten sicher selbst noch Gerichte beschäftigen wird. Und was nicht geeint ist, verkaufen die vier als das Gegenteil: "Das sogenannte Heizungsgesetz wird abgeschafft, es wird künftig Gebäudemodernisierungsgesetz heißen", sagt Merz. Neu daran ist eigentlich nur, dass erstens ein Name gefunden worden ist und zweitens man sich auf eine weitere Vertagung verständigt, eben weil sich Union und SPD nicht näherkommen.

Dass das Gesetz im Frühjahr ins parlamentarische Verfahren soll, erinnert ungut an den Zeitplan des Heizungsgesetzes von Robert Habeck, das korrekterweise Gebäudeenergiegesetz (GEG) heißt: Auch das sollte im Frühjahr 2023 durchs Parlament, zog sich dann aber als Rieseneklat bis in den Sommer hinein. Die Ampelkoalition war zu diesem Zeitpunkt eigentlich schon im Eimer, noch bevor das Bundesverfassungsgericht mit seinem Schuldenurteil endgültig den Stecker zog. Wie heikel das Thema ist, weiß auch in die neue Regierung, und so wird aus "einfach mal machen", dem Mantra von CDU-Generalsekretär Carsten Linnemann, die Ausweichlösung "einfach mal vertagen".

Bas ist "überrascht" von Reiche

Stichwort Vertagen: Die Verabschiedung des Reformgesetzes zum Bürgergeld durch das Kabinett ist in der laufenden Woche nicht wie geplant gelungen. Das wenig zuständige Wirtschaftsministerium der CDU-Politikerin Katherina Reiche hatte da noch Fragen an das sehr zuständige Haus von Bundesarbeitsministerin Bas. "Dieser Referentenentwurf hat eine lange Vorgeschichte", sagt Bas nun auf Nachfrage, denn von sich aus kamen die Koalitionsvertreter nicht auf das Thema zu sprechen. Der Entwurf sei "auf Spitzenebene verhandelt", also unter Einbeziehung des Kanzlers, erinnert Bas. "Und insofern war ich jetzt überrascht, dass es noch ein paar rechtliche Rückfragen gibt." Kommende Woche will das Kabinett die Bürgergeldreform nun beschließen, dann aber wirklich - oder auch nur voraussichtlich.

Reiche durfte ihre Zweifel am Entwurf im Koalitionsausschuss höchstselbst vortragen, auch wenn sie diesem nicht angehört. Konkret geht es um die Frage, was unternommen werden muss, bevor einem Leistungsbezieher sämtliche Unterstützung gestrichen wird. Bas will verhindern, dass psychisch erkrankte Menschen auf der Straße landen, weil sie nicht in der Lage sind, Behördenbriefe zu öffnen und zu beantworten. Bas' Formulierung, sie sei "überrascht", darf guten Gewissens aus dem Koalitionsdeutsch in "genervt" übersetzt werden. Reiche und Bas bilden in der Koalition zwei Enden eines Spektrums: Erstere wird von Arbeitgeber-Vertretern freudig umarmt, zweitere von ihnen verlacht und beide wollen es genauso haben, weil es ihren politischen Überzeugungen entspricht.

Den innerkoalitionären Klassenkampf überbrückt der andere SPD-Vorsitzende, Bundesfinanzminister Klingbeil, mit einem Lob für die CDU-Ministerin. Er sei "sehr dankbar" für Reiches Vorarbeit in Sachen Industriestrompreis und Kraftwerkstrategie. Faktisch hinkt Reiche wie beim Heizungsgesetz auch hier ursprünglichen Zeitplänen hinterher, kann aber auf Probleme mit der EU-Kommission verweisen. Brüssel bremst umfassende staatliche Subventionen für Unternehmen und will diese zumindest mit einer verstärkten Dekarbonisierung der Subventionsempfänger verknüpft wissen. "Ich habe das Gefühl, wir sind da noch nicht final, aber wir sind auf einem sehr guten Weg", sagt Klingbeil mit Blick auf den Industriestrompreis. Erinnert an das Bürgergeld.

Söder stichelt und lobt, stichelt und lobt ...

