Weltpolitik in Wahlkampfzeiten Obamas Gipfel-Show
17.05.2012, 09:29 Uhr
Der Gastgeber ist bereit. Vier Tage lang steht Barack Obama im Rampenlicht.
(Foto: AP)
Die Spitzen der G8 geben sich in Camp David ein Stelldichein. Für Gastgeber Obama ist das eine günstige Gelegenheit, sich vor der Präsidentenwahl als international geachteter Politiker zu präsentieren. Die Teilnehmer des Treffens sind allerdings sehr mit sich selbst beschäftigt. Russlands Staatschef Putin bleibt sogar daheim.
Maryland gehört zu den Bundesstaaten der USA, die eigentlich nur bei Präsidenten-Vorwahlen Erwähnung finden. Mit einer Fläche von rund 32.000 Quadratkilometern ist er so groß wie Belgien. Der Öffentlichkeit bekannt ist eigentlich nur seine größte Stadt Baltimore mit ihren rund 620.000 Einwohnern, die zugleich auch Marylands industrielles Zentrum ist. Ansonsten leben die Menschen dort von Landwirtschaft und Tourismus.

In Camp David wurde schon Geschichte geschrieben. 1978 schlossen Israels Ministerpräsident Menachem Begin und Ägyptens Präsident Anwar as-Sadat Frieden zwischen beiden Ländern. US-Präsident Jimmy Carter vermittelte.
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Nun aber rückt der kleine Bundesstaat für zwei Tage ins internationale Rampenlicht, denn im dortigen Erholungsgebiet Catoctin Mountain Park befindet sich mit Camp David das Ferienrefugium des US-amerikanischen Präsidenten. In der nach dem Enkel des von 1953 bis 1961 amtierenden Staatschef Dwight D. Eisenhower benannten Anlage findet am Freitag und Samstag der Gipfel der sogenannten Gruppe der Acht (G8) statt. An der Stätte, wo US-Präsident Barack Obama in der Regel an den Wochenenden etwas Erholung sucht, wird große Politik gemacht - ein geeigneter Ort, um in Ruhe über die Probleme der Welt zu sprechen. Und diese Ruhe ist es, die den 50-Jährigen dazu bewogen hat, auch seinen Gästen den Trubel von Chicago zu ersparen - zumal dort auch Tausende Demonstranten vor Ort sein könnten. In der Millionenstadt findet nun "nur" noch der sich an das G8-Treffen anschließende große NATO-Gipfel statt.
Im Gegensatz zu geschichtsträchtigen Ereignissen wie das israelisch-ägyptische Friedensabkommen von 1978, werden in Camp David diesmal keine weitreichenden Beschlüsse gefasst. Dazu ist auch die Themenpalette zu groß. Zudem sind in der G8 - dazu gehören neben den USA auch Japan, Deutschland, Frankreich, Großbritannien, Italien, Kanada und Russland - nicht mehr die größten acht Industriestaaten vertreten. Wichtige Schwellenländer, die in die Phalanx der Industriestaaten einbrachen, wie die nunmehr zweitgrößte Wirtschaftsmacht China, aber auch Indien und Brasilien, sind bei dem Treffen nicht vertreten. Dennoch wird in den G8-Ländern immer noch zwei Drittel des Welt-Bruttonationaleinkommens erwirtschaftet, obwohl sie nur 14 Prozent der Weltbevölkerung auf sich vereinigen.
. In der Runde der Staats- und Regierungschefs der G8 gibt es neue Gesichter. Da wäre Frankreichs Präsident , der seine Kollegen kennenlernt. Auch Italiens Ministerpräsident Mario Monti ist zum ersten Mal bei einem G8-Treffen dabei. Dass Japan fast jedes Jahr einen anderen Regierungschef zum Gipfel entsendet - diesmal vertritt Yoshihiko Noda das Land der aufgehenden Sonne - ist eigentlich kaum noch eine Erwähnung wert. Dagegen reist Russlands Präsident Wladimir Putin gar nicht erst an - offiziell wegen der erst vor Kurzem übernommenen Amtsgeschäfte. Für den Kremlchef kommt sein Amtsvorgänger Dmitri Medwedew, der jetzt Ministerpräsident ist, in die USA.
Die Finanz- und Wirtschaftskrise, der Atomstreit mit dem Iran, die Abwicklung des internationalen Militäreinsatzes in Afghanistan, die explosive Lage in Syrien, der Umgang mit , die Freigabe der Ölreserven - einen Berg von Problemen gilt es zu erörtern. Und dabei ist Streit programmiert.
