Aktivisten stürmen Botschaft in Berlin Moskau bleibt bei Syrien eisern
03.02.2012, 19:13 Uhr
Ein Junge auf einer Anti-Assad-Demo in Idlib.
(Foto: REUTERS)
Auch weitreichende Zugeständnisse bringen Russland nicht dazu, im Sicherheitsrat einem neuen Resolutionsentwurf zu Syrien zuzustimmen. Man habe weiter Bedenken, heißt es. Derweil stürmen Oppositionelle die syrische Botschaft in Berlin. Die Proteste in Syrien weiten sich in den bisher ruhigen Norden aus. Die Hamas-Führung verlässt das Land.
Russland lehnt auch den jüngsten Entwurf für eine UN-Resolution zum Syrien-Konflikt "in seiner jetzigen Form" ab. Zwar trage der von Marokko eingebrachte Entwurf einigen Bedenken Russlands Rechnung, sagte Vize-Außenminister Gennadi Gatilow laut der Nachrichtenagentur Interfax. Dennoch reichten die Zugeständnisse nicht aus, damit Moskau die Resolution mittragen könne. Bei landesweiten Protesten in Syrien wurden derweil Dutzende Menschen getötet. Zudem erreichen die gewaltsamen Unruhen nun auch immer mehr den bislang verhältnismäßig ruhigen Norden.
Gut zwei Dutzend Regimekritiker stürmten derweil nach Angaben der Polizei und von Augenzeugen die syrische Botschaft in Berlin. Sie drangen durch einen Hintereingang in das Gebäude ein und zerstörten nach eigenen Angaben Bilder von und dessen Vater Hafes. Aus zwei Fenstern im ersten Stock hängten sie eine Fahne des syrischen Widerstands und eine Fahne der syrischen Kurden. An das Hauptportal sprühten sie die Parole "Nieder mit Baschar". Nach gut 20 Minuten verließen die Eindringlinge die Botschaft wieder und versammelten sich vor dem Zaun zu einer Demonstration. Die Polizei nahm die Personen widerstandslos fest und entließ sie nach Feststellung ihrer Personalien wieder.
Ein Sprecher des Auswärtigen Amtes verurteilte den Vorfall "auf das Schärfste". Die Bundesregierung nehme ihre Verantwortung für die Sicherheit aller diplomatischen und konsularischen Vertretungen in Deutschland sehr ernst. "Übergriffe auf Botschaften und Konsulate müssen mit aller Konsequenz verfolgt werden", hieß es in einer Mitteilung. Der Nahost-Beauftragte des Auswärtigen Amtes habe mit dem syrischen Botschafter telefoniert und den Vorgang bedauert. Der Botschaft stellte nach Angaben der Polizei Strafantrag.
"Noch immer eine ganze Anzahl von Bedenken"
In dem neuen UN-Resolutionstext wird nicht mehr explizit der Rücktritt Assads gefordert. Auch Wirtschaftssanktionen und das Verbot von Waffenlieferungen wurden als Zugeständnis an Moskau, dem wichtigsten syrischen Waffenlieferanten, aus dem Entwurf gestrichen. In dem Entwurf steht aber noch, der Sicherheitsrat unterstütze die "Entscheidung der Arabischen Liga vom 22. Januar", mit der ein "von den Syrern selbst gestalteter poltischer Übergang" angestrebt wird.
"Wir haben noch immer eine ganze Anzahl von Bedenken", sagte Gatilow weiter. Bislang gebe es auch noch keinen "Vorschlag", wann über den Resolutionsentwurf abgestimmt werden solle. Die russische Delegation bleibe aber zu weiteren Verhandlungen bereit. Nach Angaben von Diplomaten könnte der Entwurf am Montag im UN-Sicherheitsrat zur Abstimmung gestellt werden. Gatilow ließ offen, ob Russland ein Veto einlegen und die Resolution damit stoppen oder sich bei einer Abstimmung lediglich enthalten würde. Bundesaußenminister Guido Westerwelle forderte eine rasche Einigung im Sicherheitsrat. Er äußerte die Hoffnung, dass die Gespräche auf der Münchner Sicherheitskonferenz vorangebracht werden könnten.
