Sein Erbe ist in Gefahr "Obama ist einer der größten Präsidenten"
05.11.2016, 12:27 Uhr
Vor allem die Schwarzen will Obama dazu bewegen, zur Wahl zu gehen und Hillary Clinton zu wählen.
(Foto: AP)
Vor acht Jahren versprach Barack Obama "Wandel", und er hat tatsächlich für eine Vielzahl von Veränderungen gesorgt. Doch seine Gegner sehen ihn als den "ersten anti-amerikanischen Präsidenten".
Die Amtszeit von US-Präsident Barack Obama neigt sich dem Ende entgegen. Während Hillary Clinton und Donald Trump um die Gunst der Wähler buhlen, heißt es für den ersten schwarzen Präsidenten der USA, seine Position in den Geschichtsbüchern zu festigen.
Einer, der Obama jetzt schon für einen der ganz Großen der US-Geschichte hält, ist Harvard-Professor Stephen Ansolabehere. "Obama ist sicherlich einer der größten US-Präsidenten der letzten 125 Jahre", sagt er im Interview mit n-tv.de.
Trotz der aktuellen Spaltung der US-Gesellschaft gibt Ansolabehere mit seiner Einschätzung die Ansicht einer Mehrheit der Amerikaner wider. Laut letzten Umfragen sind 53 Prozent der US-Bürger mit Obamas Arbeit als Präsident zufrieden – bei Vorgänger George W. Bush waren es am Ende nur 29 Prozent. Dennoch sah sich Obama während seiner Amtszeit immer wieder mit Anfeindungen konfrontiert.
Natürlich gehört es zur Berufsbeschreibung eines Präsidenten, von Gegnern in ein schlechtes Licht gerückt zu werden. Allerdings wirkten die Angriffe der Republikaner oft hemmungslos. Als Obama im März dieses Jahres nach Kuba flog, um in Havanna einem Baseballspiel beizuwohnen, sagte Newt Gingrich, der frühere Sprecher des US-Repräsentantenhauses, der jetzt Wahlkampf für Trump macht, Obama sei "der erste anti-amerikanische Präsident". Obama benehme sich "in einer Art und Weise, die Schwäche ausstrahlt und es anderen erlaubt, ihn auszunützen", so Gingrich.
"Nur ein Klimaschutzgesetz fehlt"
Das Baseballspiel zwischen den Tampa Bay Rays aus der US-Profiliga Major League Baseball und der kubanischen Nationalmannschaft war das Resultat eines Kurswechsels innerhalb der US-Regierung, welche die Beziehungen mit dem kommunistischen Inselstaat nach Jahren der Eiszeit wieder auftauen soll. Es ist nur eine von zahlreichen Veränderungen, die die amerikanische Politik unter Obamas Regierung vorgenommen hat.
"Ich denke er ist ein überaus erfolgreicher Präsident", sagt Ansolabehere. "Die ersten zwei Jahre seiner Amtszeit waren so noch nie da gewesen. Man muss bis ins Jahr 1964 zurückgehen, um einen Präsidenten zu sehen, der so viele wichtige Gesetze durchgesetzt hat wie Obama. Das Einzige, was auf seiner Agenda stand und ihm verwehrt blieb, war ein Klimaschutzgesetz."
Die zwei bedeutendsten Punkte auf dieser Agenda waren die Einführung einer Krankenversicherung für möglichst viele Amerikaner sowie Änderungen im Bank- und Finanzwesen infolge der Weltwirtschaftskrise. Dies werden auch die entscheidenden Maßnahmen sein, mit denen Obamas Präsidentschaft von späteren Generationen gemessen werde, so Ansolabehere.
Allerdings verloren die Demokraten nach Obamas ersten zwei Jahren im Amt 2010 die Mehrheit im US-Kongress. Gründe dafür waren die anhaltende Wirtschaftskrise sowie das Aufkommen der Tea-Party-Bewegung innerhalb der Republikanischen Partei. "Als nach den ersten zwei Jahren der Kongress begann, die Zusammenarbeit zu verweigern, ging Obama seinen eigenen Weg und machte Gebrauch von präsidialen Verordnungen und Privilegien", erläutert Ansolabehere. Dem Nationalarchiv der USA zufolge hat Obama bislang 249 dieser "Executive Orders" unterzeichnet.
