Politik

SPD-Vize Schwesig im Interview "Nicht auf Sarrazin reduzieren lassen"

Stört sich an der Diskussion um Sarrazin: Die stellvertretende SPD-Vorsitzende Schwesig.

Stört sich an der Diskussion um Sarrazin: Die stellvertretende SPD-Vorsitzende Schwesig.

(Foto: dapd)

SPD-Vize Schwesig warnt ihre Partei im Interview mit n-tv.de davor, das Thema Integration nur auf den Umgang mit Sarrazin zu reduzieren. Die Entscheidung ihn nicht rauszuwerfen, habe aber nichts mit Rücksicht auf Sarrazins Anhänger zu tun. Damit die SPD wieder aus dem Umfragetief kommt, fordert Schwesig eine Besinnung auf das Kernthema Soziale Gerechtigkeit.

n-tv.de: Prominente Parteiaustritte und Kritik aus weiten Teilen der Partei: Dass Thilo Sarrazin in der SPD bleiben darf, sorgt für erheblichen Unmut. War die Entscheidung wirklich ein "kluger Weg", wie Generalsekretärin Andrea Nahles sagt?

Manuela Schwesig: Ich respektiere die Entscheidung, die aufgrund der Initiative der unabhängigen Schiedskommission von allen beteiligten Antragsstellern getroffen wurde.

Kritisiert wird vor allem der "Zickzackkurs" der SPD-Spitze: Erst will Parteichef Sigmar Gabriel Sarrazin "rausschmeißen", nun geben Sie sich mit seiner Absichtserklärung zufrieden. Können Sie nicht verstehen, dass einige Genossen Probleme haben, diesen Kursschwenk nachzuvollziehen?

Sarrazins Verbleib in der SPD spaltet die Partei.

Sarrazins Verbleib in der SPD spaltet die Partei.

(Foto: dpa)

Ich kann verstehen, dass das Ergebnis zu Diskussionen führt, so wie Sarrazins Äußerungen immer wieder zu Diskussionen geführt haben. Und zwar auf beiden Seiten - bei Gegnern wie Befürwortern. Aber die Diskussion darf nicht dazu führen, dass wir uns bei der Frage, wie die SPD zu Integration und Solidarität steht, nur auf den Umgang mit Sarrazin reduzieren lassen. Das würde davon ablenken, dass die SPD die richtigen politischen Antworten hat: Etwa die frühzeitige Integration von Kindern durch Ganztags-Kitas oder eine Sprachförderung ohne Vorbedingungen. Mich stört, dass, wenn es um Integration geht, nur noch über Sarrazin diskutiert wird, und nicht mehr darum, was eigentlich gut ist für Integration und was die SPD zu bieten hat.

Dazu hat das Ausschlussverfahren sicherlich mit beigetragen. War das Verfahren ein Fehler?

Nein.

Ist es nicht aber ein fatales Signal, dass Sie als Partei mit dieser Entscheidung senden, in der sich sozial Schwache und Migranten zuhause fühlen sollen? Dass nämlich angesichts von Wahlen Sarrazins Anhänger wichtiger scheinen, als die Rücksicht auf Zuwanderer.

Die Entscheidung hat nichts mit Rücksichtnahme auf Zielgruppen zu tun, sondern wurde in einem Schiedsverfahren, der eine unabhängige Kommission vorsteht, gefällt. Und wie stark sich die SPD für sozial Schwache und Menschen einsetzt, die noch nicht ausreichend integriert, sondern derzeit eher diskriminiert sind, zeigt sich an unserem politischen Handeln. Zum Beispiel haben wir als Land Mecklenburg-Vorpommern eine Bundesratsinitiative gestartet, damit jüdische Holocaust-Überlebende nicht mehr nur von Sozialhilfe leben müssen, sondern eine Opferrente bekommen. Das haben die CDU-Länder in Teilen abgelehnt. Darüber hätte ich mir eine öffentliche Diskussion gewünscht.

Wofür steht die SPD? Schwesig fordert eine Konzentration auf die Kernkompetenz soziale Gerechtigkeit.

Wofür steht die SPD? Schwesig fordert eine Konzentration auf die Kernkompetenz soziale Gerechtigkeit.

(Foto: picture-alliance/ dpa/dpaweb)

Unabhängig von der Sarrazin-Debatte kommt die SPD nicht aus dem Umfragetief. Gabriel ist 2009 mit dem Versprechen angetreten, die Partei wieder aus dem Keller zu holen und zu einer echten Volkspartei zu machen. Danach sieht es allerdings nicht aus, das desaströse Ergebnis von 23 Prozent wird derzeit von Umfragen sogar noch unterboten. Ist Gabriel gescheitert?