Seit Monaten verweisen westliche Regierungen auf die Dringlichkeit einer Beschlussfassung, weil in dem Konflikt in Syrien täglich zahlreiche Menschen getötet werden. Gleichzeitig bot sich Moskau als Gastgeber von Vermittlungsgesprächen unter Beteiligung der Arabischen Liga an, . Sie beobachtet auch die Beratungen über eine Syrien-Resolution mit Ärger und Sorge. Die syrischen Muslimbrüder erklärten, ein russisches Veto gegen eine Resolution, die das Regime verurteilt und den Schutz der Zivilisten mit allen Mitteln fordert, wäre immer noch besser als eine völlig zahnlose Resolution, die von Moskau mitgetragen werde.
Proteste weiten sich aus
Derweil wird der Kreis der Unterstützer Assads immer kleiner. Nun kam es auch in der Provinz Aleppo nach Angaben von Aktivisten zu gewaltsamen Zusammenstößen zwischen Oppositionellen und Regierungstruppen, bei denen acht Zivilisten getötet wurden. Bisher hatte es in der Stadt kaum Proteste gegen Assad gegeben. Arabische Fernsehsender strahlten ein Video aus, das ihren Angaben zufolge eine Gruppe von Deserteuren aus Aleppo zeigt. Ihr Anführer erklärt, die Truppen des Regimes seien für ihn und seine Männer ein legitimes Angriffsziel.
Die Oppositionelle Suhair al-Atassi sagte dem Nachrichtensender Al-Arabija, inzwischen seien auch einige hochrangige Funktionäre des Regimes aus der alawitischen Minderheit bereit, sich der Revolution anzuschließen. Sie forderten aber Garantien, weil sie Angst um ihr Leben und um ihre Familien hätten. Der Assad-Clan gehört zur religiösen Minderheit der Alawiten, aus deren Reihen sich die gefürchteten regimetreuen Schabiha-Milizen rekrutieren.
In der Provinz Daraa töteten Deserteure nach Informationen der Organisation Syrischer Menschenrechtsbeobachter acht Soldaten. Landesweit seien insgesamt 28 Zivilisten getötet worden, meldeten Aktivisten. Die staatliche Nachrichtenagentur Sana berichtete, in der Provinz Idlib seien zwei Jungen im Alter von 12 und 14 Jahren ums Leben gekommen, als "bewaffnete Terroristen" eine ferngezündete Bombe zur Explosion brachten. Seit Beginn der Proteste gegen Assad im März 2011 sollen zwischen 5600 und 6700 Menschen getötet worden sein.
Kinder gezielt verschleppt oder erschossen
Die Menschenrechtsorganisation Human Rights Watch warf den syrischen Sicherheitskräften unterdessen vor, zur Einschüchterung der Opposition gezielt Kinder zu verschleppen, zu foltern und zu erschießen. Aus dem vergangenen Jahr seien mindestens zwölf derartige Fälle bekannt. Mehrere Kinder, zum Teil nicht älter als 13 Jahre, seien eingesperrt, geschlagen und mit glühenden Zigaretten und Elektroschocks gequält worden.
Ein palästinensischer Funktionär berichtete derweil, die komplette Exil-Führung der Hamas-Bewegung habe Damaskus in den vergangenen zwei Wochen verlassen. Politbüro-Chef Chalid Meschaal habe sich in Katar niedergelassen. Die restlichen Spitzenfunktionäre der radikal-islamischen Bewegung, die den Gazastreifen kontrolliert, setzten sich seinen Angaben zufolge nach Jordanien und Ägypten ab. Er betonte, König Abdullah II. von Jordanien habe, bevor er die Hamas-Funktionäre aufgenommen habe, Rücksprache mit Washington gehalten.
Die syrische Führung unter Präsident Baschar al-Assad hatte in den vergangenen Jahrzehnten mehreren radikalen Palästinenserbewegungen Unterschlupf geboten. Dadurch sicherte sich das Regime Einfluss im Nahost-Konflikt. Seit Beginn des Aufstandes gegen Assad geriet die Hamas-Führung in Damaskus jedoch in eine Zwickmühle. Denn auf der einen Seite forderte das syrische Regime, das mit brutaler Gewalt gegen Regimegegner vorgeht, öffentliche Loyalitätsbekundungen von der Hamas. Auf der anderen Seite riefen Saudi-Arabien, Katar und die syrischen Muslimbrüder die Hamas dazu auf, sich von Assad zu distanzieren.
Quelle: ntv.de, mli/AFP/dpa/rts