Und wieder jubeln die Piraten Nach der Party wartet Arbeit
26.03.2012, 16:36 Uhr
7,4 Prozent - das muss den Piraten erst einmal jemand nachmachen.
(Foto: dpa)
Bei der Wahl im Saarland gelingt den Piraten erneut der große Coup. Mit 7,4 Prozent ziehen die politischen Freibeuter in die Volksvertretung von Saarbrücken ein. Die Botschaft, die davon ausgeht, lautet: Die junge Truppe ist gekommen, um zu bleiben. Doch ganz so einfach dürfte das für die Partei nicht werden.
Das war für Landeschefin Jasmin Maurer zu viel. Nachdem die junge Politikerin von der noch jüngeren Piratenpartei erfuhr, dass ihr und ihren Mitstreitern im Saarland aus dem Stand 7,4 Prozent gelungen sind, fordert der Körper seinen Tribut. In den TV-Interviewrunden der Spitzenkandidaten fehlt die 22-Jährige am Wahlabend. Der Grund: "Der Kreislauf war gestern weg… zu viel Aufregung, zu wenig getrunken vor Stress und dann die Hitze", erläutert Maurer via Twitter.
Tatsächlich ist verständlich, dass Maurers Körper schlapp machte. Erst seit drei Jahren gibt es die Piraten im Saarland, nach dem Bruch der Jamaika-Koalition musste auf die Schnelle eine Wahlkampagne aus der Taufe gehoben werden – eine Herausforderung, die alle betraf, die für eine organisatorisch noch schwach aufgestellte Partei wie die Piraten aber noch größer war. In einigen Gebieten mussten im Januar und Februar sogar erst noch hastig Kreisverbände gegründet werden.
Saarbrücken ist eben doch wie Berlin
Und kaum jemand hat den Wahlkampf erfolgreicher hinbekommen als die Piraten. Dabei hatten ihnen das viele nicht zugetraut. Auch wenn die Piraten in Umfragen schon seit längerem im Saarland über den wichtigen fünf Prozent lagen, hieß es oft: Der Erfolg, den die Piraten im Herbst 2011 in Berlin errungen haben, ist einzigartig. Zu urban das Profil der Piraten, zu provinziell dagegen das Saarland.
Die Piraten haben ihre Kritiker Lügen gestraft. "Das Ergebnis im Saarland hat gezeigt, dass es nicht nur in Berlin funktioniert", sagt Torge Schmidt, Spitzenkandidat der Piraten in Schleswig-Holstein, wo die Chancen Anfang Mai schon wieder gut stehen, dass die Polit-Freibeuter das Parlament erobern – ebenso wie eine Woche später in Nordrhein-Westfalen.
Doch wie kommt der Erfolg auch in der Provinz zustande? "Die Piraten haben im Saarland eigentlich kein genuines Wählermilieu", sagt Parteienexperte Uwe Jun von der Universität Trier n-tv.de. Sehr nützlich sei jedoch die mediale Aufmerksamkeit der vergangenen Wochen und Monate gewesen. Dadurch hätten die Piraten ihren eigentlichen Trumpf kultivieren können: ihre Andersartigkeit. "Das spricht vor allen Dingen jüngere Wähler an und Menschen, die sich von der etablierten Politik abgewandt haben", erklärt Jun. "Die haben jetzt eine Alternative, die ideologisch nicht so stark festgelegt ist und eine gute Chance hat, über die Fünf-Prozent-Hürde zu kommen."
Im Alltag muss sich die Piratenpartei noch beweisen
Die Piraten bieten jungen Menschen also das Gefühl mitmachen und mitbestimmen zu können. Während sich in den Volksparteien junge Politiker jahrelang durch die Hierarchien kämpfen müssen, sind Spitzenkandidaten mit Anfang 20 bei den Piraten wie selbstverständlich möglich. "Viele sind im Moment bei den Piraten engagiert, weil sie etwas Eigenes aufbauen wollen. Und die Partei ermöglicht ihnen das."
