Einschnitt im NSU-Prozess? Neuer Verteidiger verwandelt Zschäpe
07.07.2015, 15:34 Uhr
Grasel bekommt eine Woche Einarbeitungsszeit.
(Foto: dpa)
Von vier Anwälten wird Beate Zschäpe ab sofort verteidigt. Doch scheint der junge Münchner Anwalt Mathias Grasel zur mutmaßlichen Rechtsterroristin einen ganz besonderen Draht zu haben.
Beate Zschäpe plaudert ohne Unterlass. Vor der Verhandlung, in einer Pause, am Ende des Prozesstages: Ununterbrochen spricht die Hauptangeklagte des NSU-Prozesses mit ihrem neuen Verteidiger Mathias Grasel, immer dem jungen Rechtsanwalt zugewandt, wiederholt mit einem freundlichen Lächeln. Im Vergleich zu den vergangenen Prozesswochen scheint die 40-Jährige wie ausgewechselt. Die Frage ist nun, ob sie sich nur für ihren neuen Verteidiger öffnet oder ihr Schweigen ganz beendet.
Dass Grasel an der Seite Zschäpes sitzt, ist ein Zugeständnis des Vorsitzenden Richters Manfred Götzl an die mutmaßliche Rechtsterroristin. Eigentlich wäre ein vierter vom Staat bezahlter Verteidiger nach über zwei Jahren Prozessdauer und bereits 215 Prozesstagen nicht notwendig.
Doch Zschäpe hat sich - warum auch immer - total von ihren bisherigen Verteidigern Wolfgang Stahl, Wolfgang Heer und Anja Sturm entfremdet. Hatte sie auch mit ihnen zu Beginn des Verfahrens vor gut zwei Jahren noch freundlich geplaudert, ignoriert sie sie seit längerem eisig: Zuletzt grüßte sie nicht mal mehr beim Hereinkommen ins Gericht.
Großer Redebedarf
Ganz anders dagegen ihr Umgang mit dem in München arbeitenden, erst 30 Jahre alten Grasel. Wie zwei seit langem Vertraute stecken sie immer wieder die Köpfe zusammen. Ein triumphierendes Lächeln umspielt Zschäpes Lippen, als ihr neuer Rechtsbeistand einen ersten Teilerfolg erringt. Auf seinen Antrag hin setzt das Gericht die Prozesstage dieser Woche und jeweils einen Tag in den folgenden beiden Wochen ab, damit Grasel sich in das Verfahren einarbeiten kann. Die Ankläger der Bundesanwaltschaft hatten eine Pause als unnötig abgelehnt.
Erst am kommenden Dienstag wird der Prozess nun fortgesetzt. Die der Beihilfe zu den zehn Morden, die dem rechtsextremen Nationalsozialistischen Untergrund (NSU) vorgeworfen werden, sowie weiterer Taten angeklagte Zschäpe hatte zuletzt den Eindruck erweckt, durch ihre angeschlagene Psyche könnte der Prozess ins Wanken geraten.
Das Gericht reduzierte bereits die Zahl der wöchentlichen Verhandlungstage, Zschäpe darf auch nicht mehr jeden Tag fotografiert werden. Und die Kammer lehnte zwar die von Zschäpe geforderte Abberufung ihrer Verteidigerin Anja Sturm ab - mit der Berufung Grasels ging die Kammer aber doch auf die Angeklagte zu.
Arbeit an der Verteidungsstrategie
Ob Zschäpe nun ihr in einem Brief an Richter Götzl formuliertes Versprechen einlöst, bei einer Veränderung in den Reihen ihrer Verteidigern "etwas" sagen zu wollen? Grasel will sich vorerst nicht zu einer möglicherweise neuen Verteidigerstrategie äußern. "Dazu kann ich nichts sagen."
Anders als das aus erfahrenen Anwälten bestehende bisherige Verteidiger-Trio ist Grasel ein Justiz-Neuling. Der am Bodensee aufgewachsene Rechtsanwalt hat erst seit 2011 seine Zulassung. Seit 2013 ist er Fachanwalt für Strafrecht. Eine eigene Kanzlei, für die er sich die Räume mit anderen Rechtsanwälten teilt, führt er seit dem vergangenen Jahr.
Wie Grasel sagt, brachte ihn einer der Rechtsanwälte aus dieser Kanzleigemeinschaft in Kontakt zu Zschäpe. Der Kontakt intensivierte sich, Grasel besuchte Zschäpe auch im Gefängnis. Dabei scheint ein Vertrauensverhältnis entstanden zu sein. Zschäpe habe ihn selbst gebeten, die Verteidigung zu übernehmen, so Grasel.
Was die von manchen als manipulativ beschriebene Zschäpe damit bezweckt, dürfte sich schon bald zeigen. Entweder sie versucht, den unerfahrenen Juristen als eine Art Marionette zu nutzen, die mehr als ihre bisherigen Verteidiger nach ihren Vorstellungen arbeitet. Oder aber es erfüllt sich die von manchen Rechtsanwälten der Angehörigen der NSU-Opfer am Dienstag geäußerte Hoffnung: Dass Zschäpes Schweigen im Prozess endet.
Quelle: ntv.de, Ralf Isermann, AFP