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Fahrplan aus der Haushaltskrise Nichts Genaues weiß die Ampel nicht

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Haben weiterhin vieles zu klären: Habeck, Scholz und Lindner.

Haben weiterhin vieles zu klären: Habeck, Scholz und Lindner.

(Foto: picture alliance/dpa)

An diesem Dienstag will sich Kanzler Scholz im Bundestag zur Haushaltskrise erklären. Doch eine Lösung wird er nicht präsentieren können. Noch ist die Koalition einer Einigung fern, vielmehr braut sich ein massiver Konflikt zwischen SPD und Grünen einerseits und FDP andererseits zusammen.

Erst dröhnendes Schweigen, dann am vergangenen Freitag eine kurze Videobotschaft und am Dienstag eine Regierungserklärung im Bundestag: Bundeskanzler Olaf Scholz fährt seine Kommunikation zur schweren Haushaltskrise der Ampel in kleinen Schritten hoch. Anzuzweifeln ist, ob es für die Bürgerinnen und Bürger mehr zu erfahren gibt, nur weil der Regierungschef mehr redet. Fast zwei Wochen nach dem verheerenden Urteil des Bundesverfassungsgerichts zur Einhaltung der Schuldenbremse gibt es in der Ampel weiterhin keinen Plan dafür, wie die nunmehr im Klima- und Transformationsfonds (KTF) fehlenden 60 Milliarden Euro für Klimaprojekte und Investitionen in die Wirtschaft zu kompensieren sind. Für die kommenden beiden Jahre fehlen jeweils 15 bis 20 Milliarden Euro.

Seit Freitag ist lediglich geklärt, wie die Bundesregierung mit jenem Sondervermögen umgehen kann, mit dem sich die Karlsruher Richter gar nicht direkt beschäftigt hatten: dem Wirtschaftsstabilisierungsfonds (WSF), der unter anderem die Strom- und Gaspreisbremsen finanziert. Dieser ist nach einhelliger Einschätzung nach dem Urteil ebenfalls nicht verfassungsgemäß. Bundesfinanzminister Christian Lindner hat den WSF deshalb geschlossen und löst ihn zum Jahresende auf. Das Vermögen darin stammt aus Krediten, die im Jahr 2022 aufgenommen worden waren, um die Folgen der Gaspreiskrise im Zusammenhang mit Russlands Angriff auf die Ukraine abzufedern.

Uneinigkeit über Aus der Energiepreisbremse

Die Bundesregierung will nun in einem Nachtragshaushalt für das laufende Jahr, der diese Woche den Bundestag erreichen soll, erneut eine Notlage feststellen lassen. So will sie im laufenden Jahr neue Kredite aufnehmen, um die Ausgaben für die Strom- und Gaspreisbremse 2023 zu finanzieren. Das ergibt sich aus dem Urteil, das besagt: Unter Ausnahme der Schuldenbremse aufgenommene Kredite müssen auch im selben Jahr verausgabt werden. Angesichts der nachgelassenen Strom- und Gaspreise will Lindner die entsprechenden Hilfen mit Jahresfrist auslaufen lassen. Das aber ist aus Sicht von SPD-Generalsekretär Kevin Kühnert und der Grünen-Vorsitzenden Ricarda Lang noch nicht ausgemacht, denn ursprünglich wollte sich die Ampel die Hilfen bis März 2024 als Instrument vorbehalten.

Der Konflikt um den Fortbestand der Energiepreisbremse verweist auf die Frage, wie nun die Ampel die KTF-Vorhaben 2024 und 2025 finanzieren will. Aus der SPD kommt die Forderung, auch im kommenden Jahr und womöglich gar in übernächsten Jahr eine Notlage festzustellen, um mittels neuer Kredite den KTF für das jeweilige Jahr auffüllen zu können. Wenn Lindner feststellt, dass die Begründung der Notlage aus dem Jahr 2022 auch 2023 galt, angesichts der gesunkenen Energiepreise fortan aber nicht mehr gegeben ist, durchkreuzt der FDP-Chef das Ansinnen seiner Koalitionspartner im Bund. "Die Schuldenbremse muss eingehalten werden", sagte passend dazu FDP-Generalsekretär Bijan Djir-Sarai im ZDF.

Möglich wäre, dass die Bundesregierung in einer Feststellung der Notlage stattdessen auf den Krieg in der Ukraine verweist. Die Unterstützung des von Russland angegriffenen Landes schlägt im kommenden Haushalt mit acht Milliarden Euro zu Buche, bis zum Sommer gab die Bundesrepublik 22 Milliarden Euro für die Unterstützung des angegriffenen Landes aus. SPD-Fraktionschef Rolf Mützenich sieht in dieser Situation eine Notlage für das kommende Jahr begründet. Der christdemokratische Ministerpräsident von Sachsen-Anhalt, Reiner Haseloff, äußerte sich am Sonntagabend ähnlich in der Talkshow von Anne Will.