Zwar hat die reine Anzahl solcher Anordnungen nur wenig Aussagekraft, da viele über rein zeremonielle Dinge bestimmen, wie beispielsweise ein neues Logo für das Peace Corps. Trotzdem hat Obama die Position des Präsidenten dramatisch gestärkt. "Es ist nicht wirklich die Anzahl von Executive Orders, sondern vielmehr, dass diese in direktem Konflikt mit den Absichten des Kongresses stehen", sagte Pat Roberts, ein republikanischer Senator aus Kansas.
Wie Reagan und Kennedy
Obamas politische Gegner sehen seinen Gebrauch von präsidialen Verordnungen als Überschreitung des Amtes. Mit seinen Verordnungen hat Obama unter anderem undokumentierte Einwanderer vor der Abschiebung bewahrt, Klimaschutzvorgaben durchgesetzt und internationale Abmachungen ohne Einwilligung des Kongresses getroffen. Den Gebrauch von Executive Orders begründete Obama mit der polarisierten Atmosphäre in Washington. "Es ist schwierig, Kompromisse einzugehen, da Abgeordnete immer über ihre Schultern schauen, um zu sehen, ob ihre eigene Partei sie anfechtet", sagte Obama. "Das System funktioniert dann nicht."
Ansolabehere ist der Auffassung, dass kein Präsident mehr für die Macht des Weißen Hauses getan hat als Obama. Der Politologe vergleicht den scheidenden Amtsinhaber mit früheren Präsidenten wie Ronald Reagan oder John F. Kennedy. Reagan, der von 1980 bis 1988 US-Präsident war, sei wie Obama das Produkt eines kulturellen Wandels. Bei Reagan seien es die "Babyboomer" gewesen, die sich weg von der Regierung und hin zu großen Unternehmen und Kooperation bewegt hätten. Obama habe die gesellschaftlichen Minderheiten hinter sich versammelt.
Mittlerweile gehören nahezu 50 Prozent aller in den USA geborenen Kinder einer ethnischen Minderheit an. Ansolabehere glaubt, dass Obama als erster schwarzer Präsident auch dazu beigetragen hat, Missstände in der amerikanischen Gesellschaft gegenüber Minderheiten offenzulegen. "Minderheiten haben jetzt größeren kulturellen Einfluss", sagte Ansolabehere. In Teilen sei Obama "die Reflexion von gesellschaftlichen und generationellen Veränderungen, die gerade passieren". Obama hatte demnach eine Vorreiterrolle, die laut Ansolabehere kein Präsident mehr seit John F. Kennedy mehr innehatte.
Vergleiche mit Reagan und Kennedy hört Obama vermutlich gern, aber nur die Zeit wird zeigen, welchen Platz ihm die Geschichte zuteilen wird. Obama bestieg das Amt mit unglaublichen Vorschusslorbeeren, die nur schwer zu erfüllen waren. Das größte Manko, dass man seiner Regierung in Nachhinein vorwerfen könnte, ist ein zu lasches Vorgehen gegenüber der Wall Street nach der Wirtschaftskrise und die geringe Kompromissbereitschaft, mit Kongressabgeordneten zu arbeiten.
In seinen letzten Monaten im Amt betreibt Obama aktiv Wahlkampf für Hillary Clinton, um diese als seine Nachfolgerin im Weißen Haus begrüßen zu können. Mit ihr an der Spitze der USA hat Obamas politisches Erbe eine größere Chance zu überdauern als mit Trump, der bereits angekündigt hat, Obamas Gesundheitsreform außer Kraft zu setzen und mit einem neuen System zu ersetzen. Und einiges bleibt auch aus Obamas Sicht noch zu tun. Noch immer leidet die US-Gesellschaft an den Folgen der Wirtschaftskrise. Das Gefangenenlager Guantanamo ist immer noch in Betrieb. Terror ist weiterhin eine große Gefahr. Russland und China rütteln an Amerikas Vormachtstellung. Als er 2008 gewählt wurde, stand Obama für Wandel. Auf einen völlig anderen Wandel hoffen jetzt andere – die Wähler von Donald Trump.
Quelle: ntv.de