Ebenfalls noch in diesem Jahr soll der Einsetzungsbeschluss zur Kommission für die Rentenreform erfolgen. Wer in dem Gremium sitzt, wird maßgeblich für die Reformvorschläge sein, die bis zum Sommer vorgelegt und noch 2026 in Gesetze gegossen werden sollen. Insofern wäre eine Einigung hier ein Indikator für das Funktionieren des Koalitionsgebildes. Wie schwierig das alles werden könnte mit der Rentenreform, zeigte sich auch am Auftritt von CSU-Chef und Bayern-Ministerpräsident Söder in der ntv-Sendung Frühstart. Eine nicht nur von der SPD geforderte Ausweitung der Einzahler in die Rentenkasse tat Söder als "Sozialismus" ab. Er forderte mehr private Altersvorsorge, die wiederum viele Sozialdemokraten skeptisch sehen.

Weil Söder aber beides kann - sich im Einzelgespräch von der Koalition absetzen und beim gemeinsamen Auftritt die Gemeinsamkeiten betonen - ist Söder auch der enthusiastischste Teilnehmer der Pressekonferenz am Morgen danach. "Intensiv und produktiv" habe man gearbeitet, der Ausschuss sei "immer wie ein Turbobeschleuniger" für noch nicht geeinte Themen. Er lobt dafür den Kanzler, lobt Bayern und die CSU, lobt Bundesfinanzminister Klingbeil für dessen Vorlage zur Anpassung des Länderfinanzausgleichs.

Letzteres ist ein Lob mit doppeltem Boden. Klingbeils Vorlage sei "wie besprochen, ohne jeden Trick". Der Vorwurf der Trickserei aus der Union gegen Bas' Rentenpaket hatte die Koalition noch in der vergangenen Woche an den Rand der Krise gebracht. Nur mit viel Mühe hatte die CDU ausreichend Stimmen für das gemeinsame Gesetz zusammenbekommen. "Das war schon eine Zitterpartie, da darf man sich nicht täuschen", erinnert Söder an den Showdown, wegen dem der Plan vom weihnachtlichen Koalitionsfrieden beinahe geplatzt wäre. Söder muss während seines Statements damit rechnen, keine der wenigen zugelassenen Journalistenfragen beantworten zu dürfen. Von sich aus erinnert er daran, was die anderen von CDU und SPD zuletzt nicht im Griff hatten.

Klingbeil erwartet "Auswirkungen zum Positiven"

Die Spitzen aus CSU und SPD sind in dem betont harmonischen Auftritt der vier Parteivorsitzenden nur unterschwellig zu vernehmen. Bundeskanzler Merz dürfte froh sein, dass am Ende jedes Koalitionsausschusses nicht auch noch ein Vertreter der CDU seinen Senf dazugeben muss. Merz ist schließlich Regierungs- und Parteichef, anders als Vorgänger Olaf Scholz, der in jeder Runde zwei sendungsbewusste SPD-Parteichefs neben sich hatte.

Und anders als Scholz muss Merz zumindest nicht so sehr am Willen seiner Koalitionspartner zweifeln, die Regierung zum Erfolg zu führen. "Ich finde, dass diese Koalition viel besser ist als ihr Ruf", sagt Söder. "Wir liefern eigentlich am laufenden Band. Die Gesetzesmaschine läuft und läuft." Und der SPD-Vorsitzende Klingbeil lobpreist: "Wir haben maßgeblich Weichen für dieses Land gestellt." Er sei sich sicher: "Nachdem wir in 2025 Weichen gestellt haben, wird man in 2026 auch viele dieser Auswirkungen zum Positiven spüren."

In der Wirtschaft haben sich diese Weichenstellung noch nicht rumgesprochen: Kurz nach der Pressekonferenz korrigierten mit dem Ifo-Institut die nächsten Ökonomen ihre Wachstumsprognose nach unten. Ein Wachstum des Bruttoinlandsprodukts von laut Ifo nur 0,8 Prozent entspricht 0,5 Prozentpunkten weniger, als die Herbstprognose von Wirtschaftsministerin Reiche erwartet hatte. Und es ist wenig für eine Regierung, die 2026 mit 180 Milliarden Euro Neuverschuldung die Binnenfrage ankurbeln wollte. Harmonische und kraftgebende Feiertage werden daher alle Beteiligten von Schwarz-Rot gebrauchen können vor ihrem zweiten Regierungsjahr. Es wird maximal fordernd.

Quelle: ntv.de

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