Tatsächlich: Unter den Erstwählern haben 23 Prozent im Saarland Piraten gewählt. Die Gruppe der Nichtwähler ist im Saarland weiter gewachsen. Die einzige politische Kraft, die laut Analysen aus einigen von ihnen wieder Wähler gemacht hat, waren die Piraten. Das macht Mut. Und den wird die noch junge Truppe in der Zukunft noch brauchen. Denn etabliert sind die Piraten trotz des Erfolgs im Saarland noch lange nicht.
Auf dem Weg dorthin wird es schwierig werden, das gewonnene Vertrauen nicht wieder zu verlieren. "Die Politikroutine wird die Piraten bald einholen", sagt Jun. Um das Problem zu verstehen, genügt ein Blick auf die Vergangenheit der Grünen. Auch die Ökopartei war in den 80er Jahren beseelt von Basisdemokratie und Mitbestimmung – wie die Piraten. Auch die Grünen stürzten sich auf bis dahin unbesetzte Themen – wie die Piraten.
Piratenerfolg weckt Etablierte auf
Und heute? Die Grünen sind zwar aus dem Parteienspektrum nicht mehr wegzudenken, haben dabei ihre radikale Partizipationsprogrammatik aber nicht aufrechterhalten können. Viele haben das den einst so Andersartigen krumm genommen und sich in den ersten Jahren abgewandt. Noch dringlicher wurde eine zentralisiertere Form der Entscheidungsfindung, als die Grünen in Regierungen kamen. Damals erlebte die Partei ihre zweite große Zerreißprobe.
Die Grünen litten unter einem weiteren Phänomen, das auch die Piraten noch zu spüren bekommen werden. Ihre Kernthesen vertreten sie heute nicht mehr exklusiv. Schwarz-Gelb beschloss einen Atomausstieg und diskutiert über Frauenquoten. Wenn die Etablierten klug sind, stürzen sie sich auch bald auf die Themen, die die Piraten bisher ohne ernstliche Konkurrenz besetzen. Und dann muss im Detail ausdebattiert werden, wer die besseren Lösungen anzubieten hat.
Darin erkennt Politikwissenschaftler Jun neue Probleme: "Es wird für die Piraten schwieriger, sich zu etablieren, als für die Grünen, weil sie keine stark mobilisierungsfähigen Konfliktthemen besetzen. Transparenz und Freiheit in der digitalen Demokratie sind etwa längst nicht so zugkräftig wie Ökologie, Frieden und Emanzipation", ist sich der Wissenschaftler sicher.
Wie aus den Piraten mehr als ein Trend wird
Sollen der Erfolg und damit die Partei selbst bleiben, müssen die Piraten eine Menge Arbeit erledigen: "Sie müssen sich jetzt erst einmal konsolidieren, mit den Erfolgen umzugehen lernen, die Partei organisieren. Und sie müssen vor allen Dingen versuchen, zu anderen Themen als den ihnen unmittelbar nahestehenden Positionen finden." Diese Aufgaben haben die Piraten selbst zwar bereits wahrgenommen. Doch gelöst sind sie noch lange nicht.
Nach Ansicht des Trendforschers Holm Friebe punktet die erst 2006 gegründete Partei derzeit noch weniger mit Inhalten als mit ihrer Ausstrahlung. "Die Inhalte der Piraten sind kaum erkennbar jenseits der Internetpolitik", sagte Friebe. Eine Chance für die Piraten, ihren Markenkern auszubauen, sieht Friebe bei liberalen Themen, etwa dem Einsatz für Bürgerrechte und dem Verhältnis von Bürgern und Staat - eine Nische, die einst die FDP besetzt habe.
Und die reagiert auffallend schrill auf ihren eigenen Abstieg, bei dem sie die Piraten an sich vorüberziehen sieht. Wohl aus Neid vor der breiten Internetbasis der Piraten versteigt sich FDP-Generalsekretär Patrick Döring am Tag nach der Saar-Wahl zu der Aussage, die Piraten symbolisieren die "Tyrannei der Masse". Wenn die etablierten Parteien die Wähler der Piraten zurückgewinnen wollen, gibt es viele Ansatzpunkte. Solche Anfeindungen gehören allerdings wohl nicht dazu.
Quelle: ntv.de, mit AFP/dpa