Nein. Umfragen sind Momentaufnahmen und zeigen, dass es mal hoch und mal runter geht für die SPD. Das hängt stark von den aktuellen politischen Themen ab. Derzeit puscht das Thema Atompolitik die Grünen besonders stark. Deshalb ist es wichtig, dass die SPD weiterhin einen langen Atem beweist. Wir legen eben keine kurzen Sprints ein, sondern treten zum Marathon an, bei dem wir auf unsere Kernthemen setzen. Das ist vor allem die soziale Gerechtigkeit, etwa wie es weitergeht mit der Gesundheitsversorgung der Menschen, der Pflege und wie Familienpolitik auszusehen hat. Diese Themen mögen aktuell zwar nicht jeden Tag in den Medien eine große Rolle spielen, aber die Menschen wollen Antworten auf diese Fragen haben, weil sie merken, dass die soziale Sicherheit in Gefahr ist.

Sie haben zum Beispiel kürzlich Ihr Konzept für eine Bürgerversicherung vorgestellt. Die Reaktionen darauf zeigen allerdings, dass Sie mit solchen Themen nicht erfolgreich durchdringen.

Das wird sich noch zeigen. Unsere Kernkompetenz liegt darin, Antworten darauf zu geben, wie in einer solidarischen Gesellschaft jeder am Fortschritt teilhaben kann. Dazu gehört die Gesundheitsversorgung oder die Rentensicherheit. Diese Themen mögen vielleicht kurzfristig nicht so hipp und sexy daherkommen, wie der Ausstieg aus der Atomkraft. Aber ich bin mir sicher, dass sie wieder Konjunktur haben werden. Und dann hat die SPD klare und realisische Antworten auf diese grundlegenden Fragen

Die schlechten Umfragewerte der SPD resultieren also vor allem aus der Dominanz des Themas Atomkraft und dem Auftrieb, den die Grünen damit bekommen? Oder wo liegen Ihrer Ansicht nach die Ursachen dafür, dass die SPD für so wenige Wähler attraktiv ist?

So schlecht ist die Mehrzahl unserer Umfragewerte nicht, wenn man bedenkt, wo wir bei der Bundestagswahl standen. Wir bauen uns schrittweise wieder auf. Es braucht Zeit, Vertrauen zurück zu gewinnen. Die Hartz-IV-Verhandlungen haben beispielsweise gezeigt, dass wir in unseren Kernkompetenzen profitieren können. Wenn wir noch deutlicher klar machen, dass die SPD für ökonomische Vernunft und soziale Gerechtigkeit steht, werden wir unseren Weg erfolgreich weitergehen.

Unter Druck: Gabriel und Steinmeier müssen den Kurs der SPD einmal mehr erklären.

Unter Druck: Gabriel und Steinmeier müssen den Kurs der SPD einmal mehr erklären.

(Foto: dpa)

Welche Verantwortung trägt das Führungspersonal der SPD für die Misere? Ihr Parteichef wurde als Ministerpräsident abgewählt, Fraktionschef Frank-Walter Steinmeier hat 2009 das schlechteste Ergebnis aller Zeiten für die SPD geholt und ist zudem maßgeblich für die Hartz-IV-Reform verantwortlich.

Wir alle tragen gemeinsam Verantwortung für die SPD. Wir würden es uns deshalb zu einfach machen, das auf einzelne Personen zu reduzieren. Nur wenn die Partei zusammenhält, werden sich die Umfragen weiter verbessern.

Wäre nicht aber jemand wie der ehemalige Finanzminister Peer Steinbrück eine Person, die an prominenter Stelle in der SPD durch sein hohes Ansehen in der Bevölkerung der Partei wieder mehr Glaubwürdigkeit und Zustimmung verschaffen könnte?

Wir brauchen keine Personaldiskussionen in der SPD. Sie würden nur dazu führen, dass wir mehr Vertrauen verlieren als gewinnen.

Die Grünen liegen aktuell in Umfragen vor der SPD. Sollte es 2013 nur unter einem grünen Kanzlerkandidaten zur Ablösung von Schwarz-Gelb reichen, wird die SPD dann Juniorpartner?

In der Mehrheit der Umfragen liegen wir vor den Grünen. Deshalb müssen wir uns darüber derzeit wirklich keine Gedanken machen.

Sie selbst müssen Anfang September in Mecklenburg-Vorpommern Landtagswahlen bestreiten. Fürchten Sie angesichts der Krise der Bundes-SPD als Landesregierung abgestraft zu werden?

Die Bundes-SPD ist in keiner Krise, sondern dabei sich zu stabilisieren. Ich bin mir sicher, den Menschen ist das Thema soziale Gerechtigkeit so wichtig, dass sie bis zur nächsten Bundestagswahl wieder den Weg zur SPD finden werden. Was Mecklenburg-Vorpommern angeht: Die aktuellen Umfragen zeigen, dass die SPD stärkste Partei ist und im Vergleich mit der Landtagswahl 2006 sogar noch zugelegt hat. Das macht uns zwar nicht übermütig, aber da spüren wir deutlichen Rückenwind, dass wir die Wahlen 2011 gewinnen werden und Erwin Sellering Ministerpräsident bleibt.

Mit Manuela Schwesig sprach Till Schwarze

Quelle: ntv.de

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