Politik

Atomausstieg bis 2022 Opposition stellt Bedingungen

"Tag der Genugtuung": SPD-Chef Gabriel und Volker Hauff, Mitglied der Ethikkommission.

"Tag der Genugtuung": SPD-Chef Gabriel und Volker Hauff, Mitglied der Ethikkommission.

(Foto: dpa)

Um den geplanten Ausstieg aus der Atomkraft bis 2022 durchzusetzen, hofft Bundeskanzlerin Merkel auf die Zustimmung der Opposition. SPD und Grüne begrüßen zwar die grundsätzliche Entscheidung, wollen für ihre Zustimmung aber konkrete Zusagen haben. Die Industrie reagiert skeptisch auf den schwarz-gelben Ausstiegsbeschluss.

Der SPD-Vorsitzende Sigmar Gabriel hat seine Bereitschaft zu Gesprächen über den von der Bundesregierung geplanten Atomausstieg signalisiert und Kanzlerin Angela Merkel zugleich zu klarer Führung aufgefordert. Es gebe kein Bekenntnis zur eindeutigen politischen Steuerung des Prozesses, kritisierte Gabriel. Die schwarz-gelbe Regierung delegiere dies unter anderem an die Bundesnetzagentur oder überlasse wesentliche Fragen dem freien Spiel des Marktes.

Gabriel signalisierte, dass er im Grundsatz mit der Entscheidung von Schwarz-Gelb, die viele Teile des rot-grünen Ausstiegsbeschlusses wieder aufnimmt, einverstanden sei. Zweieinhalb Jahrzehnte seien die Sozialdemokraten für ihren Parteibeschluss zum Atomausstieg verlacht und verhöhnt worden, sagte Gabriel. Nun akzeptiere auch Schwarz-Gelb dieses Ziel. "Das ist ein großer Tag der Genugtuung für alle Atomkraftgegner in Deutschland."

Kanzlerin Merkel zwischen den Vorsitzenden ihrer Ethikkommission, Kleiner (r.) und Töpfer.

Kanzlerin Merkel zwischen den Vorsitzenden ihrer Ethikkommission, Kleiner (r.) und Töpfer.

(Foto: dpa)

Es hänge vom Entgegenkommen von Kanzlerin Merkel ab, ob die SPD dem Ausstiegsbeschluss der Regierung zustimmen könne. Eine ganze Reihe von Einzelfragen müsse aber in den nächsten Wochen und Monaten noch geklärt werden. Gründlichkeit gehe dabei vor Schnelligkeit. Möglicherweise könne man etwa auch schneller aussteigen als in den von der Bundesregierung jetzt angestrebten zehn Jahren.

Grüne kritisieren "Kaltreserve"

Grünen-Chef Cem Özdemir hat die Zustimmung seiner Partei ebenfalls an Bedingungen geknüpft. "Die Grünen sind bereit zum Kompromiss, aber das 'grüne Siegel' bekommt man nur, wenn auch der Inhalt stimmt", sagte Özdemir. Ob sich die Grünen am Ausstiegsbeschluss der Regierung beteiligen, soll die Parteibasis auf einem Sonderparteitag am 25. Juni entscheiden.

Vor dem Kanzleramt protestieren Atomkraftgegner gegen den Kompromiss aus der Nacht.

Vor dem Kanzleramt protestieren Atomkraftgegner gegen den Kompromiss aus der Nacht.

(Foto: dpa)

Özdemir kritisierte, die Regierung habe sich zur Energiewende erst nach den drei Kernschmelzen in Fukushima durchgerungen. Wenn Schwarz- Gelb es mit dem gesellschaftlichen Konsens wirklich ernst meine, könne der Beschluss nicht am Bundesrat und damit an den Ländern vorbei gefasst werden.

Grünen-Fraktionschef Jürgen Trittin warf der Bundesregierung vor, sich mit der geplanten "Kaltreserve" eines im Bedarfsfall wiederanzufahrenden AKW eine "Hintertür" offenhalten zu wollen. Auch Ko-Fraktionschefin Renate Künast stellte in Frage, ob die Regierung wirklich den Konsens suche. "Wer tatsächlich zu einem umfassenden gesellschaftlichen Konsens kommen will, der muss dann auch die Debatte um die Jahreszahl führen, und nicht einfach 2022 als Punkt auf den Tisch legen", erklärte sie.

Umweltminister Röttgen verließ das Kanzleramt in der Nacht zu Montag symbolträchtig per Fahrrad. Dabei vergaß er, das Licht anzuschalten.

Umweltminister Röttgen verließ das Kanzleramt in der Nacht zu Montag symbolträchtig per Fahrrad. Dabei vergaß er, das Licht anzuschalten.

