"Mufti stiftete Hitler an" Netanjahu irritiert mit Holocaust-Aussage
21.10.2015, 12:52 Uhr
Geschichtsstunde à la Netanjahu: Hitler habe zunächst nur die Vertreibung der Juden aus Europa geplant. Das sei einem palästinensischen Mufti nicht recht gewesen.
(Foto: imago/UPI Photo)
In der offiziellen Geschichtsschreibung war die Judenvernichtung eine Idee der Nazis. Der israelische Regierungschef gibt eine andere Version zum Besten. Dafür erntet er Kritik und Widerspruch von allen Seiten - auch die Bundesregierung reagiert.
Regierungschef Benjamin Netanjahu hat in Israel mit der Behauptung Kritik ausgelöst, NS-Diktator Adolf Hitler habe zunächst nur eine Vertreibung und keine Massenvernichtung der Juden geplant. Israelische Medien berichten, Netanjahu habe während einer Ansprache vor Delegierten des Internationalen Zionistenkongresses in Jerusalem gesagt, der palästinensische Mufti von Jerusalem, Amin al-Husseini, habe Hitler erst zur systematischen Judenvernichtung angestiftet.
"Hitler wollte die Juden zu dem Zeitpunkt nicht vernichten, sondern ausweisen", sagte Netanjahu laut einer Mitschrift seines Büros. "Und Amin al-Husseini ging zu Hitler und sagte: "Wenn Sie sie vertreiben, kommen sie alle hierher. 'Also, was soll ich mit ihnen tun?, fragte er (Hitler). Er (Al-Husseini) sagte: 'Verbrennt sie.'"
Auch der Mufti habe den Juden damals fälschlich vorgeworfen, sie wollten die Al-Aksa-Moschee auf dem Tempelberg zerstören, sagte Netanjahu in Bezug auf den jüngsten Streit mit der Palästinenserführung. Palästina wurde damals noch von der britischen Mandatsmacht verwaltet, die eine Einwanderung von Juden einschränkte. Im Kampf gegen die Juden hatte Al-Husseini mit Hitler zusammengearbeitet und ihn 1941 in Berlin getroffen.
Seibert: "Wir wissen um ureigene deutsche Verantwortung"
Kurz vor dem Besuch von Netanjahu in Berlin hat sich die Bundesregierung zu der deutschen Verantwortung für den Holocaust bekannt - und damit indirekt dem israelischen Ministerpräsidenten widersprochen. "Wir wissen um die ureigene deutsche Verantwortung an diesem Menschheitsverbrechen. Ich sehe keinen Grund, dass wir unser Geschichtsbild in irgendeiner Weise ändern", sagte Regierungssprecher Steffen Seibert.
Seibert wollte zwar nicht direkt auf die Äußerung von Netanjahu eingehen. Er betonte aber, dass die Deutschen die Entstehungsgeschichte des mörderischen Rassenwahns der Nationalsozialisten selbst sehr genau kennen.
Netanjahu trifft sich am Mittwochabend mit Bundeskanzlerin Angela Merkel. Thema soll unter anderem der seit Jahren stagnierende Friedensprozess zwischen Israel und den Palästinensern und die jüngste Eskalation der Gewalt in Israel sein.
Vorwurf der Geschichtsverdrehung
Israelische Oppositionspolitiker und Historiker warfen Netanjahu umgehend die Verdrehung historischer Tatsachen vor. Palästinenserpräsident Mahmud Abbas sagte nach einem Treffen mit UN-Generalsekretär Ban Ki Moon in Ramallah: "Netanjahu hat Hitler von seinen Verbrechen freigesprochen und die Schuld auf Amin al-Husseini abgeschoben. Auf diese Weise will er unser Volk auf eine sehr erbärmliche Weise angreifen."
Kritik kam auch vom israelischen Verteidigungsminister Mosche Yaalon. Husseini habe nicht die sogenannte Endlösung erfunden. "Das war die teuflische Idee von Hitler selbst", sagte er im Armee-Rundfunk.
Netanjahu hat inzwischen auf die Kritik an seiner Aussage reagiert. Er sagte dazu vor seiner Abreise nach Berlin, er habe keinesfalls die Absicht, Hitler von seiner satanischen Verantwortung für die Vernichtung der europäischen Juden freizusprechen.
Hitler sei verantwortlich für die Vernichtung von sechs Millionen Juden, "er hat die Entscheidung getroffen". Es sei jedoch "ebenso absurd, die Rolle des Mufti Amin al-Husseini zu ignorieren, eines Kriegsverbrechers, der Hitler, Ribbentrop, Himmler und andere zur Vernichtung der Juden Europas ermutigt hat".
Quelle: ntv.de, nsc/dpa/rts