Länder fordern Verlässlichkeit

Was der CDU-Politiker mit der Ampel gemein hat: Er hat ein großes Interesse an einer Kompensation der KTF-Milliarden, nicht zuletzt, weil dieser zehn Milliarden Euro für die Ansiedelung einer Chipfabrik des US-Herstellers Intel in Magdeburg zuschießen soll. Weitere fünf Milliarden sollen für die TSMC-Chipfabrik in Dresden fließen. Bundeskanzler Scholz soll Haseloff und den sächsischen Ministerpräsidenten Michael Kretschmer, ebenfalls CDU, bereits zugesagt haben, dass die Bundesregierung die Ansiedlungsprojekte auch weiterhin unbedingt unterstützen will.

Hinzukommen 45 energieintensive Unternehmen, deren Umstellung auf Erneuerbare Energien die Bundesregierung ebenfalls kofinanzieren will, aber erst sechs von ihnen einen Förderbescheid ausgestellt hat. Dieses Kernvorhaben von Bundeswirtschaftsminister Robert Habeck, die De-Karbonisierung der deutschen Industrie, wackelt wegen des fehlenden Geldes ebenfalls. "Alle Projekte, die wir konzipiert haben, müssen möglich gemacht werden", bekräftigte Habeck am Montag.

Er weiß zahlreiche Landesregierungen hinter sich, weil auch sie ein akutes Interesse am Erhalt dieser Industriearbeitsplätze haben. In Habecks Heimatland Schleswig-Holstein etwa hat die CDU-geführte Landesregierung bereits angekündigt, im kommenden Jahr eine Notlage feststellen zu wollen. "Wir können auf diese wirtschaftspolitischen Projekte nicht verzichten", sagte Bayerns Wirtschaftsminister Hubert Aiwanger am Montag "im Namen aller Wirtschaftsminister". Sachsen-Anhalts Energieminister Armin Willingmann von der SPD plädierte im Namen der 16 Energieminister dafür, die Haushaltskrise auch in einer Ministerpräsidentenkonferenz zu adressieren. Mit jedem weiteren Tag, so scheint es, sind auch die Landesregierungen alarmierter über die Folgen des Schuldenbremsenurteils.

Nur noch wenige Wochen Zeit

Die FDP allerdings ist in 14 der 16 Länder Oppositionspartei. Ihr sind diese Jobs deshalb nicht egal, doch sie hat mehr Nerven, auf eine Finanzierung sämtlicher Vorhaben aus dem regulären Haushalt zu pochen, ganz ohne Neuverschuldung. Der Regierung in Schleswig-Holstein gab FDP-Fraktionschef Christian Dürr mit, die Notlage in 2024 zu erneuern sei "nicht angemessen". Für den Bund lehnt er solch ein Ansinnen explizit ab. Steuererhöhungen sind mit der FDP ebenfalls nicht zu machen und eine Reform der Schuldenbremse, darin besteht Einigkeit in der SPD, ist für das kommende Jahr keine Option. Hierfür bräuchte es - genauso wie bei der Idee eines Sondervermögens Klimaschutz - die Zustimmung der Union. Die FDP ist zudem noch geschlossener als die Union, wenn es darum geht, an der Schuldenregel unverändert festzuhalten.

Zugleich läuft der Ampel die Zeit davon: Bis spätestens Mitte Januar will die Bundesregierung den Haushalt 2024 verabschieden. Der Opposition muss sie aber genügend Beratungszeit geben, den Vorschlag zu diskutieren. Dies haben die Verfassungsrichter in einem folgenreichen Urteil im Juni deutlich gemacht, als sich die Ampel bei der Verabschiedung des Heizungsgesetzes schon einmal eine heftige Watschn aus Karlsruhe einfing.

So deutet eben doch vieles darauf hin, dass die für das kommende Jahr fehlenden Milliarden zum Verzicht und zur Kürzung von Vorhaben führen. Wenn bei den Subventionen für die Unternehmen nicht gespart werden soll und auch nicht bei den Fördersummen im Rahmen des Heizungsgesetzes, rücken die Investitionen in Bahn und Schiene in den Blickpunkt. Gänzlich außer Reichweite gerät das Klimageld, mit dem die Bundesregierung die Bürger für die steigenden CO2-Preise kompensieren und klimafreundliches Verhalten belohnen wollte.

Hinzukommt die Möglichkeit von Einsparungen im regulären Haushalt: Bundesumweltministerium Steffi Lemke sagte am Wochenende RTL und ntv, dass ihre Mitarbeiter bereits beauftragt seien, mögliche Einsparungen zu prüfen. Eine Liste von Sparmöglichkeiten im Sinne eines Plan B, den die Bundesregierung angeblich hatte für den Fall eines weitreichenden Verfassungsgerichtsurteils, gab es vorab nicht. Offenbar wollte kein Ministerium verschriftlichen, worauf man im Falle des Falles auch verzichten könnte. Das hätte zu viele Begehrlichkeiten bei den Sparfüchsen Scholz und Lindner wecken können.

Quelle: ntv.de

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