(Foto: dpa)

Der Linken geht der anvisierte Atomausstieg nicht schnell genug. "Elf weitere Jahre setzt die Koalition auf die Atomkraft", teilte die umweltpolitische Sprecherin der Linksfraktion, Eva Bulling-Schröter mit. "Das ist kein Ausstiegsbeschluss, sondern ein gefährliches Spiel mit der Sicherheit der Bevölkerung."

Ausstieg bis 2022

Dem in der Nacht zu Montag von der Koalition ausgehandelten Ausstiegskonzept zufolge sollen die sieben ältesten Meiler sowie der Pannenreaktor Krümmel für immer stillgelegt werden. Sechs weitere Meiler sollen bis spätestens Ende 2021 abgeschaltet werden. Die drei modernsten Meiler sollen bis Ende 2022 laufen dürfen. Damit bekämen die Akw eine Strommenge zugeteilt, die einer Gesamtlaufzeit von 32 Jahren entspreche, sagte Umweltminister Norbert Röttgen

Deutschland werde eine ganze neue Architektur der Energieversorgung bekommen, der Strom der Zukunft müsse sicher und verlässlich sein, sagte Bundeskanzlerin Angela Merkel bei einem Fototermin mit Vertretern der von ihr eingesetzten Ethikkommission, an dem auch Röttgen und der neue Wirtschaftsminister Philipp Rösler teilnahmen. "Wir werden die Empfehlungen der Ethik-Kommission als Richtschnur nehmen", sagte Merkel. Kritiker hatten eingewandt, sie habe das Gremium nur berufen, um ihrer 180-Grad-Wende Legitimität zu verleihen.

Merkel strebt Konsens an

Die Kommission hat einen Atomausstieg innerhalb von zehn Jahren als machbar bezeichnet. "Es ist eine gemeinsame große Kraftanstrengung, die vor uns liegt, sagte der Vorsitzende und Präsident der Deutschen Forschungsgemeinschaft (DFG), Matthias Kleiner: "Wir sind überzeugt, dass das innerhalb eines Jahrzehnts gelingen kann." Der Co-Vorsitzende Klaus Töpfer sagte mit Blick auf den Atomausstieg zu Merkel: "Wir hoffen dass es hilfreich ist, Ihre Entscheidung von gestern Abend gut umzusetzen." Töpfer betonte, man sei in der Kommission sehr konkret geworden und gebe keine Allgemeinplätze. So empfiehlt der "Rat der Weisen" auch, Alternativen zum möglichen Endlager für hoch radioaktiven Müll in Gorleben zu prüfen.

Merkel rief zu einem Konsens in der Atompolitik auf. Die Arbeit der Ethikkommission zeige, dass es zusammenführen könne, wenn ein gemeinsames Ziel verfolgt werde. "Das sollte uns auch im politischen Bereich gelingen."

Industrie kritisiert Ausstieg

Die deutsche Industrie warnte derweil vor einem unumkehrbaren Ausstieg, höheren Strompreisen und Ausfällen bei der Stromversorgung. Industrie-Präsident Hans-Peter Keitel warnte: "Die deutlich erkennbare politische Absicht, in einem beispiellos beschleunigten Verfahren einen finalen und irreversiblen Schlusspunkt für die Nutzung von Kernenergie in diesem Land zu fixieren, erfüllt mich zunehmend mit Sorge." Ein solches Vorhaben müsse nachjustiert werden können - auch auf der Zeitschiene. Das Erreichen der Klimaschutzziele werde schwieriger und viel teurer.

Der Energiekonzern RWE erwägt nach wie vor rechtliche Schritte gegen den Atomausstieg. "Wir halten uns alle rechtlichen Möglichkeiten offen", sagte ein Konzernsprecher. Nähere Angaben machte er nicht. Gegen das Atommoratorium geht der Versorger bereits als einziger Branchenvertreter vor Gericht vor. Auch eine Klage gegen die von der Bundesregierung nun nochmal festgeschriebene Brennelementesteuer gilt als wahrscheinlich. Ob der Ausstiegsbeschluss als solcher angefochten werden könnte, ist offen.

In Brüssel stößt der deutsche Ausstieg hinter den Kulissen auf Bedenken. "Es gibt einige Fragezeichen", verlautete aus der EU-Kommission. So habe Deutschland ein Kostenproblem, weil viel Geld in erneuerbare Energien investiert werden müsse. Offiziell wollte sich die EU-Kommission nicht äußern. "Entscheidungen über den nationalen Energie-Mix und die Atomenergie sind allein Sache der Mitgliedsstaaten", sagte die Sprecherin von EU-Energiekommissar Günther Oettinger in Brüssel. Die EU-Behörde betonte, dass Nuklearsicherheit für die EU sehr wichtig sei. Deshalb fordert Brüssel die Nachbarländer der EU und andere große Industrieländer zu Stresstests für Atomkraftwerke auf, die in der EU bereits beschlossen sind und an diesem Mittwoch offiziell starten.

Quelle: ntv.de, tis/rts/AFP/dpa

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