Breiten Raum auf dem Gipfel wird die europäische Schuldenkrise einnehmen. Die Sorge über die Turbulenzen in der Eurozone ist bei allen Teilnehmern groß. Allerdings liegt der Schlüssel zur Lösung der Krise nicht in Washington oder Camp David, sondern in Brüssel, Berlin, Paris und Athen. Ein Hauptpunkt ist dabei . Bundeskanzlerin Angela Merkel wird sich warm anziehen müssen, weil ihre strikte Sparpolitik nicht nur in Europa, sondern auch jenseits des großen Teichs auf Widerstand stößt. So fordert der sich ebenfalls mit einer hohen Staatsverschuldung und einer vor sich hin dümpelnden US-Konjunktur herumschlagende Obama mehr Wachstumsimpulse in Europa. Damit ist er auf einer Linie mit dem französischen Sozialisten Hollande. Aber auch die Exportnation Japan verlangt aus eigenem Interesse von den Europäern, mehr zur Ankurbelung ihrer Wirtschaften zu tun. Rückendeckung dürfte Merkel dagegen von Monti und dem britischen Premierminister David Cameron erwarten, schließlich haben beide in ihren Ländern drastische Sparprogramme aufgelegt. Merkel hat ihren Kurs jedenfalls schon klar formuliert: Mit ihr gebe es kein Wirtschaftswachstum auf Pump, sagte sie in ihrer Regierungserklärung vor dem Bundestag. So hat es Obama mit keiner geschlossenen europäischen Fraktion zu tun.
Hinsichtlich des Vorgehens gegen die hohen Ölpreise suchen die Amerikaner Verbündete. Obama stieß mit seinem Vorschlag, Ölreserven freizugeben, um so eine Senkung der Preise zu erreichen, auf Widerstand. Vor allem die deutsche Bundesregierung sprach sich dagegen aus. Dagegen zeigten sich Großbritannien und Frankreich offen für den Vorstoß aus Washington.
Auch in der Syrien-Frage werden die Gipfelteilnehmer wohl keinen Konsens erzielen. So lässt Russland, das mit Damaskus traditionell eng verbunden ist, das Regime von Präsident Baschar al-Assad nicht fallen. Medwedew wird zu keinen Zugeständnissen bereit sein beziehungsweise nicht bereit sein dürfen. Der weitere große Unterstützer des Damaszener Despoten, China, ist bekanntlich nicht am Verhandlungstisch vertreten.
Hinsichtlich der Iran-Problematik ist Obama stark gefordert. Zuhause werfen ihm die oppositionellen Republikaner eine zu lasche Haltung gegenüber dem Mullah-Regime in Teheran vor. Er lasse damit Israel im Stich. Der Gipfel in Camp David ist für den US-Präsidenten eine Möglichkeit, die internationalen Partner wenige Tage vor der nächsten Runde der Atomgespräche mit dem Iran in Bagdad auf den doppelten Ansatz aus harten Sanktionen und Verhandlungsangeboten einzuschwören.
Viele Baustellen
Obwohl der NATO-Gipfel sich an das G8-Treffen anschließt, wird das Afghanistan-Thema auch in Camp David behandelt. Obama führt den geplanten Abzug aller US-Kampftruppen bis Ende 2014 im Wahlkampf als einen seiner Erfolge ins Feld. Allerdings wird er auf Frankreichs Haltung gespannt sein. Hollande hatte im Wahlkampf angekündigt, alle französischen Kampftruppen schon bis Ende dieses Jahres abzuziehen.
Weil Putin in Camp David nicht zugegen ist, wird der Streit der NATO mit Russland zum eine eher untergeordnete Rolle spielen. Der Nordatlantikpakt will auf dem Chicagoer Gipfel den "Beginn einer beschränkten Einsatzfähigkeit" des Systems verkünden. Der Schild soll Europa vor einer möglichen Bedrohung durch etwa iranische Mittelstreckenraketen schützen. Moskau fühlt sich durch das NATO-Vorgehen bedroht und verlangt eine Garantie, dass sich der Abwehrschild nicht gegen Russland richtet. Zudem hat Russland Gegenmaßnahmen angekündigt: So könnte es in der Region Kaliningrad ein eigenes Abwehrsystem aufbauen.
Camp David und danach Chicago: Obama wird versuchen, beide Gipfel in eigener Sache zu nutzen - Weltpolitik vor den Augen der amerikanischen Wähler. Die Vereinigten Staaten, die mit massiven ökonomischen Problemen zu kämpfen haben, seien weiter eine Supermacht, so seine Botschaft im Vorfeld. Es gibt zahlreiche Baustellen, für deren Schließung die Amerikaner ihre Partner benötigen. Mit China fehlt allerdings die für die Lösung globaler Probleme zweitwichtigste Macht. Die G8 verträten die westliche Wertegemeinschaft, heißt es. Übersetzt: Für das kommunistisch regierte China ist noch kein Platz. Für Russland, das ebenfalls massive Demokratiedefizite hat, dagegen schon. Aber das ist eine andere Geschichte. Die Machthaber in Peking sehen das Ganze gelassen. Sie sind ohnehin der Meinung, dass die G8 bislang noch nicht viel erreicht haben.
Quelle: ntv.de